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Kitas in Berlin: Spiegel der Gesellschaft
Unterfinanzierter frühkindlicher Bildung bricht für 2024 die Bundesmittelförderung weg
Man nennt sie den »Spiegel der Gesellschaft«: Kinder sind mal laut, mal süß, mal neugierig, mal nervig. Mit drei Jahren besitzen Kinder doppelt so viele Synapsen wie Erwachsene. Das bleibt fast sieben Jahre lang so. Die maximale Aufnahmefähigkeit kindlicher Gehirne fällt mit einer Zeit großen externen Betreuungsbedarfs zusammen: Nach spätestens drei Jahren ist die Elternzeit vorbei, der Arbeitsmarkt ruft und die Kleinen kommen in die Kita. Vor dem Hintergrund massiven Fachkräftemangels im Bereich frühkindlicher Erziehung und mangelnder Versorgung bricht im neuen Jahr auch die Bundesmittelförderung für den Kita-Ausbau in Berlin weg.
171 439 Berliner Kinder im Alter bis zu sieben Jahren wurden zum 31. Dezember 2022 in Angeboten der Kindertagesbetreuung gepflegt – und zwar fast ausschließlich in Kitas. Das geht aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Seidel (Linke) im Senat hervor. Über 12 000 Kita-Plätze wurden zu dem Zeitpunkt nicht angeboten, obwohl sie erlaubt waren. Auch das geht aus der Antwort der Bildungsverwaltung hervor.
Es könnte wohl an den Arbeitsbedingungen liegen, wenn man Stimmen aus Gewerkschaft und sozialen Protesten der vergangenen Jahre lauscht. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hatte zuletzt 5000 Beschäftigte deutschlandweit befragt, 76 Prozent von ihnen sind mit ihrem Gehalt nicht zufrieden. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung arbeiten zudem mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Teilzeit.
Statista hat für Berlin einen Mangel von 69 Prozent des Personals für 2023 im Vergleich zu 2021 prognostiziert. Das heißt, dass Ende 2022 laut Senatsverwaltung für Bildung zwar 90 Prozent der Kinder in der Kitabetreuung waren, aber der Betreuungsschlüssel nicht dem Bildungsauftrag gerecht wurde. Verwahrung statt Bildung: Die mit Wissen wachsenden Gehirnstränge bekamen zwar Essen, mussten aber die Eichhörnchen außerhalb des Bildungsorts kennenlernen.
82 Prozent der Kitas in Berlin sind in freier Hand. Eine Zahlung nach Tarifvertrag ist für sie nicht bindend: »Formulierungen in Arbeitsverträgen wie ›orientiert an …‹ oder ›in Anlehnung an …‹ haben keinerlei Rechtswirkung. In der Konsequenz sind die Bedingungen sehr unterschiedlich für gleiche Arbeiten wie im öffentlichen Dienst und sind gerade bei langjährigen Beschäftigten zum Teil erheblich«, teilt Max Britzer, Gewerkschaftssekretär für Verdi im Fachbereich Soziales und Bildung, »nd« mit.
Britzer verweist auf die aktiven Beschäftigten aus dem Netzwerk »Freie Träger, faire Löhne! Für die gute Sache, aber zu welchem Preis?«. Es hatte zuletzt im September Forderungen ans Abgeordnetenhaus gestellt, die nicht nur einen Inflationsausgleich und gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit beinhalten, sondern auch Betriebsräte für freie Träger, die durchs Abgeordnetenhaus refinanziert werden sollen.
Schlimm sieht der Betreuungsschlüssel auch in Hinblick auf die sprachlichen Bedarfe der Kinder aus. »Kitas, in denen mindestens 40 Prozent der betreuten Kinder eine nichtdeutsche Herkunftssprache aufweisen, erhalten einen zusätzlichen Personalanteil von 0,017 Stellen pro betreutem Kind mit nichtdeutscher Herkunftssprache«, heißt es laut Senatsverwaltung für Bildung. Zum 31. Dezember 2022 konnten allerdings nur für 65 Prozent aller Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache jene Stellen finanziert werden.
Es ist ein unterfinanzierter Bereich – Beschäftigte sind am Limit und die Bildung der Kinder steht auf dem Spiel. Nun bricht 2024 auch die Förderung aus dem Bundeshaushalt weg. Es braucht also Gewinne in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst und die freien Träger auf Seiten der Beschäftigten. Aber auch der Berliner Haushalt muss angepasst werden hinsichtlich geplanter Kürzungen im Sozialen. Sonst halten uns die Kinder als Spiegel der Gesellschaft selbst den Spiegel vor.
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