Gaza: Bombardements nach Angriff

Israel schlägt nach überraschenden Attacken der Hamas zurück, Einwohner sollen Gaza verlassen

  • Lesedauer: 6 Min.

Die israelische Luftwaffe hat nach den überraschenden Großangriffen militanter Palästinenser in der Nacht zum Sonntag weitere Ziele im Gazastreifen attackiert. In den Kämpfen seit Samstag kamen auf beiden Seiten bislang Hunderte Menschen ums Leben. In Israel berichteten Medien mit Stand Samstagabend von 300 Toten und etwa 1600 Verletzten.

Der oberste Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, Konteradmiral Daniel Hagari, sagte, das Militär habe mehr als 400 »palästinensische Terroristen« im Süden Israels und im Gazastreifen getötet und Dutzende weitere gefangen genommen.

Bei den als Reaktion erfolgten israelischen Bombardements im Gazastreifen wurden bisher 313 Menschen getötet, 1990 seien verletzt worden. Das teilte das Gesundheitsministerium in Gaza am Sonntag mit. Unter den Toten und Verletzten seien auch Minderjährige.

Nach Angaben der israelischen Armee wurden in der Nacht zum Sonntag zehn Hamas-Ziele getroffen. Sie hätten sich in mehrstöckigen Gebäuden befunden. Unter anderem seien ein Geheimdiensthauptquartier sowie eine militärische Einrichtung angegriffen worden. Auch eine Waffenproduktionsstätte der militanten Organisation Islamischer Dschihad in Gaza sowie Waffenlager seien getroffen worden.

Bereits am Samstag hatte die Luftwaffe in Gaza-Stadt mehrere Bürotürme zum Einsturz gebracht. Im Fernsehsender Al Jazeera war einer dieser Raketenangriffe im Hintergrund zu sehen, während sich die Reporterin Youmna ElSayed in einer Liveschalte befand.

Unterstützt von einem Hagel Tausender Raketen waren Hamas-Kämpfer aus dem blockierten Gazastreifen am Samstag in nahe gelegene israelische Städte eingedrungen. Dabei töteten sie mehrere Menschen und verschleppten eine unbekannte Zahl Soldaten und Zivilisten in den Gazastreifen, darunter laut Medien auch Kinder. Medienberichten zufolge soll die Zahl der Geiseln zwischen 50 und 100 liegen. Die Hamas kündigte an, am Sonntag Details bekannt zu geben.

Nach Angaben des thailändischen Außenministeriums wurden im Süden Israels elf thailändische Staatsangehörige als Geiseln genommen und vermutlich nach Gaza gebracht.

Die Bundesregierung prüft, ob unter den Geiseln deutsche Staatsbürger sind. Berichten zufolge soll sich unter ihnen auch die in Baden-Württemberg lebende, 22-jährige Shani Louk befinden. Sie soll an einem Technofestival unweit der Grenze zu Gaza teilgenommen haben, das von der Hamas angegriffen wurde. Die Bilder Hunderter daraufhin fliehender Raver wurden ebenfalls zahlreich in Sozialen Medien geteilt. Ob Louk noch am Leben ist, bleibt unklar. Ein Video zeigt, wie sie auf einem Pick-up von Bewaffneten weggeschafft wurde, ihr Körper blieb dabei regungslos. Die Familie des Opfers hat sich an deutsche Medien gewandt und das Auswärtige Amt um Hilfe gebeten.

Auch Avidan T., ein womöglich in Israel lebender junger Franzose, soll entführt worden sein. Er hatte nach Medienberichten ebenfalls an dem Musikfestival in der Wüste im Süden Israels teilgenommen. Die britische Botschaft bestätigte gegenüber dem Sender Sky News, dass der britisch-israelische Staatsbürger Jake Marlow in der Region vermisst wird, nachdem die Wüstenparty besucht hat.

Israel kündigte eine Evakuierung seiner Grenzorte zum Gazastreifen an und erklärte die Gebiete zur militärischen Sperrzone. In diesen israelischen Städten schlugen auch in der Nacht zum Sonntag wieder Hamas-Raketen ein. Laut Medienberichten wurde in der Grenzstadt Sderot ein Mensch schwer verletzt.

