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Sieben Jahre Hoffen

Steffi Niederzolls Dokumentarfilm »Sieben Winter in Teheran« rekonstruiert den Fall einer jungen Iranerin, die zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Reyhaneh Jabbari im Jahr, bevor sie als 19-Jährige einen Mord aus Notwehr beging.
Reyhaneh Jabbari im Jahr, bevor sie als 19-Jährige einen Mord aus Notwehr beging.

Reyhaneh Jabbaris Worte sind klar und bestimmt. »Ich bin 26 und werde gehängt, aber ich habe keine Angst.« Die Zeit im Gefängnis hat sie verändert. Sie ist politischer und kämpferischer geworden, hat ein Bewusstsein für das Unrecht entwickelt, das ihr und anderen Frauen im Iran angetan wird. Sieben Jahre verbringt die junge Frau in Haft, ehe sie 2014 schließlich hingerichtet wurde. Der Dokumentarfilm »Sieben Winter in Teheran« von Steffi Niederzoll, der seit Donnerstag in den deutschen Kinos läuft, rekonstruiert den Fall Reyhanehs und den Einsatz ihrer Familie für das Leben ihrer Tochter.

Im Jahr 2007 wurde die damals 19-jährige Studentin, die nebenbei als Inneneinrichterin jobbte, in einer Eisdiele von einem Mann mittleren Alters angesprochen. Er erzählte, er sei Plastischer Chirurg, sie kamen ins Gespräch über ihre Arbeit. Im Film wird erzählt, wie der vermeintliche neue Kunde Reyhaneh in eine Wohnung lockte, sie einsperrte und bedrängte. Aus Notwehr rammte sie dem Mann schließlich ein Küchenmesser in den Rücken.

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»Chirurg von Designer-Mädchen umgebracht«, titelte eine Zeitung. Die junge Studentin war in den Augen der Medien zur Mörderin eines einflussreichen Mannes geworden. Wie sich herausstellte, hatte er für den Geheimdienst gearbeitet. Reyhaneh hingegen wurde bewusst, wie wenig Macht sie selbst besaß.

Im Gefängnis kam sie in Isolationshaft, wurde verhört, bedroht, geschlagen und erpresst. Man sagte ihr, man würde auch ihre Schwester foltern. In den ersten Wochen durfte sie ihre Familie nicht sehen, 58 Tage bekam sie keinen Rechtsbeistand.

Im Laufe der Jahre gelang es, Briefe Reyhanehs aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Die iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi liest im Film aus diesen eindrucksvollen Texten, die einen Einblick in Reyhanehs Gefühlswelt und Entwicklung geben.

Steffi Niederzoll hat es geschafft, einen tief berührenden Film über eine Frau zu drehen, der sie selbst nie begegnet ist. »Sieben Winter in Teheran« hat Anfang 2023 in der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale Premiere gefeiert und gewann dort den Kompass-Perspektive-Preis.

Die Regisseurin nähert sich der jungen Frau über deren eigene Texte und Archivaufnahmen. Videos aus der Kindheit zeigen ein unbeschwertes Mädchen inmitten einer herzlichen Familie. Später zeigt sich ein anderes Bild. Niederzoll arbeitet unter anderem mit bedrückenden Handyaufnahmen, die heimlich bei Besuchen im Gefängnis gemacht wurden, um Beweise zu sammeln. Eine Szene zeigt Reyhanehs Mutter, wie sie im Auto vor dem Gefängnis sitzt und dabei die Nachricht bekommt, dass ihre Tochter gerade gehängt wurde. Denn im Dezember 2009 war sie wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt worden.

Steffi Niederzoll, die aus dem Spielfilm-Bereich kommt, hatte 2016 in Istanbul einen Teil von Reyhanehs Familie kennengelernt. Sie suchten jemanden, der aus dem Archivmaterial, das sie gesammelt hatten, einen Film machen würde, und fragten die Regisseurin.

