»Clan«: C-Wort ohne Geschichte

Warum es ein Fehler wäre, sich das Wort »Clans« positiv »aneignen« zu wollen

  • Mohammed Ali Chahrour
  • Lesedauer: 5 Min.

Das SPD-geführte Bundesinnenministerium will Ausländer wegen einer vermuteten Zugehörigkeit zur sogenannten Clankriminalität ausweisen. Der Vorschlag ist der Gipfel einer Debatte, die vor allem in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Berlin seit Jahren geführt wird. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von »Clankriminalität« werden dort vor allem Bagatelldelikte verfolgt. Nicht nur in der kritischen Polizeiforschung wird dies zurecht kritisiert.

Der Begriff »Clan« ist dabei schon an sich problematisch. Er ist schottischer Herkunft und beschreibt dort einen größeren Familienverband, der sich auf einen gemeinsamen Urahnen bezieht. In der Ethnologie werden Strukturen anhand von »Clans« analysiert, um soziale Gefüge in indigenen Gruppen besser ergründen zu können. Wenn in Deutschland von »Clans« gesprochen wird, sind jedoch oft arabischstämmige und muslimische Menschen oder Angehörige der Sintiizze und Romnja gemeint. Der Begriff steht im deutschen Sprachgebrauch nahezu synonym für vermeintlich kriminelle Familien, die sich grundsätzlich nicht an Recht und Gesetz halten wollen.

Manche Akteure bemühen auch die historische Ursippe Aaschira, um Belege für die Existenz von »Clans« zu liefern. Sie war im arabischen Raum lange Zeit quasi der Identitätsausweis eines Menschen: Ohne Beleg einer Zugehörigkeit zu einer Aaschira konnte man nicht ohne weiteres heiraten, und wer woanders hinzog, gab sich darüber bei Ortsansässigen zu erkennen. Die Aaschira geht aber auf die vorislamische Zeit zurück und verlor vielerorts ihre gesellschaftliche Bedeutung.

Gut möglich also, dass die einstige Bedeutung der Familie in der arabischen Aaschira oder Qabila mit schottischen »Clans« vergleichbar wäre. Dennoch trennen sie neben Tausenden von Kilometern auch Religion, Kultur und Sprache. Die Aaschiras sind in der arabischen Welt zudem kaum noch vorzufinden. Würden die in Deutschland gern als »Clans« bezeichneten Familien heute in einem arabischen Café im Nahen Osten behaupten, sie seien eine Aaschira, würde Gelächter ausbrechen.

Zwar gehen zum Beispiel die heutigen Chahrours wie alle arabischen Familien auf eine solche vor Hunderten von Jahren begründete Ursippe zurück. Solche Stammbaumforschung ist aber wenig zielführend: Die Nachfahren der Ursippe, von der die Chahrours und viele weitere Familien abstammen, sind heute über den gesamten arabischen Raum verteilt, haben unterschiedliche Nationalitäten, verschiedene Dialekte und Konfessionen. Sie haben deshalb nicht mehr miteinander gemein als etwa Badenser und Preußen. Die Chahrours mögen als Araber zuweilen stolz auf ihre Herkunft sein, sind deshalb aber keine »Clans«. Schließlich hat die Aaschira von einst auch nichts mit dem ethnisierenden und kriminalisierenden Begriff der »Clans« von heute zu tun.

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In seiner derzeitigen Verwendung im deutschen Diskurs stammt der Begriff der »Clans« aus der Polizeiarbeit – ähnlich wie der wieder etwas in Vergessenheit geratene rassistische Begriff »Nafri«, ein Akronym für »nordafrikanische Intensivtäter«, den die Beamten unter sich verwendeten. Über die pseudo-ethnologische Bezugsgröße »Clan« erhält die rassistische Debatte einen Hauch von Wissenschaftlichkeit. So versuchen Strafverfolgungsbehörden über die Kategorie »Clan« eine besondere Qualität der Kriminalität von arabisch- und kurdischstämmigen Straftätern zu begründen, ohne sich vorwerfen lassen zu können, dass sie von kriminellen »Ausländern« und »Südländern« sprechen.

