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Mit Bolaño im Dampfbad
nd-Kolumnistin Anne Hahn verschlägt es ins Saalemaxx – ein Erlebnisbad in Rudolstadt
»Das Wasser im Becken war grün. Die Kacheln waren grau. Im Hintergrund sah man Berge und mächtige Gewitterwolken.«
Ende September 2023. Unterwegs durch Thüringen hat es meinen Gefährten und mich ins Saalemaxx verschlagen – ein Erlebnisbad in Rudolstadt. Während mein Freund zwischen Blockhütte und Kaminsauna wandelt, schwimme ich im Sportbad, lasse mich im Außen-Solebecken von Massagedüsen durchschütteln und erkunde das orientalisch anmutende Badehaus. Unter einer Kuppel sind Kabinen, Salzgrotte und Dampfbad rund um ein Sitzbecken angeordnet. Alle zehn Minuten stürzen Wasserkaskaden in das Becken, abwechselnd brodeln in der Grotte Sprudel. Ich aale mich überall und finde mich plötzlich in Roberto Bolaños Roman »Der Geist der Science-Fiction« wieder, mitten im mexikanischen Bad Gimnasio Moctezuma dessen Wandmalerei »den aztekischen Herrscher zeigte, wie er in einem Schwimmbad bis zum Hals im Wasser steckte. Am Beckenrand, gleich neben dem Monarchen, aber viel kleiner, wuschen sich gut gelaunte Männer und Frauen.«
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Der chilenische Dichter Bolaño lebte in seiner Jugend einige Jahre in Mexiko. In seinem frühen Roman lässt er unter anderem sein Alter Ego nebst Geliebter die öffentlichen Bäder der Hauptstadt erkunden. Ich steige aus der Grotte ins Dampfbad, sinke auf eine Kachelbank im Nebel. Gegenüber verknäulen sich Beine eines Paares. Jemand lacht. Düsen zischen und ich höre Bolaño:
»Dort, in Kabine 10, sah ich Laura zum ersten Mal nackt, und ich schaffte es gerade nur, zu lächeln, ihre Schulter zu berühren und zu sagen, ich wisse nicht, an welchem Hahn ich drehen müsse, um den Dampf anzustellen.« Ich vermag mich nicht zu bewegen, sehe winzige Räume und die blau gekachelte Steinbank, unter der sich Rohre verbergen, aus denen der Dampf kommt. »Der Wechsel von einem Raum in den anderen war grandios, vor allem, wenn in dem einen der Dampf schon so dicht war, dass er uns unseren Blicken entzog. Dann öffneten wir die Tür (…) hinter uns her strömten Dampfschwaden wie Fetzen eines Traums, die sich rasch verflüchtigten. Ausgestreckt lagen wir da, Hand in Hand, und während unsere Körper abkühlten, lauschten wir angestrengt auf die fast unhörbaren Geräusche des Gebäudes. Beinahe starr vor Kälte und intensiv schweigend hörten wir schließlich das Gemurmel, das durch Boden und Wände drang, das katzenhafte Schnurren der Warmwasserleitungen und Heizkessel, die von einem geheimen Ort des Gebäudes aus den Betrieb versorgten.«
Ich komme nach Ewigkeiten in einer voll besetzten Sauna zu mir. »Wir kennen sie jedenfalls nicht ...« In Schillers Schwitzstube wird gekichert. Es dauert, bis die zuvor gestellte Frage bei mir ankommt. Die junge Frau, die gerade die Sauna betreten hat, schüttelt den Kopf: »Wessen Enkel auch immer, die beiden haben ihre Großeltern gesucht, und ich konnte nicht rechtzeitig hier sein.« Sie greift nach Kelle und Bottich.
Niemand hat die Sanduhren umgedreht, es muss weit nach 18 Uhr sein. Wir haben uns zehn Minuten vorm Aufguss in die 95-Grad-Sauna begeben, fällt mir ein, um nicht wieder die Letzten zu sein. Alle Stufen sind besetzt. Nackte zwischen 20 und 80, zwei tragen eine Mütze, alle sind gut erhitzt und plaudern. Man kennt sich. Als die Aufguss-Fee die Zutaten ansagt, schimpft ein Mann: »Ach Mädchen, kein Zimt! Ist noch hin bis Weihnachten!« Als ich mit drei Herren noch knapp vor dem Zimt-Aufguss entweiche, weise ich meinem Freund, wo er mich später finden wird; im rot gekachelten 45-Grad-Dampfbad, dort, wo der Honig zum Einreiben bereitsteht.
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