Brandenburg: Geringe Miete gleich Sozialismus

Alle anderen Parteien im Landtag lehnen Antrag der Linksfraktion zur Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Ich habe eine wahnsinnige Freude daran, dass sie alle gewillt sind, an einem Freitagmorgen mit uns über Enteignungen zu diskutieren«, gesteht die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke) ironisch. »Nur hat es überhaupt gar nichts mit diesem Antrag zu tun.«

Es ist um 9 Uhr der erste Tagesordnungspunkt. Nach dem Willen der oppositionellen Linksfraktion sollen die Abgeordneten Folgendes beschließen: »Um das Grundrecht auf Wohnen für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger dauerhaft und bezahlbar zu sichern, strebt das Land Brandenburg an, einen relevanten Anteil des Wohnungsmarktes (von mindestens 50 Prozent des Mietwohnungsbestandes) in eine neue Wohngemeinnützigkeit zu überführen.« Die Abgeordneten beschließen das aber nicht. Vielmehr stimmen nach etwa 50 Minuten Debatte alle anderen Fraktionen geschlossen gegen das Ansinnen der Sozialisten.

Den größten Widerwillen zeigen aber nicht die Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grüne, sondern die Freien Wähler und die AfD. Der Antrag werfe in die »tiefste sozialistische Vergangenheit zurück«, behauptet der AfD-Abgeordnete Daniel Münschke. Das laufe auf Enteignungen hinaus. »Damit kehrt Die Linke zurück zu ihren Wurzeln.« Sie solle doch die der DDR-Bevölkerung geraubten SED-Millionen nehmen und davon bezahlbare Wohnungen bauen, ätzt Münschke.

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Auch für Philip Zeschmann von den Freien Wählern ist Wohngemeinnützigkeit nur ein verhüllender Begriff für Enteignung. Dass staatlicher Wohnungsbau nicht funktioniere und keine einzige neue Wohnung entstehen würde, versucht Zeschmann mit einem Blick in die Geschichte zu untermauern. Das habe man in der DDR schon einmal gehabt. In Ostberlin seien in den 90er Jahren noch immer Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg in den Fassaden zu sehen gewesen.

Tatsächlich wollte die DDR mit einem 1973 beschlossenen Wohnungsbauprogramm die Wohnungsfrage bis zum Jahr 1990 lösen und hat das bis zur gesetzten Frist auch weitgehend geschafft. Vor allem entspannte die Errichtung von 1,9 Millionen Plattenbauwohnungen die Situation, während die geplante Rekonstruktion von Altbauwohnungen hinterherhinkte. Die Mieten waren unschlagbar günstig – so günstig, dass sie die Kosten nicht deckten, weshalb Instandsetzungen oft vernachlässigt wurden.

In Brandenburg gibt es heute knapp 1,37 Millionen Wohnungen. 8876 Wohnungen betrug der Zuwachs im vergangenen Jahr. 941 Wohnungen sind mit Fördermitteln neu gebaut worden, darunter 667 mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt aber immer weiter ab. Verfügte das Bundesland im Jahr 2000 noch über 101 500 Sozialwohnungen, so waren es 20 Jahre später lediglich noch 21 900, von denen im Jahr 2030 wahrscheinlich nur noch 12 500 übrig sein werden, wie Linke-Politikerin Vandré vorrechnet. Denn nach maximal 25 Jahren liefen die Beschränkungen bei der Miete aus und im schlimmsten Fall kassierten die Vermieter dann das maximal Mögliche, erklärt die 34-Jährige. Sie versucht vergeblich, Philip Zeschmann begreiflich zu machen, dass sie mit ihrem Antrag nicht an Enteignungen denkt. Freiwillig sollen sich Wohnungseigentümer entschließen, nach den Regeln der Gemeinnützigkeit zu vermieten und dafür im Gegenzug Steuervergünstigungen erhalten.

So ein System hat es in der Bundesrepublik bis 1990 gegeben. Es war eine Kostenmiete festgeschrieben, und Wohnungen durften nicht mehr als vier Prozent Rendite abwerfen. Dann gab es die Steuerermäßigung. 100 Millionen D-Mark habe Deutschland mit der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit kurzfristig einsparen wollen, zahle aber heute 17,2 Milliarden Euro für Wohngeld und andere Unterstützungsleitungen, bedauert Isabelle Vandré.

176 Millionen Euro Fördermittel gibt das Land Brandenburg im laufenden Jahr für den Wohnungsbau aus. 205 Millionen Euro sollen es im kommenden Jahr sein. Aber niemand könne so schnell neue Sozialwohnungen bauen, wie nun Jahr für Jahr aus der Mietpreisbindung herausfallen, argumentiert Vandré. Darum ihr Wunsch, die Hälfte des Wohnungsbestandes in die Gemeinnützigkeit zu überführen und damit bezahlbare Mieten für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen zu sichern.

Isabelle Vandré wurde im Sommer 1990 ein Jahr alt. Die mit 24 Jahren jüngste Landtagsabgeordnete Ricarda Budke (Grüne) hat damals noch nicht gelebt. Sie weiß aber, dass es die Wohngemeinnützigkeit in der Bundesrepublik gab, als die konservativen Parteien CDU und FDP regierten und im Westen die Marktwirtschaft herrschte und nicht etwa der Sozialismus. Budke muss schmunzeln, als sie die AfD und die Freien Wähler daran erinnert. Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit habe vielleicht kurzfristig Geld gespart, aber langfristig geschadet. Budke erklärt, dass die Grünen im Jahr 2020 im Bundestag die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit beantragt hatten und zusammen mit der Linksfraktion für eine Anhörung im Bauausschuss sorgten.

Inzwischen hat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) Eckpunkte mit drei Varianten für eine Reform vorgelegt. Bis Ende des Jahres soll eine Entscheidung fallen. Nicht von ungefähr verteidigt auch der Landtagsabgeordnete Ludwig Scheetz (SPD) die Idee der Wohngemeinnützigkeit. Er verweist auf das in der Brandenburger Verfassung verbriefte Recht auf Wohnen. Es ist dort allerdings nur als sogenanntes Staatsziel festgehalten. Die Bürger können ihr Recht auf Wohnen nicht einklagen.

Scheetz vertraut auf Bundesbauministerin Geywitz und möchte ihr in dieser komplizierten Sache nicht vorgreifen. Darum lehnt er den Antrag der Linksfraktion ab. Für Budke ist die Finanzierung noch nicht geklärt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sitzt auf dem Geld.

Scheetz vertraut auch Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU). Der allerdings ist der Ansicht, dass die Hälfte der Wohnungsbestände im Bundesland jetzt schon bezahlbar vermietet werden – durch die kommunalen Wohnungsgesellschaften und die Wohnungsgenossenschaften. Diese verlangten im Juni durchschnittlich 5,54 Euro nettokalt je Quadratmeter. Und sie lassen, so versichert Beermann, wenn die Belegungsbindung ausläuft, jene Menschen weiter wohnen, die einmal mit einem Wohnberechtigungsschein eingezogen sind.

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