Gleichzeitig zeigen aber die Zahlen aus der Strafverfolgung, dass nur 0,1 bis 0,6 Prozent der Ermittlungen in der bundesweiten Statistik sich dem Phänomenbereich der sogenannten »Clankriminalität« zuordnen lassen. Ein verschwindend geringer Anteil. Dennoch besitzt die Debatte eine mediale und politische Omnipräsenz, weil sie rassistische Ressentiments bedient.

Um das besser zu verstehen, hilft die postkoloniale Perspektive, aus der die die Debatte um die sogenannte Clankriminalität exemplarisch ist. Wenn von »Clans« gesprochen wird, zeigt sich ein gängiger Mechanismus eurozentrischer Diskurse über muslimische Minderheiten. Dies hat der aus Palästina stammende US-amerikanische Literaturtheoretiker und -kritiker Edward Said in seinem Buch »Orientalismus« analysiert. Er kritisierte darin den westlichen Blick auf den Nahen Osten oder Minderheiten aus diesen Ländern.

Die »Clankriminalität« ist in dieser Hinsicht die neueste Fabrikation deutscher Neo-Orientalisten. Gemeint ist damit ein generalisierendes und dichotomes Verständnis des orientalischen »Anderen«, wie es der Göttinger Wissenschaftler Mubarak Altwaiji beschreibt. Dieses Verständnis basiert auf der Annahme einer moralischen und kulturellen Überlegenheit.

Diese Generalisierung ist das größte Problem des Clanbegriffs, denn hier werden die »Anderen« entindividualisiert und auf ihre vermeintliche Gruppenzugehörigkeit reduziert – und darauf, ob sie kriminell oder nicht kriminell sind. Sämtliche anderen Eigenschaften dieser Menschen treten hinter diese Dichotomie zurück. Das erzeugt ein Bild von den arabischen Schurken und deutschen Helden in Uniform.

Selbst Marcus Staiger und Mohamed Ahmad Chahrour, der über den Begriff im »nd« geschrieben hat, sind trotz ihrer wertvollen Arbeiten zum damit verbundenen Stigma in die Dichotomie-Falle getappt. Denn der Begriff »Clan« ist keine Eigenbezeichnung. Deshalb kann man ihm auch nicht »seine ursprüngliche Bedeutung und Würde« zurückgeben werden, wie es Mohamed Ahmad Chahrour vorschlägt.

Staiger wiederum schrieb nach Faesers Vorschlag, vermeintliche ausländische »Clanmitglieder« auch ohne Verurteilung abzuschieben, auf Twitter vom »betroffenen Nicken der nicht kriminellen Clan-Angehörigen«. Er wollte damit auf die Resignation in den Communitys gegenüber dem sich verschärfenden rassistischen Diskurs aufmerksam machen, reproduziert diese Stigmatisierung so jedoch selbst. Denn wer von »Clans« spricht, nutzt damit ein rassistisches Vokabular und lädt – gewollt oder ungewollt – zum Generalverdacht ein.

Dagegen hilft auch der Hinweis »nicht alle sind kriminell« nur wenig. Denn als jemand, der ebenfalls den Nachnamen Chahrour trägt, fühle ich mich dadurch nicht geschmeichelt, sondern auf eine billige Schablone reduziert. Denn im Grunde bleibt doch hängen, dass wir immerhin Kriminelle sein könnten, aber zum Glück nicht alle sind. Im Vordergrund stehen damit eben nicht die vielen Menschen, die normale Bürger dieses Landes sind.

Vermeintliche »Clans« sind also kein Relikt aus archaischen Stammesgesellschaften und die Geschichte der damit beschriebenen Menschen ist keine aus der arabischen Wüste. Die Diskriminierungen und Verfolgungen, die diese Schicksalsgemeinschaften formten, liegen nicht Jahrhunderte, sondern nur Jahrzehnte zurück. Gemeinsam ist ihnen nicht die Abstammung, sondern vielmehr ihre Vertreibung und Diskriminierung.

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