Sprache ohne Land, Land ohne Sprache

Museyroom (Teil 10): Das Músaem Litríochta na hÉireann zu Dublin will irische Literaturgeschichte erzählen, weiß aber nicht wie

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Im MoLi findet sich zwar nicht das Original, aber immerhin eine Fotografie der Totenmaske von James Joyce.
Im MoLi findet sich zwar nicht das Original, aber immerhin eine Fotografie der Totenmaske von James Joyce.

Im einstigen Gebäude des University College Dublin am St. Stephen’s Green ist heute das Museum of Literature Ireland (irisch: Músaem Litríochta na hÉireann, kurz: MoLI) untergebracht. Die zweisprachige Schreibweise ist jedoch irreführend. Besaßen die Iren vormals eine Nationalsprache, aber keinen eigenen Nationalstaat, so haben wir es heute umgekehrt mit einem – wenn auch territorial unvollständigen – Nationalstaat ohne wirklich gesprochene Nationalsprache zu tun. Die Association for Choice in Irish forderte einst beherzt-reaktionär die Abschaffung des Pflichtfachs Irisch an den Schulen und stellte 1990 trocken fest: »Die Iren sind eine englischsprachige Nation.«

Diese Auffassung haben sich die MoLI-Verantwortlichen offenbar zu eigen gemacht. Zwar sind ein paar Fotos von in irischer Sprache Schreibenden zu sehen, etwa die Grande Dame der irischsprachigen Gegenwartsdichtung, Nuala Ní Dhomhnaill – einen Hinweis auf die Zweisprachigkeit der Literatur Irlands und ihre irischsprachigen Exponenten wie etwa Pádraig Ua Maoleoin, Seán Ó Riórdáin, Máirtín Ó Díreáin, Máire Mhac an tSaoi, Caitlín Maude, Cathal Ó Searcaigh, Gabriel Rosenstock oder Liam Mac Cóil gibt es jedoch nicht. Ein Überblick über die Geschichte der irischsprachigen Literatur fehlt ebenfalls. Er hätte mit dem 7. Jahrhundert zu beginnen, aus dem die ersten überlieferten Schriften des Irischen stammen, mit dem 4. Jahrhundert gar, wenn wir Steinschriften einbeziehen.

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

In der MoLI-Ausstellung lässt sich der Eindruck gewinnen, irische Literatur in englischer Sprache habe erst 1922 mit Gründung des Irish Free State ihren Anfang genommen, also mit der Eigenständigkeit von 26 der insgesamt 32 Grafschaften, sowie mit der Verleihung des Nobelpreises an William Butler Yeats und George Bernard Shaw. Wo sind George Berkeley, Dion Boucicault, Edmund Burke, William Carleton, Daniel Corkery, Maria Edgeworth, Oliver Goldsmith, Isabella Augusta Gregory, James Clarence Mangan, Charles Robert Maturin, George Moore, Laurence Sterne etc. pp.? Und jenseits der Ahnen: Wo ist Sean O’Casey, wo Samuel Beckett, dessen Mülleimer, so Adorno, »Embleme der nach Auschwitz wiederaufgebauten Kultur sind«?

Immerhin gibt es einen Hinweis auf James Connolly (1868–1916) und dessen prosaische und poetische Schriften. Connolly gründete die irische Transportarbeitergewerkschaft, die Irish Republican Socialist Party sowie 1913 die erste Arbeitermiliz Europas, die Irish Citizen Army, als deren Anführer er während des Osteraufstandes im Jahr 1916 von den britischen Besatzern an einen Stuhl gefesselt im Innenhof des Kilmainham-Gefängnisses hingerichtet wurde – zum Stehen war er zu schwer verwundet.

Prominent vertreten im MoLI sind nur zwei Schriftsteller: Brendan Behan und James Joyce. Von den irischen Autoren der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der auf der Grünen Insel als »The Emergency« bezeichnet wurde, ist Brendan Behan (1923–1964) derjenige, dessen literarische Produktion seiner charismatischen, durch Kneipe, Knast und Kiez geprägten Persönlichkeit durchaus ebenbürtig ist. Berühmtheit erlangte er vor allem mit den beiden Theaterstücken »Der Mann von morgen früh« (»The Quare Fellow«, 1956) und »Die Geisel« (»The Hostage«, 1958). Behan wird im MoLI mit der audio-visuellen Präsentation »The Holy Hour« von Patrick McCabe gewürdigt, der durch seinen Roman »Der Schlächterbursche« (»The Butcher Boy«, 1992) bekannt wurde. McCabe lässt seinen Behan sagen: »I speak Dublin, Belfast, Cockney, Geordie rhyming slang – but, like Nehru, I have no common tongue with the majority of my countrymen from the interior.«

James Joyce (1882–1941) wird in Dublin längst als Touristenmagnet eingesetzt, folglich muss er auch im MoLI umfänglich vorgestellt werden. Neben einem wandfüllenden bebilderten Lebenslauf werden ein Stadtplan Dublins mit den Wirkungsstätten seiner Romanfiguren sowie Notizbücher und korrigierte Manuskriptseiten gezeigt. In einem weiteren Raum sind in einem vom Boden bis zur Decke reichenden Regal Übersetzungen seiner Werke ausgestellt. Das Paradestück der Joyce-Huldigung ist aber die Nr. 1 der 1922 bei Shakespeare & Company in Paris erschienenen Erstausgabe des »Ulysses«. »Ulysses«, das ist der längste Tag der Weltliteratur. Seinem Inhalt nach ist »Ulysses« ein Trivialroman, der so abenteuerlich daherkommt, dass man nie weiß, wohin es einen verschlägt. Schon im Zitat von der »quintessenziellen Trivialität« weist der Roman, dessen Held die Sprache ist, auf seine eigene Thematik.

Nach dem MoLI-Rundgang empfiehlt sich der Besuch eines Pubs, namentlich der »Palace Bar« in Dublins Fleet Street. Hier arbeitete einst das Chamäleon der irischen Literatur, Flann O’Brien alias Brian O’Nolan alias Brian Ó Nualláin alias Myles na gCopaleen (1911–1966), an der Leberzirrhose und schrieb seine Kolumne »Cruiskeen Lawn« (Das randvolle Krüglein) für die »Irish Times«.

Ein O’Brien-Porträt in Öl ziert eine Wand der »Palace Bar«. Daneben hängt ein Porträt des hierzulande weitgehend unbekannt gebliebenen Dichters Patrick Kavanagh (1904–1967), dem in Dublin nachgesagt wurde, er habe sich die Schuhe mit Kuhdung beschmiert, um auf seine Herkunft aus einer Kuhblöke in der Grafschaft Monaghan zu verweisen. Kavanagh gilt als einer der originellsten Dichter zwischen W. B. Yeats und Seamus Heaney, dessen Ölporträt ebenfalls bei einem Pint Guinness in der »Palace Bar« bestaunt werden kann.

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