Anfangs haderte Niederzoll mit der Idee. »Wie kann ich als Deutsche, die noch nie im Iran war, eine iranische Geschichte machen? Andererseits geht es um ein Frauenschicksal, das mich sehr berührt hat und an das ich anknüpfen kann.« Sie sichtete das Material und lernte Shole Pakravan, Reyhanehs Mutter, kennen. Eine Begegnung, die die Regisseurin als »magischen Moment« bezeichnet, weil sie sofort eine starke Nähe spürte.

Ein Gefühl, das sich im Film überträgt. Die Zuschauer*innen begleiten Shole dabei, wie sie sich bedingungslos für ihre Tochter einsetzt. Dafür versucht sie auch, mit der Familie des Chirurgen zu sprechen – um sie dazu zu bringen, Reyhaneh zu vergeben. Doch die Bemühungen bleiben erfolglos. Die Inhaftierte will nicht auf die Forderung eingehen, von ihren Anschuldigungen gegen den Chirurgen abzuweichen. Sie bleibt bei ihrer Aussage.

Sowohl Reyhaneh als auch ihre Mutter politisieren sich im Laufe der Zeit. Im Gefängnis lernt die junge Frau aus der Mittelschicht eine Welt kennen, mit der sie früher keine Berührungspunkte hatte. Sie freundete sich mit einer Frau an, die zur Prostitution gezwungen wurde und bekommt Einblicke in erschütternde Lebensgeschichten. Sie beginnt, sich aus dem Gefängnis heraus für die Rechte von Frauen einzusetzen.

Steffi Niederzoll wollte von den Bedingungen in den Gefängnissen erzählen. Gleichzeitig war klar, dass es zu gefährlich war, diesen Film im Iran zu drehen. Deshalb arbeitete sie mit Modellen von Gefängnissen, die nach den Berichten von Inhaftierten angefertigt wurden. So schafft es die Regisseurin, einen Eindruck selbst von Orten zu erzeugen, zu denen das Filmteam keinen Zugang hatte und von denen sie keine Aufnahmen bekam.

»Sieben Jahre in Teheran« ist ein eindrucksvolles Plädoyer gegen die Todesstrafe. Der Film übt eine harsche Kritik am iranischen Rechtssystem und zeigt, in welchen Zwangslagen und Zwickmühlen sich Frauen befinden. Im Film sprechen Frauen darüber, ob es besser wäre, sich im Falle einer Vergewaltigung nicht zu wehren. Doch selbst, wenn Reyhaneh den Übergriff erduldet und ertragen hätte: Sie hätte für unehelichen Sex verurteilt und mit Peitschenhieben bestraft werden können, erzählt Steffi Niederzoll.

Immer wieder schaffen es iranische Aktivist*innen, international auf Fälle wie den von Reyhaneh Jabbari aufmerksam zu machen. Vor einem Jahr starb die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini, nachdem sie wegen angeblichen Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung festgenommen worden war. Beamte sollen ihr auf den Kopf geschlagen haben. Ihr Tod löste langanhaltende Protestwellen aus.

Ein Jahr nach Aminis Tod kommt »Sieben Winter in Teheran« in die deutschen Kinos. Ein passender Zeitpunkt, um wieder auf die politische Lage im Iran und die Situation von Frauen aufmerksam zu machen, nachdem diese medial in den Hintergrund gerückt waren. Noch immer kämpfen Menschen im Iran gegen die Unterdrückung von Frauen – und das Regime als solches. Shole Pakravan lebt inzwischen in Deutschland und ist weiterhin politisch aktiv. Sie engagiert sich für Frauenrechte und gegen die Todesstrafe. Zusammen mit Steffi Niederzoll hat sie über Reyhaneh das Buch »Wie man ein Schmetterling wird« geschrieben, das Anfang des Jahres erschienen ist.

»Sieben Winter in Teheran«, Deutschland/Frankreich 2023. Regie: Steffi Niederzoll.
Mit: Reyhaneh Jabbari, Shole Pakravan, Fereydoon Jabbari, Shahrzad Jabbari, Sharare Jabbari, Parvaneh Hajilou, Mohammad Mostafaei, Samira Mokarrami, Zar Amir Ebrahimi. 97 Min. Jetzt im Kino.
Shole Pakravan, Steffi Niederzoll: Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari. Berlin Verlag, 272 S., geb., 24 €.

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