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Fridays for Future und Verdi: Raus aus der Bubble

Frau Hessel fährt seit 38 Jahren Straßenbahnen in Leipzig. Seit neuestem wirbt sie bei ihren Kollegen für den Klimastreik. Wie kam es dazu?

  • Ines Wallrodt und Eva Roth
  • Lesedauer: 9 Min.
Schon beim letzten »Globalen Klimastreik« am 3. März demonstrierten Klimaaktivisten und Gewerkschafter gemeinsam, hier in Frankfurt am Main. Inzwischen gibt es bundesweit 40 Ortsgruppen.
Schon beim letzten »Globalen Klimastreik« am 3. März demonstrierten Klimaaktivisten und Gewerkschafter gemeinsam, hier in Frankfurt am Main. Inzwischen gibt es bundesweit 40 Ortsgruppen.

Heike Hessel fährt seit 38 Jahren Straßenbahnen in Leipzig. Inzwischen immer in Spätschicht. »Das ist besser, als ständig die Schichten zu wechseln.« Diesen Freitag macht die 55-Jährige eine Ausnahme: Es ist Klimastreik und sie hat sich extra einen früheren Dienst geben lassen, um ab Mittag auf dem Augustusplatz Unterschriften für bessere Arbeitsbedingungen und massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr zu sammeln. Seite an Seite mit jungen Klimaaktivist*innen.

Mit den Unterschriften startet die Gewerkschaft Verdi am 15. September bundesweit ihre Tarifkampagne für den Nahverkehr, bei der sie unter dem Motto »Wir fahren zusammen« mit Fridays for Future (FFF) kooperiert. In Dutzenden Städten gibt es gemeinsame Ortsgruppen von Beschäftigten und Klimaaktivist*innen. In Leipzig findet regelmäßig ein gemeinsames Plenum »mit den jungen Leuten« statt, wie Heike Hessel dem »nd« erzählt. Sie versucht, wenn der Dienstplan es zulässt, so oft wie möglich teilzunehmen.

»Für den Klimaschutz ist ein besserer öffentlicher Personennahverkehr nötig. Dafür braucht es nicht nur mehr Züge, sondern auch Menschen, die die Busse und Bahnen fahren, und zwar unter guten Arbeitsbedingungen. Das sehen auch die Aktiven von Fridays so«, sagt Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei Verdi, dem »nd«. Derzeit sei die Belastung aber zu hoch, insbesondere für Fahrer*innen, die im Schichtdienst arbeiten. Sie hätten ständig wechselnde Schichten und die Anfangszeiten würden häufig kurzfristig festgelegt. »Oft ist erst wenige Tage im Voraus klar, ob die Leute um 4.12 Uhr oder um 6.30 Uhr am Betriebshof sein müssen.« Was vielen besonders auf den Nägeln brennt: »Die Tarifverträge lassen Schichtzeiten von bis zu 14 Stunden zu, teils sogar noch längere Dienste«, so Schackert. Dazwischen gebe es zwar unbezahlte Pausen von bis zu zwei Stunden, »aber das ist ja keine echte freie Zeit, in der man machen kann, was man möchte«. Insbesondere diese langen, oft wechselnden und kurzfristig festgelegten Schichten seien ein Problem und machten das Privatleben schwer planbar.

Aber wie sind 14-Stunden-Schichten überhaupt in Tarifverträge gekommen? Schackert verweist auf die Liberalisierung des ÖPNV um die Jahrtausendwende. Damals traten private Unternehmen in Konkurrenz zu Kommunalbetrieben. »Deren Beschäftigten wurde gesagt: Wenn das Unternehmen die Bus- und Bahnfahrten nicht billiger anbietet, verlieren wir den Verkehr.« Unter diesem Druck seien die tariflichen Arbeitsbedingungen verschlechtert worden.

Mehrheiten – in Betrieb und Gesellschaft.

Im Zentrum der kommenden Tarifrunde steht daher die Entlastung der Beschäftigten, nicht das Gehalt. Vielerorts haben die Lohntarifverträge noch eine längere Laufzeit, lediglich in vier Bundesländern (Brandenburg, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen) wird zusätzlich über Einkommen verhandelt. Um Verbesserungen bei der Arbeitszeit durchzusetzen, wurden oder werden in fast allen Regionen die Manteltarifverträge zum Ende des Jahres gekündigt – im kommunalen Nahverkehr gibt es für die einzelnen Bundesländer regionale Tarifverträge. Nur in Bayern habe die rechtzeitige Kündigung nicht geklappt, dort soll aber auch verhandelt werden. Streiks sind ab Januar in allen Bundesländern außer im Freistaat möglich.

