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Opulentes Verbrechen

Martin Scorseses »Killers of the Flower Moon« erzählt eindrücklich von einer historischen Mordserie an indigenen Amerikanern, der gesellschaftliche Hintergrund bleibt jedoch schemenhaft

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Die historische Aufarbeitung von Rassismus ist ein seit Jahren immer wiederkehrendes Thema in der US-amerikanischen Filmindustrie. Das reicht von Quentin Tarantinos »Django Unchained« über Steve McQueens »12 Years a Slave« bis hin zu diversen Serien wie »Lovecraft Country« und »When they see us«. Dennoch hat sich die Industrie bisher noch wenig mit der Geschichte der Indigenen aus rassismuskritischer Perspektive auseinandergesetzt.

Eine Ausnahme bildet die Serie »The English« (2022), die von den hiesigen Feuilletons jedoch kaum wahrgenommen wurde. Nun legt Martin Scorsese mit seinem schon in Cannes von der Kritik gefeierten Film »Killers of the Flower Moon« ein dreieinhalbstündiges Epos über die sogenannten Osage-Morde vor. Sie geschahen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre in Oklahoma: Über 60 Ureinwohner des damals äußerst wohlhabenden Osage-Stamms wurden umgebracht. Im Reservat der Osage war 1897 Öl gefunden worden, in den wirtschaftsstarken 1920er Jahren waren viele Osage dadurch sehr vermögend geworden. Das beschreibt »Killers of the Flower Moon«, eine opulent inszenierte True-Crime-Story, in der fast ausschließlich historische Figuren auftreten. Zugrunde liegt dem Film ein 2017 erschienenes Sachbuch gleichen Titels des US-Journalisten David Grann.

Im Zentrum von Scorseses explizit politischem Film, der einem globalen Massenpublikum die bisher wenig bekannte Geschichte mörderischer Gewalt erzählen soll, stehen der Viehzüchter William Hale (Robert De Niro) und sein Neffe Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio). Damit setzt der kurz vor seinem 81. Geburtstag stehende Starregisseur zwei seiner langjährigen Lieblingsschauspieler in Szene. Die beiden von ihnen verkörperten historischen Figuren waren 1925 die Hauptangeklagten in dem aufsehenerregenden Fall, in dem das damals neu gegründete FBI ermittelte. William Hale, Geschäftsmann, Lokalpolitiker und Deputy Sheriff, gab sich gerne als Freund der Osage aus, vermittelte eine Ehe zwischen seinem aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Neffen Ernest und der Osage-Frau Molly Kyle (Lily Gladstone), die mit ihren drei Schwestern über ein imposantes Erbe verfügte. Alle drei Schwestern wurden ermordet, ebenso die Mutter und diverse andere Angehörige, um Ernest zum Alleinerben der Besitztümer der Familie zu machen. Scorsese inszeniert in seinem stellenweise etwas zu langatmig geratenen Film eindrücklich, mit welcher Infamie Hale und seine beiden Neffen Ernest und Bryan (Scott Sheperd) diese Morde verüben und sich dabei als Unterstützer der Osage-Community ausgeben. Diese schickt 1922 sogar jemanden nach Washington, um bei der Regierung vorstellig zu werden und Ermittlungen einzufordern. Aber auch der Bote wird auf dem Weg in die Regierungshauptstadt umgebracht.

