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Großkundgebung gegen Postgesetz in Berlin: »Heiße Phase beginnt«
Die Gewerkschaft Verdi warnt vor Stellenabbau und schlechteren Arbeitsbedingungen
»Die heiße Phase um die Auseinandersetzung für ein gutes Postgesetz beginnt jetzt«, rief der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke am Montag auf der Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor den Beschäftigten der Post zu. Zur Kundgebung waren nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft rund 30 000 Beschäftigte aus der Brief- und Paketzustellbranche nach Berlin gereist, um Druck auf die Bundesregierung in den laufenden Verhandlungen über das neue Postgesetz aufzubauen. Mit der Novelle, die in Eckpunkten bereits vorliegt, sollen neue Regeln für eine sich rapide wandelnde Branche etabliert werden.
So nimmt die Zahl verschickter Briefe immer weiter ab, weshalb etwa die FDP die werktägliche Briefzustellung einschränken will. Das ist für Verdi inakzeptabel. Denn damit drohten Stellenabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen, sagt Isa Senff im Gespräch mit »nd«. Die langjährige Postbeschäftigte ist seit knapp zehn Jahren als Betriebsrätin und Mitglied der Konzerntarifkommission aktiv. Sie warnt die Bundesregierung davor, von der derzeitigen Regelung abzurücken. »Das würde auf einen Schlag knapp 30.000 Arbeitsplätze kosten«, befürchtet Senff. Mit rund 1500 Kolleg*innen ist sie am Montag aus der Region Leipzig nach Berlin gereist, um an der Kundgebung am Brandenburger Tor teilzunehmen.
Im Gegensatz zum Briefmarkt wächst der Markt für Paketlieferungen rasant. So hat sich der Umsatz der sechs größten Paketzusteller seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht. Zuletzt hat die Corona-Pandemie der Branche noch einmal einen kräftigen Schub gegeben. Und mit Amazon ist seit 2015 zudem ein Unternehmen in der Paketbranche aktiv geworden, das schon eine marktbeherrschende Stellung im Handel innehat.
Für viele Beschäftigte im bislang wenig regulierten Paketzustellmarkt sind die Folgen dieser verschärften Konkurrenz gravierend. Das geht aus einer aktuellen Studie des gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Instituts hervor. Danach greifen die meisten Dienstleister in der Branche auf der sogenannten letzten Meile, der Paketzustellung bei den Endkund*innen, auf Subunternehmen zurück. Logistikunternehmen wie Hermes, GLS und Amazon wickeln ihre Lieferungen in dem personalintensiven Segment sogar fast ausschließlich über Subunternehmen ab, wie aus der HSI-Studie hervorgeht. Dort herrschten oft schlechte Arbeitsbedingungen, etwa aufgrund rigider digitaler Kontrollmechanismen, enormer Arbeitsbelastung oder willkürlicher Sanktionen, sodass auch Mindestlohnregelungen unterlaufen werden.
Dies betrifft insbesondere erst kürzlich nach Deutschland migrierte Arbeiter*innen, deren Ausbildung großteils nicht oder nur in einem langwierigen Verfahren anerkannt wird und die in der Regel auch nicht in hiesigen Gewerkschaftsstrukturen verankert sind. Dadurch haben sich Elemente eines informellen Arbeitsmarktes etabliert, heben die Forscher*innen des HSI hervor. So hätten sich Formen von Überausbeutung und extremer psychischer und finanzieller Abhängigkeit in den meist kleinen Subunternehmen entwickelt, die kaum kontrollierbar sind. Die Gewerkschaften tun sich schwer, dort Fuß zu fassen.
Auch darum meldet Verdi dringenden Handlungsbedarf an und fordert ein Verbot von Sub- und Sub-Subunternehmen in der Branche. »Beschäftigte bei den Anbietern von Paket- und Postdienstleistungen müssen direkt angestellt werden«, fordert Senff. »Es muss Schluss sein mit den prekären Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen«, unterstreicht sie. Bei der Post werden nahezu alle Pakete von Festangestellten ausgeliefert.
Doch mit der Konkurrenz auf dem Paketmarkt wächst auch der Druck auf die Deutsche Post, die mit ihrem Unternehmen DHL in dem Markt einen Anteil von rund 40 Prozent auf sich vereint. Klagen der Konkurrenz über unfaire Marktbedingungen mehren sich und üben Druck auf die Bundesregierung aus. Amazon kritisiert etwa mit Blick auf die Stellung der Post, dass es im Paketmarkt weiterhin »hohe Zutrittsschranken und Größen- und Verbundvorteile« gebe, und fordert hier, die Hürden zu senken.
Das sieht Verdi jedoch äußerst kritisch und will im Kontrast dazu, dass die Bundesregierung die Hürden auf dem Paketmarkt erhöht. Während sich Unternehmen, die Briefe zustellen wollen, durch die Bundesnetzagentur lizenzieren lassen müssen, reicht für den Paketmarkt zurzeit eine Anzeige bei der Netzagentur, um im Markt aktiv zu werden. Eine Ausweitung der Lizenzpflicht auf den Paketmarkt, wie Verdi fordert, würde dazu beitragen, die tarifgebundenen Arbeitsplätze in der Branche zu sichern, sagt Senff. »Das würde bedeuten, dass der Wettbewerb beschränkt wird und die Arbeitsbedingungen besser beaufsichtigt und durchgesetzt werden können. Wenn sich Anbieter nicht an die Vorgaben halten, ist ihnen die Lizenz zu entziehen«, unterstreicht sie.
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Unterstützung für diese Forderung erhält die Gewerkschaft auch von der SPD. Auf nd-Anfrage teilte der Abgeordnete Sebastian Roloff mit, dass sowohl die Beibehaltung der Zustellung an sechs Werktagen, als auch die Ausweitung der Lizenzpflicht auf die Paketbranche und mögliche Verbote von Sub- und Sub-Subunternehmen für die Sozialdemokraten in Betracht kommen. Ein Konflikt mit der FDP ist hier vorprogrammiert, die sich gegen solche Forderungen ausspricht, wie Reinhard Houben auf Anfrage mitteilte. Das Wirtschaftsministerium wollte sich dazu mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen noch nicht äußern.
Im Bundestag hatte zuletzt die Linkspartei ein Verbot von Subunternehmen in der Branche gefordert. Und in ihrer Studie stellen die Wissenschaftler*innen des HSI fest, dass es verfassungsrechtlich und europarechtlich unbedenklich wäre, mittels eines sogenannten Direktanstellungsgebotes gegen schlechte Arbeitsbedingungen in den Subunternehmen vorzugehen. Doch das Zeitfenster für die heiße Phase, die Verdi-Chef Werneke ausgerufen hat, ist eng. Mit einem ersten Entwurf wird in den kommenden Monaten gerechnet.
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