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Um den Nahverkehr auszubauen und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist mehr Geld nötig. Mit der Kampagne »Wir fahren zusammen« wollen Verdi und Fridays for Future in den nächsten Monaten gemeinsam Unterschriften dafür sammeln, dass sich Bund und Länder stärker an der Finanzierung des Nahverkehrs beteiligen. Nicht digital, wie andere Petitionen, sondern direkt vor Ort, »in Betrieben, Schulen und Unis, unter Fahrgästen, bei Demonstrationen und gemeinsamen Aktionen«, erklärt Felicitas Heinisch von der bundesweiten Vernetzung der Kampagne »Wir fahren zusammen«. »Wir wollen Mehrheiten organisieren – in Betrieb und Gesellschaft.«

In Kassel haben das verschiedene Ortsgruppen schon einmal in der Straßenbahn getestet. »Die Resonanz war ziemlich gut«, berichtet Robin. Robin studiert Soziale Arbeit und war für die Leipziger Gruppe »Wir fahren zusammen« dabei. »Die Fahrgäste haben uns dabei erzählt, wo die Anbindung besonders schlecht ist oder wer die Bahnen besonders braucht. Man lernt die Stadt dadurch noch mal ganz neu kennen.« Das Konzept ist ausgetüftelt: Es geht um Sichtbarkeit nach außen, aber auch um Mobilisierung nach innen. Wer Unterschriften sammelt, fährt bis zur Endhaltestelle mit und zeigt der Fahrerin dann die Liste. »So kann sie sehen, wie viele Menschen sie unterstützen.« Einige Menschen, die unterschrieben, hätten sich danach selbst der Kampagne angeschlossen, erzählt Robin. In einem halben Jahr, zum Start der Tarifrunde im Nahverkehr, sollen die Unterschriften übergeben werden.

Parallel dazu wird in den Betrieben über die konkreten Forderungen diskutiert, bis Anfang Dezember sollen sie überall beschlossen sein. Denkbar sei, dass die Gewerkschaft Entlastungstage oder mehr Urlaub verlangt, meint Verdi-Fachbereichsleiter Schackert. Klar sei jetzt schon, dass mit überlangen Schichtdiensten von mehr als 13 Stunden künftig Schluss sein soll. Ziel sei es, wieder bundesweit einheitliche Arbeitsbedingungen herzustellen.

Verbesserungen sind auch nötig, um mehr Leute zu gewinnen – laut Bundesagentur für Arbeit gehören Bus- und Straßenbahnfahrer*innen zu den sogenannten Engpassberufen. »Der Nachwuchs fehlt«, bestätigt Heike Hessel, die bei den Leipziger Verkehrsbetrieben angestellt ist: »Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Nur die Alten bleiben bei der Stange.«

Verdi und FFF – was bringt die Kooperation?

Verdi kooperiert nach 2020 zum zweiten Mal in einer Nahverkehrstarifrunde mit der Klimaschutzbewegung. Was das bringt? Hessel hofft, »dass die Fridays Verständnis für unseren Streik in die Bevölkerung tragen«. Sie leidet darunter, wenn Fahrgäste ihren Ärger über Verspätungen an den Fahrer*innen auslassen. »Das ist echt schlecht fürs Arbeitsklima.« Und für die Streikbereitschaft, weiß Verdi-Mann Schackert. Die Kolleg*innen lasse es nicht kalt, ob sie in Medien ständig beschimpft oder eher unterstützt werden.

»Wir können den Tarifkonflikt nur gewinnen, wenn wir einen Großteil der Öffentlichkeit hinter uns haben«, sagt Schackert. »Wenn ich als Gewerkschafter bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer*innen fordere, kann man sagen: Ja gut, du vertrittst halt deren Einzelinteressen. Wenn die Fridays sagen, wir brauchen für den Klimaschutz einen guten öffentlichen Nahverkehr und attraktive Arbeitsbedingungen, dann ist das etwas anderes.«

Das ist wichtig für Verdi, weil man im öffentlichen Nahverkehr mit Streiks im Grunde keinen wirtschaftlichen Druck auf Unternehmen ausüben kann. Der Gewerkschafter erklärt das so: »Der öffentliche Nahverkehr benötigt Zuschüsse. Denn die Ticketeinnahmen sind geringer als die Betriebskosten.« Bei einem Ausstand sparten Unternehmen einen Großteil dieser Kosten: Die Streikenden erhalten keinen Lohn und Sprit oder Strom für Fahrten wird auch nicht benötigt. Die Folge: Bei einem Arbeitskampf sinken die Ausgaben oft stärker als die Einnahmen. Druck entsteht bei einem Streik im kommunalen Nahverkehr, weil die Menschen nicht mehr Bus oder Bahn fahren können. Dann sei wichtig, ob Medien und Passagiere die Beschäftigten oder die Unternehmen dafür verantwortlich machen und von wem sie ein Einlenken erwarten, sagt Schackert.

