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Rechtsruck: Die Demokratie in der Krise

Die neue Mitte-Studie zeigt, dass sich die Rechte weiter auf dem Vormarsch befindet. Was sind die Gründe dafür?

  • Timo Reuter
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Horrormeldungen scheinen nicht abzureißen: In Thüringen gewinnt die AfD in diesem Sommer zum erstem Mal eine Landratswahl, in Sachsen-Anhalt stellt sie nun einen hauptamtlichen Bürgermeister. Und während die Bedrohung durch rechte Gewalt unverändert hoch bleibt, ist die AfD sogar bundesweit in Umfragen zweitstärkste Kraft. Es bestehen kaum Zweifel: Die extreme wie populistische Rechte ist auf dem Vormarsch. Um sie aufzuhalten, braucht es nicht nur mutige Antifaschist*innen, sondern ebenso die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Doch auch diese Mitte rückt immer weiter nach rechts, das zeigen die neuen Ergebnisse der »Mitte-Studie«, die alle zwei Jahre rechtsextreme Einstellungen in Deutschland untersucht. Demnach lehnen fast 30 Prozent der Befragten eine Diktatur nicht eindeutig ab. Wie konnte es soweit kommen? Und was lässt sich dagegen tun?

Nun, wir leben im Zeitalter multipler Krisen: Corona und der Ukraine-Krieg, die Inflation und die Klimakatastrophe machen den Menschen Angst, sie belasten uns – und sie befeuern den Rechtsruck. Doch das ist eben kein Naturereignis. Die entscheidende Frage ist: Wie navigieren wir durch diese Krisen? Und genau das ist der springende Punkt: Die Verwerfungen, die der Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten produziert hat, werden nun im Brennglas der Krisen deutlicher als je zuvor.

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Da ist die zunehmende Verarmung, die auch bei jenen, die davon (noch) nicht betroffen sind, zu enormen Abstiegsängsten führt. Die Schere zwischen arm und reich klafft auseinander, der Sozialabbau hinterlässt große Gräben, die das Ehrenamt alleine kaum mehr zuschütten kann. Doch weil alles immer weiter wachsen soll, wollen auch jene, die gut mit weniger leben könnten, um keinen Preis verzichten. Viele Menschen können sich heute ein Leben jenseits von Konkurrenz und Wettbewerb ja kaum mehr vorstellen. Die Mitte-Studie nennt das »Marktförmigkeit« – durch die massive Verunsicherung der Krisen wird diese »entsichert«. Doch gerade die verunsicherten, marktförmigen Menschen sind anfällig für rechte Propaganda, so die Mitte-Studie.

Gefährdung der Demokratie

Und so gefährdet nun all das die Demokratie in kaum gekanntem Maße. Die pervertierte Wachstumsideologie, die kein Genug kennt, hat der Menschheit nämlich nicht nur die Klimakatastrophe beschert – jetzt, in Krisenzeiten, wenn sich vieles zuspitzt, werden die Ellbogen noch weiter ausgefahren. Und daran können rechte Narrative problemlos anknüpfen: Obwohl Rechte nämlich gern gegen »das System« hetzen, setzt ihre Ideologie im Kern auf Egoismus und die Dominanz der angeblich Stärkeren. Die Rechten versprechen ihren Anhängern einen Wettbewerbsvorteil im selbst ausgerufenen Konflikt um knappe Ressourcen – im Zweifel, daran erinnert uns die Geschichte, indem »die anderen« vernichtet werden. Der Kampf wird so zum verlängerten Arm der Konkurrenz.

Dass Faschisten und Rechte wie nun in Italien aus Klassenhass eigentlich eine Politik gegen Arme machen, komplettiert nur das Bild: Der Neofaschismus sichert als Feigenblatt des Neoliberalismus dessen Bestehen, das aufgrund der durch dieses System selbstverursachten Krisen in Gefahr geraten ist. Dies mag zugleich ein weiterer Grund sein, warum eben rechte und nicht linke Narrative die gesellschaftliche Mitte besonders erreichen: Weil Teile dieser Mitte – ebenso wie neoliberale Kräfte – mehr Angst vor Umverteilung als vor einem Neo(liberalen)-Faschismus haben. Ihr Ziel ist und bleibt die »Besitzstandswahrung«, wie es der Sozialpsychologie und Autor der Mitte-Studie, Andreas Zick, nennt.

Als vermeintliches Nebenprodukt hat der Konsumkapitalismus vereinzelte Gesellschaften produziert: Familienverbände haben sich aufgelöst, die Bindungen an Institutionen bröckeln. Doch Einsamkeit macht vulnerabel – und anfälliger für die Abwertung der anderen. Auch das zeigt die Mitte-Studie.

Und die Antwort der demokratischen Parteien? Sie verfallen zunehmend selbst in Populismus, wie auch Andreas Zick im Gespräch erläutert. Allen voran Teile der Union, der in der Post-Merkel-Ära ihre Identität abhandengekommen ist und die diese nun im rechtspopulistischen Kulturkampf sucht. Die jüngste Zusammenarbeit der CDU ausgerechnet mit der Thüringer AfD des Faschisten Höcke ist dabei vermutlich nur der vorläufige Tiefpunkt. Dabei wären gerade die Konservativen historisch betrachtet ein wichtiges Bollwerk gegen den Faschismus – wenn sie die Menschen rechts der Mitte abholen, aber zugleich eine Brandmauer gegen Antidemokraten ziehen. Aber auch die anderen Parteien haben kaum Lösungen: Die FDP schwankt zwischen dem (alten) Wirtschaftsliberalismus und der (neuen) Rechten – und garniert dies mit gesellschaftspolitischen Farbtupfern. Die Grünen bauen Fahrradwege und fordern seit neustem sogar mehr Abschiebungen. Die Linke zerfetzt sich selbst und die SPD setzt lieber den Rotstift an, als wäre dessen Farbe ausschlaggebend und nicht die Verwerfungen, die ständige Kürzungspolitik nach sich ziehen.

