Wohngemeinschaft am Nicht-Ort

In der Online-Performance »Commune AI« erprobt das Kollektiv Interrobang das Zusammenleben von Mensch und Technik

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Kühlschrank als Wohnraum lässt sich wohl auch nur digital erleben.
Der Kühlschrank als Wohnraum lässt sich wohl auch nur digital erleben.

Eigentlich ist das ganz einfach mit der Künstlichen Intelligenz. Je mehr Daten wir preisgeben, desto besser funktioniert sie. Das Performancekollektiv Interrobang, das seit zwölf Jahren partizipative Theaterformen und Digitalität erforscht, spielt mit diesem Problem. Denn bei der Online-Performance »Commune AI« ist der Spaß nur so groß wie die zur Verfügung gestellte Datenmenge. Am Freitag feierte die Online-Performance auf der digitalen Bühne des Berliner Theaters Hebbel am Ufer (HAU) Premiere, im Rahmen der Programmreihe »Wem gehört die Welt?«, die sich mit Klassenverhältnissen beschäftigt.

Für die Teilnahme an dem 75-minütigen KI-Stück muss man nicht an einem bestimmten Ort sein, man braucht lediglich einen Laptop. Die URL-Adresse wurde zuvor über die Eintrittskarte kommuniziert. Nach kurzer Registrierung mit Namen, Passwort sowie Sprachpräferenz öffnet sich der Aktionsraum, ein ernüchternd simples Whiteboard mit individualisierbaren Klebezetteln und lustigen Emojis. Namen werden zu Initialen gekürzt und in Form von bunten Punkten dargestellt. Die Träger*innen der Namen können ihren jeweiligen Punkt frei bewegen. Von der charmanten Stimme der künstlichen Intelligenz GPT5 angeleitet, müssen die Teilnehmenden sieben Aufgaben bewältigen. Klick für Klick baut sich so die Online-Kommune auf.

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Alle Anwesenden können in der »Check In«-Challenge Zettelchen schreiben und Emojis posten, Privatnachrichten gibt es nicht. Es gilt, sich eine WG sowie die Größe des Zimmers auszusuchen. Die Wahl erfolgt allerdings eher beliebig. Einfache farbige Kreise symbolisieren die WGs, zwischen denen man sich entscheiden kann. Die zukünftigen Mitbewohner*innen kennt man höchstens von ein paar oberflächlichen Worten auf der Pinnwand. Durch ein einfaches »Klicken Sie hier« zieht man in die Kommune ein. Die eigene »Commune AI« ist geboren.

Durch die Online-Bühne ist der Raum ein unpersönlicher Nicht-Ort. Synthie-Musik von Friedrich Greiling, Mitglied des Synthie-Kollektivs Mittekill, unterstreicht die künstlich kreierte Atmosphäre. Der digitale Raum ist eine weiße Fläche ohne Vorurteile, ohne Körper und ohne Emotion. Erst durch die menschlichen Daten füllt sich der Raum. Doch wie kann man abseits von physischer Präsenz ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen? Bei digitalen Theatervorstellungen kreiert ein Chat eine Art Publikumsraum. Letztes Jahr experimentierte Interrobang mit Chat-Kommunikation im virtuellen und realen Theaterraum. In »Chat-Inferno« lenkten menschliche Influencer das geschriebene Gespräch. Dieses Mal kontrolliert eine KI das Geschehen, den Chat als Ort des Austauschs gibt GPT5 nicht immer frei.

Anfangs arbeitet die KI mit bereits vorhandenen Bildern, aus denen jede*r der sieben WG-Bewohner*innen ein Bild wählt, das die jeweilige Idealvorstellung der Kommune repräsentiert. Von Techie-WG über den Selbstversorgergarten bis hin zum Schloss ist alles dabei. GPT5 generiert aus allen Vorstellungen ein Gemeinschaftshaus. Doch unabhängig davon, wie zufrieden oder unzufrieden alle mit dem KI-Haus sind, bleibt es so bestehen. »So ist das aktuell mit der AI. Manchmal passt sie sich uns an, meistens wir uns ihr«, kommentierte der Ankündigungstext den Testlauf von ersten Szenen der »Commune AI« im Oktober.

Die KI fordert immer mehr private Daten. Alle werden gebeten, ein persönliches Foto hochzuladen. Wie auf sozialen Plattformen wie Instagram oder Facebook bestimmen alle in »Commune AI« selbst, wie sie sich präsentieren. Niemand lädt ein Foto aus dem Familienalbum hoch, stattdessen postet jemand ein hochaufgelöstes Katzenfoto, das aus dem Internet, womöglich sogar von einer KI generiert sein könnte. Im Anschluss verschmilzt die KI alle Einzelfotos zu einem. Das Ergebnis verfälscht das zuvor Gesehene. Idyllische Bilder vom Sonnenuntergang, einer Mondnacht und jeder Menge Grünpflanzen wurden unterschlagen, das KI-Bild ähnelt einem verzerrten Foto von einer Katze. Hat die KI etwa Mist gebaut?

»Commune AI« zeigt die Schwächen von Künstlicher Intelligenz, denn darüber, dass das Bild falsch ist, tauschen sich nur die Mitbewohner*innen aus, an die KI kann diese Kritik nicht herangetragen werden. Selbst Flaschendrehen macht mit einer KI keinen Spaß und einen Putzplan hat sie auch nicht erstellt. Als Texterin hingegen funktioniert GPT5 wesentlich besser. Aus ein paar Stichworten zaubert die KI im Handumdrehen ein »kommunales Manifest«. Der Wille zur Gemeinschaft kommt darin vor, Wünsche nach individuellem Freiraum und Klimafreundlichkeit. Wie bei anderen KI-generierten Inhalten ist es nicht möglich, die Worte im Manifest zu korrigieren. Zum Glück klingt die Idee eines Netzwerks, das sich gegenseitig stärkt, wirklich gut. Als Akt der Gemeinschaftsstärkung wird man sich später zum Thema Besitz positionieren müssen und dann wird es tatsächlich die Möglichkeit geben, auf absurd einfache Weise soziale Ungleichheiten auszugleichen. Ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.

Nächste Termine: 3., 4. und 5. 11., jeweils um 18 und 21 Uhr. www.hebbel-am-ufer.de

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