- Kultur
- »Frauen in Landschaften«
Film »Frauen in Landschaften«: Politik essen Seele auf
Der Dokumentarfilm »Frauen in Landschaften« lässt vier ostdeutsche Politikerinnen zu Wort kommen
Wenn es darum geht, filmisch die jüngste Zeitgeschichte zu reflektieren, sitzen meistens ältere Männer staatstragend in ihren Villen am See, hinter ihnen in der Schärfentiefe verschwimmt die Bücherwand. Die Männer geben die Hard Facts wieder: Zwei-Plus-Vier-Vertrag, schwierig, aber wir haben es geschafft; Mauerfall: Kohl hat es quasi im Alleingang gemacht, dann aber auch ein bisschen was versemmelt, Schnitt: Trabi fährt über die Grenze, Deutschlandfahne schwingt umher, Menschen schlagen enthusiastisch aufs Pappdach. Die Doku ist im Kasten.
Meistens sind es eben Männer, die da sitzen und erzählen, weil Frauen ganz gut von ebenjenen rausgehalten wurden aus der Zeitgeschichte. Aber das ändert sich langsam und davon zeugt der Film »Frauen in Landschaften« von Sabine Michel. Die Dokumentarfilmerin, 1966 in Dresden geboren, widmet ihre Arbeit häufig Frauen und ihren Blickweisen auf die Wiedervereinigung. So ist der 2013 erschienene Film »Zonenmädchen« eine biografisch geprägte Reise in die Vergangenheit, in der sie mit ihren Freundinnen rekapituliert, wie die Wende-Erfahrungen sie alle veränderte. Zentral dabei ist die Verschiedenheit der Frauen, wenn doch alle im Zusammenhang mit der DDR immer von Gleichmachen sprechen. Und so ist es auch in ihrem neuesten Film »Frauen in Landschaften«. Sabine Michel hat vier Politikerinnen aus dem Osten drei Jahre lang begleitet und sie vor monotone Wände gesetzt, keine Bücherregale, keine Filmsequenzen von hupenden Trabis an der Grenze dazwischen geschnitten. Nur die einzelnen Geschichten zählen und die Landschaften, in denen sie entstanden sind: Mecklenburger Seenplatte, Fürstenberger Bauruinen, sächsische Stauseen, aber eben auch Dortmunder Fliesentischromantik.
Michel hat ihre Frauen, die zur Wendezeit zwischen 10 und 20 Jahre alt waren, wohlüberlegt ausgewählt, viel Zeit im Bundestag und anschließend mit ihnen verbracht, um wirklich nah ranzukommen. Zu Beginn wirkt der Film daher sehr distanzlos. Fast schon zu liebevoll ist der Blick auf ihre Protagonistinnen. Dabei sind mit Frauke Petry, Mitbegründerin der AfD und momentan arbeitssuchend, und Manuela Schwesig, derzeit Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, zwei Frauen dabei, die aus völlig unterschiedlichen Gründen hart in der Kritik stehen oder standen. Aber das weiß Michel natürlich und macht nicht den Fehler, das komplett auszusparen, weil ihr Ziel ja ein größeres ist: Frauengeschichten aus dem Osten zu erzählen. Aber um an die Schmerzpunkte zu kommen, lässt sich der Film Zeit, so wie Michel wohl Zeit gebraucht hat, um im Vertrauen nachfragen zu können, ohne sofort harsch abgebügelt zu werden, was insbesondere Frauke Petry in Perfektion beherrscht.
Alles beginnt mit der Frage, ob die vier Frauen im Kindergarten waren und jede von ihnen antwortet mit Ja. Keine banale Frage, sondern sie macht klar (vor allem wohl fällt das Frauen auf): Sie alle sind Töchter von Müttern, die gearbeitet haben. Trotz, mit und wegen der Kinder. Das ist zwar der Klischee-Ost-West-Vergleich, wenn es um Frauengeschichten im Nachkriegsdeutschland geht, aber der Film offenbart, dass es prägend für die Politikerinnen war, schon in der Kindheit beide Eltern erst nach Feierabend und später dann, weil ihre Fertigkeiten nichts mehr wert waren, mindestens ein Elternteil unter der Arbeitslosigkeit leiden zu sehen.
Und so sind alle vier, neben Petry und Schwesig auch die Linke-Politikerin Anke Domscheit-Berg und die CDU-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, aufgewachsen mit einem Hang zu Zielstrebigkeit, Pflichtbewusstsein und Ehrgeiz. Magwas studierte in Chemnitz, Domscheit-Berg fasst nach dem Studium in der Tech-Branche Fuß, Schwesig wird nach der Schule Finanzbeamtin, Petry gründet ein Chemieunternehmen und geht trotz diverser Innovationspreise 2013 pleite. Hätte die Firma überlebt, wäre sie wohl nie in die Politik gegangen.
