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Núria Quevedo: Träumen mit Konsequenz
Die deutsch-katalanische Malerin Núria Quevedo wurde mit dem Schmidt-Rottluff-Preis ausgezeichnet
Kassandra, die Mahnerin, die keiner hören will – das Thema beschäftigt Núria Quevedo bis heute. Was ist der Auftrag des Künstlers in einer Gesellschaft, der das Geistige immer mehr abhandenzukommen scheint? In »Kassandra« kämpfen Eros und Tod miteinander. Das Geistige, die Vernunft, erhebt sich erst im Nachhinein als etwas Verbindendes aus diesem qualvollen Streit der elementar-gegensätzlichen Kräfte.
Ohne die acht Radierungen Núria Quevedos wäre Christa Wolfs »Kassandra« – 1985 in der Leipziger Reclam-Ausgabe – nicht das, was es für uns geworden ist: eine Urszene der Vernunft-Schöpfung. Darin wird der Wolf-Text variiert: »Mit meiner Stimme sprechen. Das Äußerste. Mehr, anderes habe ich nicht gewollt.«
Kassandra ist auch deshalb für Núria Quevedo zu so einem bestimmenden Symbol ihrer Existenz geworden, weil sie mitten in die Katastrophen-Geschichte des 20. Jahrhunderts hineingeboren wurde. Ein Tagebuch-Eintrag Christa Wolfs vom 2. Januar 1981 spricht aus, was die Priesterin und Seherin Kassandra für uns heute bedeutet: »Sie ›sieht‹ die Zukunft, weil sie den Mut hat, die wirklichen Verhältnisse der Gegenwart zu sehen.«
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1938 in Barcelona geboren, musste Quevedos Familie – in der das Katalanische immer mit dem Spanischen konkurrierte – sehr bald vor der Franco-Diktatur fliehen. Núria Quevedo gehört zu den »Niños de la guerra«, den Kindern des Krieges. Ihr Vater war Kommunist und wurde in Frankreich interniert – meldete sich dann aber freiwillig zur Arbeit in der Rüstungsindustrie in Deutschland. Er tat das vor allem, weil er dann auch Frau und Tochter nachholen konnte. So gibt es bereits Fotos der fünfjährigen Núria 1943 in Berlin. Man wohnte zur Untermiete bei einer jüdischen Familie – die Malerin erinnert sich gut an die gelben Sterne, die diese Menschen tragen mussten, und plötzlich waren sie alle verschwunden. Die Gewalt der Geschichte, die Zufälligkeit von Überleben und Sterben, das blieb immer ein bestimmendes Thema.
Der Rückkehr nach Barcelona folgte schon 1952 die erneute Emigration der Familie – diesmal in die DDR. Der Vater betrieb am Bersarinplatz in Berlin-Friedrichshain die Internationale Buchhandlung Quevedo. Diese Szenerie wurde 1971 zum Inhalt ihres wohl berühmtesten Gemäldes »30 Jahre Exil«, das nun auch den Mittelpunkt der Ausstellung in den Chemnitzer Kunstsammlungen bildet, die aus Anlass der Verleihung des Schmidt-Rottluff-Preises an Núria Quevedo gezeigt wird. Eine Komposition von zehn Porträts, in entfärbtem Steingrau gemalt – das ist so, als sähen wir lauter lebende Leichname vor uns. Aber es sind Gerettete! Ja, doch sie tragen die Wüste in sich, wirken wie lauter Schatten der Vergangenheit. Das ist Quevedos Realismus, dessen forcierte Dunkelheit wie eine Provokation auf jene DDR-Funktionäre wirken musste, die es gern kämpferisch und optimistisch gehabt hätten.
Die rettende DDR blieb ein lichtarmer Ort. Darunter litt sie, das versuchte sie zu kompensieren, indem sie mit reduzierten Mitteln viel ausdrückte und sich in Zwiesprache mit Dichtung und Musik begab. »Eine Art, den Regen zu beschreiben – Für Hanns Eisler« von 1981 etwa lauschte den Zwischentönen ihrer zweiten Heimat nach.
Núria Quevedos hoch konzentrierte Art, die Dinge in eine Art Dunkellicht zu tauchen, wurde für viele Intellektuelle im Osten wichtig. Franz Fühmann sprach von dem »erglühenden Leuchten dessen, was da als düster verschrien ist«, und befand: »In Núrias Schwarz sind alle Farben.« Für Volker Brauns »Transit« schuf sie das Blatt »Moment des Möglichseins«, über das dieser begeistert ausrief: »und das gestirn oben ist schwarz wie das härteste licht, wie die finsternis der hoffnung, die seltenzeit, der augenblick der arbeit, der noch auf die folgen sinnt.« Und Friedrich Dieckmann sprach angesichts ihrer Bilder von »Donnerschlägen der Stille«.