Wie sich Vorbehalte abbauen lassen

So naheliegend es inhaltlich ist, dass sich Gewerkschaft und Klimabewegung an diesem Punkt treffen, so herausfordernd ist es im Einzelnen – angesichts verschiedener politischer Kulturen und sozialer Hintergründe. Fridays for Future hängt noch immer das Image an, nur mehr Spielwiese sozial bessergestellter Mittelschichtskinder zu sein, die ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze und Preise radikale Forderungen aufstellen. Auch Straßenbahnfahrerin Hessel hatte Vorbehalte. Bei Klimaaktivisten dachte sie zuerst an Klimakleber und die gehen ihr zu weit. »Und wie die jungen Leute gegen die Polizei wettern, das ist mir nicht recht.« Das habe sie ihnen auch gesagt. Schon die Ausdrucksweisen sind sehr verschieden: Klimaaktivist*innen schmeißen mit Anglizismen um sich, sagen Sachen wie »ohne labour turn kein climate turn« und »global strike«. »Was wollen die von mir?«, fragt sich Hessel da manchmal. Sie spricht direkt und schnodderig, bei Englisch verknotet sich ihre Zunge. »Ich hab nur Russisch gelernt.«

Aber sie reden miteinander. »Wir arbeiten daran, die Gräben zu überwinden«, sagt Robin. Als im Frühjahr in der Tarifrunde öffentlicher Dienst auch Straßenbahn- und Busfahrer*innen zu Warnstreiks aufgerufen waren, machte sich Robin mit ein paar Mitstreiter*innen auf zum Straßenbahnbetriebshof in Leipzig. »Die sind zu uns gekommen und haben erklärt, sie würden unseren Arbeitskampf gern unterstützen«, erinnert sich Hessel. Nicht von allen wurden sie sofort mit offenen Armen empfangen. Aber »die Klimas« sind geblieben, auch nachts um drei am Streikposten, haben Geld für die Streikkasse gesammelt und die Streikenden mit Essen und Getränken versorgt. Das hat Eindruck gemacht und Vertrauen geschaffen.

»Durch das persönliche Gespräch lässt sich erkennen, dass wir ein gemeinsames Interesse haben«, sagt Robin. Das beste Bild dafür lieferte der Klimastreiktag am 3. März. Da führten in Köln 300 Busfahrer*innen die dortige Klimademo an. Auf diesen Erfahrungen wurde aufgebaut. In Leipzig gibt es seither regelmäßig gemeinsame Treffen von Klimaaktiven und Beschäftigten: »Wir haben gegrillt, Wikingerschach gespielt, halt schöne Sachen gemacht«, erzählt Robin. Robin war noch im Winter in Lützerath gegen die Ausweitung des Braunkohletagebaus aktiv – und am Ende ziemlich frustriert. Die Nahverkehrskampagne hat für neue Motivation gesorgt. »Die kapitalistische Wirtschaft umgestalten mit den Leuten, die darin tätig sind« – für Robin ist es ein neuer Aufbruch. »Raus aus der Ohnmacht.«

Dieses Gefühl verbindet Klimaaktivist*innen und Beschäftigte. So engagiert wie jetzt war Heike Hessel früher nicht. Sie ist zwar seit ihrer Lehre in der Gewerkschaft, wenn zum Streik aufgerufen wurde, hat sie mitgemacht. Aber mehr auch nicht. Die letzte Tarifrunde im öffentlichen Dienst habe das geändert. »Die war anders, jetzt organisieren die Ehrenamtlichen den Streik und Verdi unterstützt.« Dieses »Ihr seid Verdi«, das hat sie angesprochen.

Fridays diskutiert über neue Strategie

Für Robin sind die örtlichen Bündnisse von Verdi und FFF eine neue Stufe: »Wir machen nicht mehr nur Soliarbeit, wir organisieren uns gemeinsam.« Bei Fridays for Future wird derzeit diskutiert, welche Strategie die Bewegung einschlagen soll, um mehr zu bewirken. Ein Teil der Bewegung setzt auf eine stärkere Kooperation mit Gewerkschaften. »Wir erreichen erstmals Leute für mehr Klimaschutz, die sich bisher nicht für Klimapolitik interessiert haben«, sagt Felicitas Heinisch von Fridays for Future. Langfristiger arbeiten, statt immer nur kurzfristig viele Menschen auf die Straße zu bringen. Raus aus der Bubble – Heinisch fühlt sich zum ersten Mal richtig »wirkungsmächtig«. Wird dieser Ansatz von der gesamten Bewegung getragen? »Über 40 Ortsgruppen von Fridays sind beteiligt«, rechnet Heinisch vor. »Dass Kampagnen in dieser Breite getragen werden, ist selten. An einigen Orten gibt es ein Aktivitätslevel wie zuletzt 2019.« 2019, das Jahr vor Corona, als die Bewegung Hunderttausende auf die Straße brachte.

Erst haben die Fridays in den Betrieben erklärt, worum es ihnen geht, jetzt erklärt Heike Hessel selbst noch skeptischen Kollegen, warum sie beim Klimastreik mitmachen sollen. »Mit den Fridays kann man zusammenarbeiten«, sagt sie dann zum Beispiel, »das ist nicht die Letzte Generation. Die Fridays hören zu.« Und eines wünscht sich die Straßenbahnfahrerin noch von »den jungen Leuten«: »Am liebsten wäre mir, dass einige, wenn sie fertig studiert haben, neue Kollegen werden.«

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