- Politik
- Prekäre Beschäftigung
Wissenschaftler wollen raus aus der Dauerbefristung
Gewerkschaft und Initiativen starten Petition für Gesetzesreform
Immer mehr Nachwuchswissenschaftler wehren sich gegen ihre Ausbeutung als Lehrende und Wasserträger für Professoren bei gleichzeitig fehlender Perspektive an ihrer Hochschule. Unter den Stichworten wie »Ich bin Hannah« oder »Frist ist Frust« berichteten sie in den vergangenen Jahren von ihrem von Überlastung und dem Hangeln von Zeitvertrag zu Zeitvertrag geprägten Alltag.
Grundlage für solche Verträge ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) – das nach zwei Reformen dem von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) seit über einem Jahrzehnt beklagten »Befristungsunwesen« an deutschen Hochschulen einen Riegel vorschieben sollte. Doch real ist diesbezüglich wenig passiert, auch weil die Hochschulen weiter Pseudo-Qualifizierungsziele als Grund für befristete Beschäftigungen angeben können.
Deshalb haben die GEW und weitere Organisationen am Mittwoch eine Petition für eine »echte Reform« des Gesetzes auf den Weg gebracht. Denn, so Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender und Hochschulexperte der GEW: »Fast neun von zehn wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten sind befristet beschäftigt, 42 Prozent der Arbeitsverträge haben eine Laufzeit von weniger als einem Jahr.« Das sei »nicht nur unfair gegenüber den hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern gefährdet auch die Qualität von Forschung und Lehre«.
Die Kernforderung lautet, dass die sogenannte Qualifizierungsphase mit der Promotion abgeschlossen sein muss und dass danach »Dauerstellen für Daueraufgaben in Lehre und Forschung« die Norm sein müssen.
Keller betont, das müsste auch im Interesse der Hochschulen und der Politik sein. Denn die Bundesrepublik brauche eine »starke Wissenschaft«, um »die sozialen und technologischen Herausforderungen von Klimakrise oder Digitalisierung zu meistern«. Mit »prekären Arbeitsbedingungen« gehe das nicht. Denn die hätten zur Folge, dass immer mehr Wissenschaftler ins Ausland oder in andere Branchen abwanderten.
Die Petition enthält sechs Forderungen an die Abgeordneten des Bundestags. Neben festen Verträgen nach der Promotion wird verlangt, dass die Promotionsphase eine Laufzeit »von in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahren« haben müsse. Nur in dieser Zeit solle es Befristungen geben. Danach müssten »Dauerstellen oder Entfristungszusagen angeboten werden«. Für studentische Beschäftigte müsse eine Regelvertragslaufzeit von zwei Jahren gelten. Und: Wer Kinder betreue, Angehörige pflege oder selbst behindert oder chronisch krank sei, solle einen Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich erhalten. Damit Gewerkschaften und Hochschulen vom Gesetz abweichende Tarifverträge zur Befristung aushandeln könnten, müsse zudem die sogenannte Tarifsperre aus dem Gesetz gestrichen werden.
Zwar hat das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geführte Ministerium für Bildung und Forschung im Juni den von der Regierung versprochenen Entwurf für eine weitere Reform des Gesetzes bereits vorgelegt. Dabei handle es sich aber eher um eine »kosmetische Reparaturnovelle«, meint GEW-Vize Keller.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.