In Osage-County selbst unternehmen die Behörden gar nichts, um die Morde aufzuklären. Die Todesfälle werden heruntergespielt, Beweisstücke verschwinden und das Morden geht immer weiter. Der an Diabetes erkrankten Molly wird von ihrem Ehemann täglich das damals ganz neu auf den Markt gekommene Insulin verabreicht. Der von William Hale beauftragte Arzt bittet, noch ein Beruhigungsmittel zusätzlich zu spritzen. Molly wird immer kränker und erst später stellt sich heraus, dass sie offensichtlich nicht die Einzige aus ihrer Familie ist, die langsam vergiftet wurde. Das wird in »Killers of the Flower Moon« sehr detailreich erzählt. Ob Ernest sich überhaupt bewusst ist, was er tut, oder ob er selbst manipuliert wird, lässt der Film dabei offen. Sehr verstörend und aussagekräftig ist eine Szene, in der Ernest einen Ranch-Arbeiter fragt, ob er jemanden für ihn umbringen könnte – der Arbeiter verneint zunächst, aber als er erfährt, dass er keinen Weißen, sondern einen Osage ermorden soll, hat er damit kein Problem mehr. Auch wird ein spektakulärer Sprengstoffanschlag verübt, der eine ganze Familie tötet. Das alles basiert auf historischen Fakten und zeigt die Selbstverständlichkeit des mörderischen Rassismus jener Zeit in Oklahoma.

Allerdings wird die systematische Enteignung von Mitgliedern der Osage-Nation im Film eher angedeutet als auserzählt. Juristisch waren die Osage im rassistischen Rechtsverständnis der damaligen USA nicht geschäftsfähig und brauchten einen Vormund. Sie konnten nur eingeschränkt über ihr Vermögen verfügen. Die Vormundschaften übernahmen für gewöhnlich Anwälte, von denen es in Osage-County eine Unmenge gab. Gegen viele von ihnen liefen Ermittlungsverfahren wegen der Veruntreuung der Gelder von Osage-Familien. Dabei war diese Enteignung wohlhabender nichtweißer Menschen im Oklahoma der 1920er Jahre kein Einzelfall. Nur 100 Kilometer entfernt von Fairfax, wo ein Großteil der Handlung des Films angesiedelt ist, liegt Tulsa. Das dort 1921 verübte Massaker von Rassisten an der afroamerikanischen Bevölkerung und die Zerstörung der sogenannten »Black Wall Street«, wie die Geschäftsstraße dieser wohlhabenden afroamerikanischen Gemeinde hieß, fand ebenfalls zu dieser Zeit statt. Auch diese Ereignisse waren unlängst Gegenstand einer filmischen Aufarbeitung in den HBO-Serien »Watchmen« (2019) und »Lovecraft Country« (2020). Die Gewaltakte des Ku-Klux-Klans, der in der ersten Hälfte der 1920er Jahre seinen Höhepunkt als politische Vereinigung mit mehreren Millionen Mitgliedern in den USA erlebte, nahmen in Oklahoma solche Ausmaße an, dass 1923 (mitten in der Handlung des Films) sogar das Kriegsrecht ausgerufen wurde.

Dieser Kontext wird in Scorseses Film nicht hergestellt. »Killers of the Flower Moon« funktioniert eher wie eine Verbrechergeschichte, die das Handeln von William Hale und seiner Neffen in der ganzen Perfidie darstellt und zeigt, wie dieses patriarchal-rassistisch-autoritäre System des strippenziehenden und manipulativen Viehzüchters funktionierte. Der wanderte als verurteilter Mörder schließlich ebenso wie sein Neffe Ernest lebenslang ins Gefängnis. Das erzählt Scorsese sehr eindrücklich. Dass diese Verbrecher aber von einer gesellschaftlich fest verankerten rassistischen Gewalt profitieren konnten, die weit über das Osage-County hinausging, zeigt der Film nicht so explizit. Er verliert sich irgendwann eher darin, die moralischen und ethischen Untiefen der beiden weißen Männer im Spannungsfeld zwischen Schuld und Sühne ihrer eigenen Verfehlungen auszuloten, womit Scorsese bei dem Themenkomplex ist, der sich als roter Faden durch viele seiner Filme zieht.

»Killers of the Flower Moon«: USA 2023. Regie: Martin Scorsese. Buch: Eric Roth, Martin Scorsese. Mit: Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone. 206 Min. Jetzt im Kino.

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