Ritualisiertes Ringen bei Tarifverhandlungen der Länder

Für das Land Berlin und seine Beschäftigten steht in der Tarifrunde der Länder viel auf dem Spiel

Martina Breitmann wird die Stimme brüchig. Sie erzählt von der Situation in der Kita Schwalbennest in Marzahn: »Letzte Woche musste ich drei Gruppen aufteilen. Zwei Gruppen habe ich geschlossen. Die Öffnungszeiten musste ich reduzieren.« Seit 1985 arbeitet sie als Erzieherin, zur Zeit als Leiterin ihrer Einrichtung. Sie sagt: »Zurzeit bewahren wir die Kinder nur noch auf.«

Die Kita Schwalbennest ist ein Eigenbetrieb des Landes Berlin. Deshalb entscheidet die Tarifrunde der Länder auch über die Arbeitsbedingungen seiner Beschäftigten mit. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) verhandelt ab morgen mit der Gewerkschaft Verdi über einen neuen Tarifvertrag der Länder (TV-L). Für die bundesweit 1,1 Millionen Beschäftigten fordert die Gewerkschaft 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro pro Monat. Ein neuer Tarifvertrag soll nicht länger als zwölf Monate laufen.

Um vor der anstehenden Auseinandersetzung auf die Lage der 250 000 Beschäftigten in Berlin und Brandenburg aufmerksam zu machen, hat Verdi am Mittwochvormittag zu einer Pressekonferenz geladen. In dieser Runde erzählt Kita-Leiterin Breitmann: »Die landeseigenen Kitas stehen nicht mehr nur vor dem Problem, neues Personal zu finden. Es geht auch darum, die Abwanderung von Fachkräften zu stoppen.« Deshalb sei eine finanzielle Aufwertung des Berufs nötig, der nach wie vor mehrheitlich von Frauen und in Teilzeit ausgeübt wird.

Auf dem Podium sitzen auch zwei Beschäftigte der Universitäten sowie der Betriebsratsvorsitzende der Berlin Partner GmbH, die im Auftrag des Landes Berlin Wirtschaftsförderung betreibt. Sie machen auf die Lage der sogenannten Anwender des TV-L aufmerksam. Als solche gelten alle Betriebe, in die Berlin Arbeit auslagert. Sie werden nicht direkt vom Land geführt werden, wenden den Tarifvertrag aber an.

Michael Stamm von Berlin Partner meint, die Beschäftigten der sogenannten Anwenderbetriebe müssten häufig auf Teile des TV-L verzichten. So sei es zwar üblich, dass die Lohnerhöhungen übernommen würden, jedoch zum Teil nicht rückwirkend, wie es für Beschäftigte des Landes der Fall ist. Diese müssten häufig in anstrengende Nachverhandlungen für Extratarifverträge gehen. Und nicht in allen Betrieben komme der TV-L zur Anwendung. Dazu seien Arbeitskämpfe notwendig. Bei der Berlin Partner GmbH sei 2017 der Abschluss eines Haustarifvertrages gelungen, sagt Stamm.

Verdi spricht von mehreren tausend Beschäftigten bei Anwenderunternehmen. Pressesprecher Kalle Kunkel erklärt die Bedeutung der Auslagerung von Arbeiten durch das Land Berlin: »Vorher wurde alles über die monatlichen Entgelte geregelt. Jetzt gibt es oft Einmalzahlungen, die kommen in den Anwenderbetrieben häufig aber nicht an.« Einmalzahlungen und die Zersplitterung des Tarifwesens führten zu einer Prekarisierung im öffentlichen Dienst, meint Kunkel.

Katja Boll, verantwortliche Gewerkschaftssekretärin bei Verdi, unterstreicht die Bedeutung der Tarifrunde für Berlin. »Es geht darum, die Verwaltung Berlins wieder gut aufzustellen.« Die Personallücke zu schließen, sei dafür eines der dringendsten Anliegen. Daher sei die nun mitgeforderte Stadtstaatenzulage wichtig. 300 Euro sollen Beschäftigte in Berlin, Hamburg und Bremen mehr bekommen, da die Lebenshaltungskosten dort entsprechend höher seien.

Die Stadtstaatenzulage könnte ein weiteres Problem lösen. Schon jetzt zahlt Berlin einem Teil seiner Beschäftigten in Form der sogenannten Hauptstadtzulage 150 Euro mehr. Dies allerdings eigenmächtig. Daher droht Berlin der Ausschluss aus der TdL. Schon jetzt ist Berlin dort nicht mehr stimmberechtigt. Kommt die Stadtstaatenzulage, würde die Hauptstadtzulage obsolet.

Die Tarifrunden der Länder sind für die Gewerkschaften ein schwieriges Pflaster. Ein großer Teil der Beschäftigten ist verbeamtet und nicht streikberechtigt. Nur Lehrkäfte und Beschäftigte der Universitätskliniken zeigten sich in der Vergangenheit einigermaßen arbeitskampffähig. Die Arbeitgeber traten demgegenüber kampfeslustig auf und forderten gar innerhalb der letzten Runde 2021 einige Beschäftigtengruppen aus ihren Entgeltstufen abzugruppieren. Entsprechend weitgehende Kompromisse mussten die Gewerkschaften hinnehmen. Gerade einmal 2,8 Prozent mehr gab es im Dezember 2022 und das nach 14 Monaten ohne Lohnerhöhungen.

Auf die anlaufende Tarifrunde blickt man bei Verdi wahrscheinlich auch deshalb zum Teil kritisch. Die Betriebsgruppe der FU Berlin kritisiert die von der Bundestarifkommission nun beschlossenen Forderungen. Im Gespräch mit »nd« erklärt ihr Vorsitzender Claudius Naumann: »Der Reallohn muss verteidigt werden. Das bedeutet mit dem Kontext von 2021 und 2022 brauchen wir heute ein Ergebnis von zwölf bis 13 Prozent mehr. Und wir wissen, dass Ergebnis und Forderungen weit auseinander liegen können.«

Auch bei Verdi ist man sich des bescheidenen Abschlusses von 2021 bewusst. »Die Frage ist aber auch: Was kriegen wir realistisch durchgesetzt«, sagt Gewerkschaftsskretärin Boll. Naumann hingegen meint, dass attraktive Forderungen mehr Menschen dazu brächten, sich in die Arbeitskämpfe einzumischen. So würde die Durchsetzungskraft der Gewerkschaft erhöht. Zudem bemängelt er, wie die Forderungen zustande gekommen sind. »Es gab keine organisierte, kollektive Diskussion der Forderungen. Das lief vertikal ab.« Pressesprecher Kunkel will diese Kritik nicht gelten lassen. Noch nie hätte es im Rahmen des TV-L eine so basisdemokratische Forderungsfindung gegeben. Für eine Fragebogenaktion habe man sich anderthalb Monate Zeit genommen.

Gegenüber »nd« betont Naumann von der Betriebsgruppe, dass diese sich als Stimme innerhalb von Verdi verstehe. »Wir wollen eine bessere, eine demokratischere und kämpferische Verdi«, sagt er. Um zu diskutieren, wie dies gelingen kann, lädt die Betriebsgruppe am 26. Oktober um 18.30 Uhr zu einer hybriden Diskussionsveranstaltung ein. Für das Podium sind auch Mitglieder der Bundestarifkommission angekündigt.

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