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Andreas Rettig beim DFB: Der Vertreter des Durchschnitts
Geschäftsführer Andreas Rettig soll den DFB gesellschaftlich neu verorten
Es war eine harmonische Veranstaltung, die zur späten Mittagszeit im riesigen Campus des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) zu Ende ging. Bei der Vorstellung von Andreas Rettig als neuem DFB-Geschäftsführer spielten sich der Neue und DFB-Präsident Bernd Neuendorf so gewandt die Bälle zu, dass man fast geneigt war zu glauben, was beide mehrfach betonten: dass sich beide Seiten auf die Zusammenarbeit freuten.
Für den DFB, dessen Zustand Rettig selbst am Montag als wirtschaftlich »herausfordernd« und sportlich »schwierig, aber mit Lichtblicken« bezeichnete, ist die Personalie wohl eine Flucht nach vorn. Neuendorf gab derweil zu, dass Rettig »nicht von vorneherein auf meinem Zettel gestanden« habe, weil er davon ausgegangen sei, dass »seine Lebensplanung das nicht vorsehe«. Dann habe Rettig, der vom DFB einen bis 2026 laufenden Vertrag erhielt, aber Interesse signalisiert. Daraufhin habe Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in seiner Eigenschaft als DFB-Vize grünes Licht gegeben. Zum Rotlicht aus Leipzig und München später mehr, zumal es für die Entscheidungsfindung unerheblich war.
So harmonisch die verbalen Doppelpässe zwischen Neuendorf und Rettig am Montag auch wirkten – intern dürften zunächst unverfänglichere Namen diskutiert worden seien. Der Eindruck, dass dem DFB neben Erfolg und Geld auch eine schlüssige Idee über seine künftige Verortung in der Gesellschaft fehlt, dürfte dann aber sehr für Rettig gesprochen haben. Ihm kann man schließlich vieles vorwerfen, aber sicher kein fehlendes politisches Bewusstsein nebst der Fähigkeit, seine Themen auch medial erfolgreich zu platzieren.
In den vergangenen Jahren hat sich Rettig auf vielen Kanälen für einen partizipativen Fußball eingesetzt, der die Interessen der (Stadion-)Zuschauer nicht nur berücksichtigt, sondern als Chance begreift. Das ist so ziemlich genau das Gegenmodell zum Schneller-Höher-Weiter, das einige Granden der Deutschen Fußball-Liga (DFL) favorisieren – mit dem Argument, man könne nur durch mehr externe Investoren an der englischen Premier League dranbleiben. Das allerdings sind weder die Sorgen des Bundesliga-Durchschnitts noch die der Zweitligisten, von denen Rettig als Geschäftsleiter des FC St. Pauli vier Jahre lang einen vertrat. Und schon gar nicht – man vergisst das manchmal – die der Millionen Amateurkicker, für die der DFB eigentlich zuständig ist.
Diese fallen indes nicht in Rettigs künftigen Aufgabenbereich. Als Geschäftsführer steht er dem DFB-Nachwuchs ebenso vor wie den drei Direktoren, unter anderem dem für Frauenfußball. Was die Männer-Nationalmannschaften angeht, sieht sich Rettig derweil nicht als jemand, »der aufs Spielfeld läuft und dem U17-Trainer um den Hals fällt«. Auch die Suche nach einem Nachfolger für Ex-Bundestrainer Hansi Flick soll Sportdirektor Rudi Völler abschließen, Rettig selbst wird über die finanziellen Modalitäten des Vertrags wachen.
In Sachen Finanzen war Rettig immer wieder mit Vertretern größerer Klubs in Konflikt geraten. Er hatte häufig eine fairere Verteilung der Fernsehgelder mit dem Hinweis gefordert, die »Gentrifizierung« der Liga müsse gestoppt werden. Auch am Montag bekannte er sich zur 50+1-Regelung, die den Einfluss von Investoren begrenzen soll: Wer den deutschen Fußball unterstützen wolle, sei hochwillkommen, müsse sich aber »an die Spielregeln des deutschen Fußballs halten«.
Mit solchen Positionen macht man sich Gegner, vielleicht sogar Feinde. Vor allem bei denen, die besonders hohe Fernsehgelder einstreichen. Dass Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern München und Oliver Mintzlaff von RB Leipzig ihre Mitgliedschaft in der DFB-Taskforce unmittelbar nach der Ernennung Rettigs hinschmissen, ist vielsagend. Zumal Rummenigge und Rettig in den vergangenen Jahren Lieblingsgegner waren. Ersterer bezeichnete Rettig schon mal als »Ideologen« und »König der Scheinheiligen«. Dieser konterte höflicher, aber inhaltlich nicht weniger scharf, dass Rummenigge früher mal »ein hervorragender Stürmer« gewesen sei.
Neben den vielen Rettig-Fans in der Branche gibt es allerdings auch Kritiker, die ihm seine frühere Tätigkeit als DFL-Geschäftsführer krummnehmen und ihm danach eine allzu schnelle Wandlung vom Saulus zum Paulus unterstellen. Am Montag gab sich Rettig nun versöhnlich. Er habe »natürlich vernommen, dass ich nicht unbedingt der Wunschkandidat des FC Bayern war« und habe noch am Freitag, vor Verkündigung seines neuen Jobs »versucht, zu Herrn Hoeneß und Herrn Rummenigge Kontakt aufzunehmen«. Das allerdings erfolglos, keiner der beiden habe sich zurückgemeldet.
Rettig werde dennoch auf alle seine Kritiker zugehen. »Und ich würde mich freuen, wenn der FC Bayern sich so einbringt, wie es seiner Rolle im deutschen Fußball gerecht wird.« Er selbst, versprach der DFB-Geschäftsführer, werde sich künftig bei vielen Themen zurückhalten. Mit einer Rückverwandlung zum Saulus ist aber offenbar nicht zu rechnen: »Natürlich ist das ein Spagat. Ich habe jetzt eine andere Rolle. Meine grundsätzliche Haltung wird sich aber nicht ändern. Einem guten Manager muss man nicht sagen, wann er Haltung zu zeigen hat.«
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