Privilegien abbauen und Vorurteile überwinden

Trotz aller berechtigten Kritik an der Politik und am neoliberalen Kapitalismus wäre es aber falsch, AfD-Wähler*innen nur als Opfer der Umstände zu sehen. Die Demokratie kann es sich zwar nicht leisten, ein Fünftel der Wähler*innen dauerhaft auszuschließen. Aber die Hand sollte eben nur für jene ausgestreckt bleiben, die grundsätzlich bereit sind, die Würde aller Menschen zu achten. Bei alledem sollte eines nicht vergessen werden: Die Vorurteile, an die Rechtspopulisten nun anknüpfen, sind nicht neu. Ob Rassismus oder Antisemitismus, ob Ressentiments gegen sexuelle Minderheiten oder gegen ökonomisch oder körperlich Schwächere – all das durchdringt unsere Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten bis ins Mark, sei es in alltäglicher Sprache oder in Form institutioneller Praktiken der Abwertung. Es reicht also nicht, auf böse AfD-Wähler*innen zu zeigen – wir alle müssen diese Vorurteile in uns selbst bearbeiten, statt sie abzuwehren. Es geht nicht so sehr um Schuld, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen und bereit zu sein, jene Privilegien aufzugeben, welche durch die alten Vorurteile gesichert werden.

Wir, die wir nicht wollen, dass die AfD irgendwann einen Einparteienstaat errichtet, müssen also Verantwortung übernehmen – und zwar nicht im neoliberalen Sinn, in dem gesellschaftliche Verantwortung einfach privatisiert wird. Vielmehr geht es um die Fürsorge für unsere Mitmenschen. Und um die gemeinsame Verantwortung für die Demokratie. Das heißt: Wir müssen Opfer rechter Hetze und Gewalt schützen und Minderheiten stärken. Wir müssen uns für einen respektvollen Umgang einsetzen. Wichtig ist auch, dass es mehr niedrigschwellige Begegnungsräume für alle gibt. Räume, in denen Menschen anderen, die anders sind, begegnen können. Denn so werden Vorurteile abgebaut.

Natürlich geht es nicht ohne die Politik. Sie muss ehrlicher kommunizieren, dass sich manche alte Privilegien nicht zurückholen lassen. Sie muss ihr eigenes Handeln transparent machen und bereit sein, wieder in gute Infrastruktur zu investieren. In Krankenhäuser und Schienen, in Theater und Museen – und vor allem in eine klimagerechte Zukunft sowie »in politische, soziale und historische Bildung«, wie Studienautor Zick fordert. Zudem müsse die Politik die Zivilgesellschaft stärken, nur sie kann dem Populismus die Stirn bieten.

Für Würde und Gleichheit aller Menschen

Solidarität ist das Gegenmittel gegen das rechte Gift der Spaltung. Sie könnte auch am Anfang einer neuen Erzählung stehen. Denn zu allem Überfluss sind sinnstiftende Narrative selten geworden. Früher hieß es, dass es unseren Kindern einmal besser gehen wird. Doch heute machen vor allem die Rechten Identitätsangebote. Dem müssen vermehrt solidarische Erzählungen entgegengestellt werden, die Menschen in Zeiten von Angst und Vereinzelung auch emotional erreichen. Dafür braucht es Allianzen, so wie die zivile Seenotrettung oder lokale Klimabündnisse, wie Gruppen gegen rechts oder global vernetzte Initiativen für faire Lieferketten. Außerdem müssen Vereine, Gewerkschaften oder auch Kirchen ins Boot geholt werden. Weil sie alle unter Mitgliedschwund leiden, ginge es auch darum, bessere Zugangswege zu schaffen, sodass möglichst viele Menschen mitmachen können.

Eine identitätsstiftende Zukunftsperspektive schließt natürlich auch die Klimakatastrophe ein: Wie kann notwendiger Verzicht so gestaltet werden, dass ein gutes Leben möglich ist? Wie müssen Arbeit und Bildung dafür anders organisiert werden? Der Klimawandel ist die vielleicht größte Bedrohung der Menschheit und ihre womöglich letzte große Chance: Nutzen wir die erforderliche Transformation, um eine bessere Gesellschaft zu bauen, in der Jüngere mehr Mitbestimmung und Alte einen würdigen Platz bekommen, in der niemand gleichgemacht wird, aber alle die gleichen Rechte haben.

Für das eine oder andere gibt es schon heute gesellschaftliche Mehrheiten, das zeigt die Mitte-Studie: So wollen mehr als drei Viertel, dass Würde und Gleichheit aller an erster Stelle stehen. Eine klare Mehrheit zeigt sich progressiv in Bezug auf Klimaschutz. Und fast 80 Prozent sind einer Umverteilung von oben nach unten nicht abgeneigt. Daran lässt sich anknüpfen.

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