Dunkel ja, aber doch nicht depressiv – das war der Eindruck, den ihre Bilder in der DDR auf uns machten. Denn über allem schwebte immer Cervantes »Don Quijote«, den sie regelmäßig ins Bild setzte, jenen unbeirrten Streiter gegen die Windmühlenflügel des politischen Tagesgeschäfts, das den idealistischen Außenseiter unweigerlich zur komischen Figur degradiert. Doch nicht ohne jene Würde, die den Verlierer ausmacht! Fast möchte man dabei an Gerhard Gundermann denken, der von sich sagte: »Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.« Im Verlieren macht man wertvolle Erfahrungen, von denen die traumlosen Sieger nichts wissen.
Núria Quevedos Bilder sind paradoxer Natur, führen die simplen Absichten ad absurdum. Ihr Werk zielt auf das Archetypische, das verborgene Ur-Bild im Abbild.
Eine ihrer frühen Beschäftigungen mit dem Mythos geht auf Franz Fühmann zurück, für dessen Nacherzählung »Prometheus. Die Titanenschlacht« sie Grafiken schuf, die man ebenso wenig Illustrationen nennen sollte wie Fühmanns Text eine bloße Nacherzählung. Am 26. Februar 1975 schrieb Fühmann an Gerhard Holtz-Baumert: »Die Kinder lieben die Blätter Núria Quevedos, weil sie voller Phantasie und Humor sind, was sich auf die Kinder wie auf die Blätter bezieht.«
Das brutale Geschehen bleibt brutal, es sind Mythen, keine Märchen, die hier erzählt werden – und die haben kein befreiendes Ende, sondern die Last des Ursprungs hört nicht auf zu lasten, sie wird bestenfalls darstellbar. Und dennoch: Es ist ein Vergnügen, diese Bilder zu betrachten, die die menschliche Urgeschichte als ein großes Hauen und Stechen, Triumphieren und Klagen zeigen.
In Quevedos Bildern wird die Dimension des Gezeigten erfahrbar. Es sind die erwachenden Menschheitsträume selbst, denen wir in den Mythen beiwohnen. Noch sind sie ungeschieden: die zärtliche und die Vernichtungsgeste, der Trieb und der Traum. Die Vernunft ist hier noch beides zugleich, nachtdunkel und taghell. Es ist die Kindheitswelt der Menschheit, der wir beiwohnen. Natürlich fühlen sich Kinder in diesen elementaren Bilderwelten wohl, weil sie diese selbst – von Konvention und Erziehung zum Rationalen noch frei – in sich tragen.
Ein Thema, das sich bis in die neuesten Arbeiten Núria Quevedos zieht. Neben einem »Romanischen Engel« (das ist einer mit vier Flügeln), den sie zu einem Text von Antonio Machado schuf, stehen dann einradierte Sätze von Walter Benjamin aus »Über den Begriff der Geschichte«. Ein Fingerzeig auf das, was sich in ihren Bildern vor jeder flüchtigen Art der Betrachtung verbirgt: »Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Medium nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von ›Jetztzeit‹ erfüllte bildet.«
Seit den 90er Jahren lebt Núria Quevedo in Berlin und zeitweise auch in Sant Feliu bei Barcelona. Die Bilder, die hier entstanden, scheinen wahre Explosionen von Licht, die nach einer expressiven Bildsprache rufen. Die überstarke südliche Sonne, das Gleißen über dem Meer, spiegelt sich in ungebrochenem Gelb, Rot und Blau wider. Die schwarzen Schatten, die die Bäume und Häuser werfen, erscheinen nun wie eine rettende Zuflucht, eine Erinnerung an den Norden.
Quevedos erfahrungstiefes Spiel mit Licht und Schatten, Farbe und Form, Dichtung und Symbol hat etwas auf wunderbar wandelbare Weise Ausdrucksstarkes. So ist die Nähe zu dem gebürtigen Chemnitzer, dem Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff, keineswegs zufällig.
Die Laudatio zum Schmidt-Rottluff-Preis wurde gehalten von Volker Braun, mit dem Núria Quevedo – neben Franz Fühmann und Christa Wolf – das wohl engste geistige Band verbindet. In dem Text Brauns von 1987 »Aus dogmatischem Schlummer erwacht«, dem Grafikzyklus Quevedos zu Calderons »Das Leben ist Traum« vorangestellt, heißt es: »Du träumst, nicht wahr, du träumst mit Konsequenz – Und auf den Straßen weht die Transparenz.«
»Núria Quevedo: 30 Jahre Exil«, bis 7. Januar 2024, Kunstsammlungen Chemnitz.
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