Zugleich wuchs die Besorgnis über eine Ausweitung der Kämpfe im Nahen Osten. Eine weitere militante Gruppe, die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon, beschoss Sonntagmorgen von Norden her israelisches Grenzgebiet mit Raketen. Das teilte ein Sprecher der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) mit. Israelische Artillerie habe die Zone im Libanon, von der aus geschossen wurde, unter Feuer genommen. Die eng mit dem Iran verbündete Hisbollah übernahm die Verantwortung für den Raketenbeschuss; er wurde auch von der Beobachtermission der Vereinten Nationen im Libanon (Unifil) bestätigt. Sonntagmittag gab es zum zweiten Mal Beschuss aus dem Libanon.

Israel hat nach dem Angriff die Militärmission »Iron Swords« (Eiserne Schwerter) ausgerufen und Reservisten einberufen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte als Ziel, die militärischen und regierungstechnischen Kapazitäten der Hamas und des Islamischen Dschihad so zu zerstören, »dass sie für viele Jahre nicht mehr in der Lage und bereit sind, die Bürger Israels zu bedrohen und anzugreifen«. Die Einfuhr von Strom, Brennstoff und Waren in den Gazastreifen wurde gestoppt.

»Wir beginnen einen langen und schwierigen Krieg, der uns durch einen mörderischen Angriff der Hamas aufgezwungen wurde«, sagte Netanjahu. »Wir werden alle Orte, an denen die Hamas organisiert ist und sich versteckt, in Trümmerinseln verwandeln«, hatte er zuvor in einer Ansprache gesagt. Die Bewohner des Gazastreifens forderte er auf: »Flieht jetzt von dort, denn wir werden überall und mit all unserer Kraft handeln.« Israel werde Rache nehmen.

In sozialen Medien wurde die Ankündigung Netanjahus mit Häme aufgenommen: Israel habe Gaza in den vergangenen 16 Jahren in ein Freiluftgefängnis verwandelt, das viele seiner Bewohner gar nicht verlassen könnten, heißt es in zahlreichen Postings. Andere Kommentatoren nannten den Großangriff der Hamas deshalb auch »Prison Break« (Gefängnisausbruch).

Der Sprecher der Hamas, Ghazi Hamad, sagte dem Sender BBC, die Gruppe habe direkte Unterstützung für den Angriff vom Iran erhalten. Der Iran habe sich verpflichtet, »den palästinensischen Kämpfern bis zur Befreiung Palästinas und Jerusalems beizustehen«.

Die Angriffe trafen Israel am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) vollkommen überraschend. Zahlreiche Einwohner der attackierten Ortschaften berichteten, sie hätten stundenlang vergeblich auf Hilfe von Sicherheitskräften gewartet. Das Militär begann daraufhin mit Gegenschlägen im Gazastreifen. Am Sonntag schalteten Soldaten nach offiziellen Angaben fünf weitere militante Palästinenser aus, die am Strand nach Israel eindringen wollten. Der israelische Rundfunk berichtete, die Männer seien getötet worden. Dies bestätigte der Armeesprecher jedoch nicht.

Unterdessen geht die Gewalt auch im Westjordanland weiter. Bei Zusammenstößen mit der israelischen Armee wurden am Samstag in mehreren Orten sechs Palästinenser getötet, darunter ein 13 Jahre alter Junge, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah mitteilte. Ein weiterer Mann wurde palästinensischen Angaben zufolge nach einem versuchten Messerangriff von israelischen Soldaten erschossen.

Am Sonntagmorgen hat ein Polizist im Nachbarland Ägypten laut einem Medienbericht zwei israelische Touristen und einen Ägypter erschossen. Er habe »wahllos« auf eine israelische Reisegruppe in der Stadt Alexandria geschossen, berichtete der Fernsehsender Extra News. Der Polizist sei festgenommen worden.

Im Hintergrund liefen unterdessen in Israel am Samstag Gespräche über die Bildung einer Notstandsregierung. Netanjahu habe den beiden Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz den Eintritt in eine Notstandsregierung angeboten, teilte ein Sprecher von Netanjahus Likud-Partei mit. Zuvor hatte Lapid bereits die Bereitschaft dazu signalisiert. Medienberichten zufolge soll ein Treffen zwischen Lapid und Gantz jedoch ohne Einigung geblieben sein. nd/ Agenturen

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