Amanda Jara: »Er war ein warmherziger Mensch«

Amanda Jara, die Tochter des legendären chilenischen Sängers Víctor Jara, war auf Deutschlandtour

  • Volker Külow
  • Lesedauer: 5 Min.

Was für eine furiose und erlebnisreiche Woche haben Amanda Jara und Yolanda Marvel hinter sich! Die Tochter des legendären chilenischen Volkssängers Víctor Jara und ihre musikalische Begleiterin tourten auf Einladung des Leipziger Felsenkellers und mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der »Jungen Welt« anlässlich des 50. Jahrestages des blutigen Putsches gegen die Allende-Regierung am 11. im September 1973 durch sechs deutsche Städte. Von Frankfurt/Main ging es zunächst Richtung Norden nach Hamburg und dann in den Osten Deutschlands, nach Chemnitz, Leipzig und Berlin sowie zum Abschluss nach Cottbus. Die Resonanz war überall großartig, jeder Saal ausverkauft und keineswegs nur von Deutschen gefüllt. Wenn Yolanda in die Runde fragte: »Wer kommt aus Chile?«, meldeten sich stets etliche Gäste.

Yolanda präsentierte ausdrucksstark mit ihrer E-Gitarre ein Dutzend Lieder aus verschiedenen Schaffensphasen Víctor Jaras in insgesamt vier Blöcken. Dazwischen erzählt Amanda chronologisch aus dem Leben ihres Vaters und von seiner brutalen Ermordung am 16. September 1973. Er wurde nur 39 Jahre alt und Amanda war damals knapp neun. Das Hauptanliegen ihrer Tournee hatte sie vorab wie folgt formuliert: »Nach dem Sturz Allendes war die Solidarität mit dem chilenischen Volk in der BRD, noch mehr aber in der DDR sehr groß. Das haben wir auch nach einem halben Jahrhundert keineswegs vergessen. Viele Landsleute fanden hier eine neue Heimat und leben mit ihren Nachkommen teilweise noch immer in Deutschland. Mit unseren Auftritten wollen wir vor allem das deutsche Publikum mit dem Werk meines Vaters und damit zugleich mit der revolutionären Geschichte und Gegenwart Chiles näher vertraut machen.«

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Dieser selbst gestellten Aufgabe wurde die 58-jährige Amanda auf eine sehr anrührende Weise gerecht, die das Publikum regelrecht verzauberte. Sie ist konzentriert und bereit, geduldig und ausführlich auf alle Fragen einzugehen. Sie antwortet mit einer offen zugewandten, liebenswerten natürlichen Ausstrahlung. Amanda kann wunderbar erzählen und lacht viel, was ansteckend wirkt, etwa wenn sie sich zum Beispiel so an ihren Vater erinnert: »Er war ein warmherziger Mensch und immer sehr präsent. Am schönsten waren die tollen Feiern, wenn er sich für mich an meinem Geburtstag am 9. Oktober immer verkleidete.«

Es wurde nahezu totenstill im Saal in Leipzig, als sie spürbar für alle an ihre emotionalen Grenzen ging und über die schrecklichen Tage im September 1973 sprach, wobei ihr mitunter fast die Stimme versagte: »Diese Tragödie trug gesamtgesellschaftlichen Charakter. Sie traf neben uns Tausende weitere chilenische Familien, die bis heute unter diesem Trauma leiden«. In traurigen Momenten tröste sie sich selbst mit dem poetischen Satz der argentinischen Mapuche-Sängerin Beatriz Pichi Malen, die sie sehr schätzt und auch persönlich kennt: »Víctor Jara wurde nicht getötet, er wurde gesät.«

Diese Saat weiter zu pflegen, begreift Amanda als Lebensaufgabe. Sie hat von ihrer Mutter – die inzwischen 96 Jahre alt ist – den Vorsitz der 1994 gegründeten Víctor-Jara-Stiftung übernommen, die im Unterschied zur Salvador-Allende-Stiftung keinerlei staatliche Unterstützung erhält und daher auf die Unterstützung aus der Bevölkerung angewiesen ist. Mithilfe der Stiftung führt sie gemeinsam mit vielen anderen seit Jahrzehnten einen zähen, aufreibenden, in kleinen Schritten auch erfolgreichen Kampf, damit die ungeheuren Verbrechen des Pinochet-Regimes nicht vergessen werden. Der Ort der Ermordung von Víctor Jara trägt seit 2003 nunmehr seinen Namen: »Estadio Víctor Jara«. Es ist das Stadion, das die Pinochet-Putschisten in ein KZ verwandelt hatten und in dem ihr Vater umgebracht wurde. Sieben der an dem Mord beteiligten Soldaten wurden unlängst schuldig gesprochen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Aber trotzdem bleiben die rechten Kräfte im heutigen Chile stark und gefährlich, betont Amanda immer wieder.

Während sie das Publikum mit Erzählungen über ihr Heimatland und ihre Familiengeschichte von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart fesselte, wusste Yolanda Marvel auf andere Weise zu faszinieren. Ihre Interpretation der Lieder Víctor Jaras erläuterte sie in fast akzentfreiem Deutsch. So erzählte sie beispielsweise, wie der Sänger in Havanna von Fidel Castro eingeladen worden war und dann aber »nur« von Che Guevara empfangen wurde und darüber einen Song machte. Oder wir erfahren etwas über das berührende Lied »Luchin«, das von einem kleinen Findelkind berichtet, das bei Rettungsarbeiten gefunden und später adoptiert wurde. »El derecho de vivir en paz« ist vielen Menschen auf der Welt vertraut, seit Víctor Jara es für Ho Chi Minh spielte. Zum Abschluss intonierte Yolanda stets »Manifiesto«, von Víctor Jara noch im Juni 1973 für ein Album aufgenommen und von seiner Witwe Joan Jara nach dem Putsch mit ins Londoner Exil geschmuggelt.

Ein besonderer Höhepunkt der Tour war zweifellos der Auftritt im Leipziger Felsenkeller, zu dem viel mehr Menschen wollten als eingelassen werden konnten. Auch in Leipzig fanden Hunderte vor der Pinochet-Diktatur geflüchtete Chileninnen und Chilenen ab 1973 für einige Jahre eine neue Heimat und absolvierten am Herder-Institut einen Sprachkurs wie die spätere sozialistische Präsidentin Chiles Michelle Bachelet, die ebenfalls dieser Tage in der Bundesrepublik weilte, als Gast der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Amanda selbst hat ebenfalls einen persönlichen Berührungspunkt zur Messestadt. Der populäre Choreograf und Tänzer Patricio Bunster, erster Ehemann von Joan Jara und Vater von Amandas älterer Schwester Manuela, war 1973 auch in die DDR geflüchtet. Zunächst am Volkstheater Rostock engagiert, wurde er 1979 Dozent für Zeitgenössischen Tanz und Choreografie an der Palucca-Ballett-Hochschule Dresden und zugleich Gastdozent an der damaligen Theaterhochschule »Hans Otto« in Leipzig. Einige archivalische Fundstücke über den sächsischen Lebensabschnitt des 2006 in Santiago de Chile verstorbenen Künstlers hat Amanda nach ihrer Deutschlandtor mit nach Chile genommen und inzwischen auch ihrer Mutter und Halbschwester übergeben.

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