Keine von ihnen wird, im Gegensatz zu einigen jüngeren Kolleg*innen, direkt in die Politik hineingebeamt. Ihre Leben kommen noch von irgendwo her und sind nicht abgerichtet aufs Gestalten, sondern haben noch selbst erfahren, was da eigentlich gestaltet werden muss.
Der Film gewinnt durch die unterschiedlichen Blickwinkel. Wobei man Frauke Petry am Anfang zwar für ein bisschen zu verbissen, aber durchaus sympathisch halten könnte, wie sie vom Aufbruch in eine neue, frische Politik träumte, den die AfD einst versprach, ohne auch vom Rest, den autoritären Umwälzungsfantasien der Partei, zu reden, weshalb zunächst die Angst aufkommt, hier liefe irgendwas mächtig falsch mit dem Film. Aber so wie Michel eine Weile gebraucht haben wird, bis die Frauen offen mit ihr über ihre inneren Kämpfe, Zweifel und Niederlagen sprechen konnten, so lässt sich der Film Zeit, auch in den dunkleren Ecken einmal durchzuwischen.
Petry wird spätestens dann realistisch unsympathisch, als Michel sie zur Frauenquote und Zuwanderung befragt. Natürlich funktioniert die Figur Petry in dem Zusammenhang nur, weil sie perfekt als Antipode der drei restlichen Frauen taugt, die eben nie derart unempathisch bis reaktionär reden und wesentlich zugänglicher davon berichten, was das Aufwachsen in der DDR und der Systemwechsel für sie bedeutet haben. Aber ob es das wirklich gebraucht hätte? Einer Frau noch mal den Teppich auszurollen, die mit dafür verantwortlich ist, dass die rechte bis rechtsradikale Bewegung nun in Anzügen in den Parlamenten hockt, was sie natürlich pflichtschuldig bereut. Andererseits gehört die Partei, die sie geschaffen hat, auch zur ostdeutschen Realität dazu.
Wesentlich menschlicher dagegen wirkt Anke Domscheit-Berg, die davon erzählt, dass ihre Mutter sie, als sie noch ein Kind war, später in der Politik gesehen habe und dann tragischerweise durch ihren Tod den Einzug der Tochter in den Bundestag nie erlebte. Domscheit-Berg zeigt sich von allen am grüblerischsten und reflektiertesten und spricht von der Politik in ihrer schlimmsten Ausprägung als eine Art Seele fressendes Monster. »Fehler werden Frauen seltener verziehen und Frauen verzeihen sich selbst auch weniger Fehler«, sagt sie.
Petry hingegen wirkt emotional komplett imprägniert und lächelt sogar ihren äußerst unangenehmen letzten Auftritt im Bundestag weg, als nach ihrer Rede als Fraktionslose, die eine bockige Systemsturzfantasie ist, Totenstille herrscht, niemand klatscht und ihre Worte irgendwo in der Glaskuppel verhallen. Man möchte in dem Moment Mitleid haben, aber es geht einfach nicht. Einer der stärkeren Momente des Films.
Schnell sind manchmal die Schnitte im Film, aber den Faden verliert man nie. Manuela Schwesig kauft man tatsächlich ab, dass es ihr bei Nordstream 2 immer nur um die Arbeitsplätze ging, egal, wer die nach Vorpommern bringt. Sie selbst zieht die Parallele zur Wendezeit, und man möchte ihr unterstellen, dass sie wahrscheinlich bei vielen politischen Entscheidungen auch an ihren Vater gedacht hat, der, während alle morgens das Haus verließen, als arbeitsloser Schlosser allein zurück im Wohnzimmer blieb. »Das macht was mit Menschen«, sagt sie an einer Stelle und meint dabei wohl sich selbst.
Sabine Michel hat mit »Frauen in Landschaften« eine ostdeutsche Ergänzung zu Torsten Körners fantastischer Polit-Doku »Die Unbeugsamen« über Frauen in der Bonner Republik gedreht. Die Inszenierung ist unaufgeregt, aber so konzentriert man sich auf das, was die Frauen zu sagen haben und das unterscheidet sich angenehm von den aufgeblasenen Wende-Dokumentationen mit wichtigen Männern vor Bücherwänden, weil es tatsächlich dabei hilft, zu verstehen, wie der Osten tickt.
»Frauen in Landschaften«, Deutschland 2023. Regie und Drehbuch: Sabine Michel. 87 Minuten, Start 14.9.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.