Wie das Wasser auf den Mond kam

Neben geladenen Teilchen von der Sonne lassen wahrscheinlich auch Elektronen aus dem irdischen Magnetfeld Wasser auf dem Mond entstehen

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch wenn die Abstände ein bisschen größer sind – ob Dorf, Großstadt oder Sonnensystem, die lieben Nachbarn sind stets näher, als man denkt. Und so waren bei den Wassermolekülen auf dem Mond vermutlich nicht nur die Sonne und winzige Meteorite, sondern auch die Erde ziemlich involviert.

Dass es auf dem staubgrauen Mond tatsächlich Wasser gibt, war lange Zeit nur schwer vorstell- und vor allem nachweisbar. Da der Mond trotz immer präziserer Beobachtungsmethoden keinerlei Anzeichen von Wetterphänomenen zeigte, schlussfolgerten Astronomen im 19. Jahrhundert, dass unser Trabant tatsächlich vollkommen atmosphären- und wasserlos sein muss.

Aufnahmen der Mondoberfläche im Rahmen des Raumsonden-Programms »Ranger« der Nasa in den 1960ern schienen dann jedoch Strukturen zu zeigen, die als Rillen oder Kanäle interpretiert werden konnten. Der Chemie-Nobelpreisträger Harold Urey schloss Wasser neben Lavaströmen als Ursache nicht gänzlich aus – was ihm damals in der Wissenschaftsgemeinde auch den Vorwurf einbrachte, bei seiner Beweisführung seien vielleicht auch »hochprozentigere Flüssigkeiten« zugegen gewesen.

Mit den ersten bemannten und unbemannten Missionen, die Mondgestein zur Erde transportierten, wurde die Situation nicht unbedingt eindeutiger. So zeigte das Mondgestein der »Apollo«-Missionen keinerlei Anzeichen von Hydraten, also Verbindungen, die molekulares Wasser zum Beispiel in Form von Kristallwasser enthalten. Eine Analyse der 170 Gramm Mondbröckchen, welche die sowjetische Sonde »Luna 24« im Jahr 1976 mitbrachte, kam dagegen auf ein anderes Ergebnis: Immerhin 0,1 Massenprozent Wasser wurden in der Probe nachgewiesen.

Nach einer Vielzahl von Orbiter- und Einschlagmissionen gilt es heutzutage aber als gesichert, dass H2O beziehungsweise die Hydroxygruppe OH auf dem Mond vorkommt. Schwappen wird hier freilich nichts – doch kann die Verbindung entweder als Wassereis in tiefen, immer beschatteten Kratern überdauern oder als chemische Verbindung in Mondmineralien existieren.

Wasserstoffprotonen von der Sonne

Bleibt allerdings noch die Frage nach dem Absender oder wie und von wem unser Nachbar die ganzen »Wasserpakete« bekommen hat.

Neben der elektromagnetischen Strahlung sendet die Sonne einen kontinuierlichen »Wind« schneller Teilchen aus, der größtenteils aus Protonen (Atomkernen des Wasserstoffs) und Elektronen besteht. Treffen die energiereichen Protonen auf einen atmosphärenlosen Himmelskörper wie den Mond, können sie – ganz ungebremst – mit dem Oberflächenmaterial reagieren.

Beim Mond besteht die Oberfläche zu weiten Teilen aus einem pulverigen Lockermaterial, dem Regolith, aus verschiedenen Oxiden (davon 45 Prozent Siliziumdioxid) sowie glasigen Erstarrungsprodukten, die durch die kontinuierlichen Einschläge winziger Meteoriten (die auch immer etwas Wasser mitbringen könnten) entstehen. Reagiert der solare Wasserstoff mit dem Sauerstoff des Gesteins, können kontinuierlich Wassermoleküle gebildet werden. Nur dass diese sich dann pfützengleich zusammenfinden, ist auf dem Mond nicht möglich: Die intensive UV-Strahlung der Sonne zerlegt den Großteil der Moleküle fast so schnell wieder, wie sie entstanden sind, und ihre Bestandteile entweichen in den Weltraum.

Dass die Erde dem Sonnenteilchen-Bombardement – zum Glück für alles, was da kreucht und fleucht sowie Kommunikationssatelliten nutzt – nicht so schutzlos ausgeliefert ist, liegt insbesondere an ihrem Magnetfeld. Eigentlich symmetrisch dipolförmig wird es durch den Sonnenwind stark verzerrt: Die der Sonne zugewandte Seite ist auf zehn Erdradien gestaucht, während die Magnetfeldlinien auf der Nachtseite weit auseinandergezogen werden. Der nächtliche Magnetschweif kann so bis zu einer Entfernung von 100 Erdradien reichen.

Daten von »Chandrayaan-1« neu ausgewertet

Bisher gingen Astronomen davon aus, dass der Protonen-Sonnenwind die Hauptursache für die Entstehung von Wasser auf dem Mond ist – und damit sollte der Wasserhahn eigentlich komplett zugedreht sein, wenn sich der Mond (rund 60 Erdradien entfernt) durch die Magnetosphäre der Erde bewegt. Messungen im Rahmen der »Artemis«-Mission haben etwa gezeigt, dass im zentralen Bereich des Magnetschweifs der Teilchenfluss des Sonnenwinds auf die Mondoberfläche tatsächlich um rund 99 Prozent reduziert ist.

In einer in »Nature Astronomy« veröffentlichten Studie analysierten Astronomen nun Datensätze des »Moon Mineralogy Mappers« an Bord der indischen »Chandrayaan-1«-Mission aus den Jahren 2008/2009 im Hinblick auf die Bildung von Wassermolekülen während des Durchgangs des Mondes durch die Erdmagnetosphäre. Entgegen der gängigen Theorien zeigten sich jedoch so gut wie keine Veränderungen bei der Entstehung von Wasser.

Eine mögliche Erklärung für die überraschende Beobachtung könnte den Astronomen zufolge der zu diesem Zeitpunkt bedeutsame Eintrag von, hauptsächlich irdischen, Elektronen sein. Diese werden in der Erdmagnetosphäre auf erheblich höhere Energien beschleunigt, als es im Sonnenwind der Fall ist. Die hochenergetischen Elektronen könnten solcherart mit dem Regolith wechselwirken, dass ungebundener Sauerstoff entsteht, der wiederum mit im Gestein eingeschlossenen Wasserstoffmolekülen zu Wasser reagieren könnte.

In Zukunft geplante Bestrahlungsexperimente von Gesteinen mit hochenergetischen Elektronen und weitere Untersuchungen im Rahmen der »Artemis«-Mission sollen helfen, die Entstehungsweisen von Wasser auf unserem Begleiter besser zu verstehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.