Alle gegen »irreguläre Migration«

Kanzler und Innenministerin jetzt für stationäre Grenzkontrollen. Grüne versprechen mehr Pragmatismus

Parteiübergreifend debattiert die Bundespolitik darüber, wie sich die »irreguläre« Migration begrenzen lässt. Als Ziel wird dabei formuliert, die vermeintlich flächendeckend bei Unterbringung und Integration von Geflüchteten überforderten Kommunen müssten sofort entlastet werden. Als akute Lösungen sind vor allem »schnellere« Abschiebungen, die Deklaration von mehr Ländern zu »sicheren Herkunftsstaaten«, Rückführungsabkommen und stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien im Gespräch.

Am Samstag äußerte sich nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz zum Thema – auf einer Wahlkampfveranstaltung in Nürnberg. Weil die Zahl derer, die nach Europa und Deutschland kämen, »dramatisch zugenommen habe«, müssten Abschiebungen »effektiver« vonstatten gehen, sagte er. Man werde je nach aktueller Lage »an den Grenzen möglicherweise weitere Maßnahmen ergreifen müssen«.

Scholz betonte, Deutschland bekenne sich zum Asylrecht. Wer komme und sich nicht auf Schutzgründe berufen könne oder Straftaten begangen habe, müsse aber zurückgeführt werden. Hierfür sei bereits vieles vorangebracht worden. So sei mit den Ländern vereinbart worden, dass ihre zuständigen Behörden 24 Stunden erreichbar sind. Der Kanzler verwies zudem auf eine geplante Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten im Asylrecht.

Mit Blick auf die Lage an den Grenzen im Osten forderte Scholz Aufklärung über mögliche Unregelmäßigkeiten bei Visavergaben in Polen: »Ich möchte nicht, dass aus Polen einfach durchgewinkt wird und wir dann hinterher die Diskussion führen über unsere Asylpolitik.« Es müsse so sein, »dass, wer in Polen ankommt, dort registriert wird und dort ein Asylverfahren macht« – und nicht Visa, die für Geld verteilt würden, das Problem in der Bundesrepublik vergrößerten. Scholz hob zudem Vereinbarungen mit der Schweiz hervor, nach denen Bundespolizisten auch Zurückweisungen aussprächen. Ähnliche Lösungen würden gegenwärtig mit Tschechien diskutiert.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die bislang stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien abgelehnt hatte, revidierte ihre Ansicht. Der »Welt am Sonntag« sagte sie, solche Überprüfungen für einen begrenzten Zeitraum seien »eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen«. Zugleich betonte Faeser: »Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt.« Wenn eine Person an der Grenze um Asyl bitte, müsse der Asylantrag in Deutschland geprüft werden.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat indes erst vergangene Woche klargestellt, dass Zurückweisungen an europäischen Binnengrenzen rechtswidrig sind. Das Urteil betrifft ausdrücklich nicht nur Personen, die Asyl beantragen, sondern auch andere Migranten.

CDU-Chef Friedrich Merz forderte Scholz derweil am Wochenende erneut auf, gemeinsam mit der Union eine Lösung zu suchen. »Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns das zusammen machen, und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen – aber wir müssen dieses Problem lösen«, sagte er am Samstag auf dem CSU-Parteitag in München. Wenn »das Problem« nicht gelöst werde, sei Scholz allein für die unter Umständen nicht mehr aufzuhaltenden Folgen verantwortlich – einschließlich einer weiteren »Radikalisierung des Parteienspektrums«.

FDP-Chef Christian Lindner brachte wie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann eine Grundgesetzänderung nach dem Vorbild des sogenannten Asylkompromisses von 1993 ins Spiel. Damals waren von der CDU-FDP-Bundesregierung mit Zustimmung der oppositionellen SPD starke Einschränkungen des Asylrechts im Grundgesetz durchgesetzt worden. Im Onlinedienst X, vormals Twitter, schrieb der Bundesjustizminister am Samstag: »Wir brauchen eine Wende in der Migrationspolitik wie den Asylkompromiss Anfang der 1990er Jahre.« Er begrüße, so Lindner, dass sowohl Grünen-Vizekanzler Robert Habeck als auch Merz das so sähen. »Bei den Grünen ist das ein neuer Schritt«, lobte er.

Dagegen wetterte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai: »Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen.«

Habeck betonte am Wochenende gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: »Wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen.« Die Grünen seien zu »pragmatischen Lösungen« bereit, dies habe die Zustimmung seiner Partei zur EU-Asylreform gezeigt. Diese sieht unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der Union vor. Auf dem Landesparteitag der Grünen in Schleswig-Holstein sprach sich der Vizekanzler für Rückführungsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern aus.

Der stellvertretende hessische Ministerpräsident Tarek Al-Wazir begrüßte Habecks Forderungen. EU-Asylrechtseinschränkungen und Rückführungen seien notwendig, um die Freizügigkeit innerhalb Europas und das Asylrecht in Deutschland zu schützen, so der Spitzenkandidat der Grünen zur hessischen Landtagswahl.

Unterdessen hat die Ampel-Regierung offenbar ein Projekt aus ihrem Koalitionsvertrag beerdigt, nämlich die Erleichterung des sogenannten Familiennachzugs für Menschen mit sogenanntem subsidiären Schutzstatus. Die Große Koalition hatte das Recht dieser Personengruppe, ihre engsten Angehörigen nach Deutschland zu holen, 2016 faktisch außer Kraft gesetzt. Dies betrifft insbesondere Kriegsflüchtlinge aus Syrien.

Innenministerin Faeser sagte am Freitag im Bundestag, sie plane »im Moment« keine Erleichterungen des Familiennachzugs. Die »Welt am Sonntag« hatte zuvor online über einen Referentenentwurf aus Faesers Ministerium berichtet, dem zufolge der Familiennachzug »erheblich erweitert werden« solle. Der Entwurf sehe vor, dass künftig bei subsidiär Schutzberechtigten der Familiennachzug dem von anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt werden solle. Auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen solle es deutliche Erleichterungen bezüglich der Einreise von Verwandten geben.

Erst am vergangenen Mittwoch hatten 30 Organisationen die Bundesregierung aufgefordert, ihre Versprechen beim Familiennachzug umzusetzen.

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