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Fußabdrücke schreiben Geschichte
Eine jahrtausendealte Fußspur deutet auf eine frühere Einwanderung der Menschen nach Amerika hin
Spuren im Sand sind gemeinhin sehr vergänglich. Anders hingegen ist es, wenn die Oberfläche in seltenen Fällen aus Gipsdünen besteht wie im amerikanischen Nationalpark White Sands. Hier lief vor etwa 22 000 Jahren eine junge Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm verängstigt durch die feuchten Dünen auf der Flucht vor wilden Tieren. Ihre Abdrücke im Sand blieben bewahrt und hinterließen nicht nur physische Spuren vor Ort, sondern auch Spuren in der Geschichte, die die gängige Auffassung von der Besiedlung Amerikas infrage stellt.
Eine Frau auf der Flucht
Fußspuren von Menschen und Tieren der letzten Eiszeit wurden bereits 2009 im Nationalpark entdeckt, aber der Durchbruch kam erst 2018, als Forscher des US-amerikanischen Geologischen Dienstes die Spuren der jungen Frau entdeckten, denen sie über 1,5 Kilometer nachgehen konnten. Die Forscher stutzten zunächst über eine lange Reihe regelmäßiger, dunkler Flecken. Eine erste Grabung brachte menschliche Fußspuren zutage, die später weiter verfolgt wurden. Dabei stießen sie auch auf Spuren von Mammuten und Riesenfaultieren, die die menschlichen Spuren kreuzten oder von denen der Frau gekreuzt wurden. Daher weiß man, dass die Person sich von diesen Tieren bedroht fühlte. Die Analyse der Schrittlänge, der Größe der Abdrücke und wie die Person im feuchten Sand rutschte, ergab, dass es sich um eine Jugendliche oder eine junge Frau handelte, die ein Kleinkind wechselweise auf den Hüften trug. Ab und zu setzte sie das Kind ab, das einige Schritte mitlief, um es dann wieder auf der anderen Seite hochzunehmen. Natürlich kann man das Geschlecht einer Person nicht aus Fußspuren ermitteln, aber hier zogen die Forscher Parallelen zu historischen Jäger-Sammler-Gruppen, wo ausschließlich Frauen Kinder auf diese Art und Weise tragen. Die Fußspuren verliefen entlang eines heute ausgetrockneten Sees und die Tiere fühlten sich vielleicht von der jungen Frau gestört, weshalb sie drohend wirkten und sie zur Flucht veranlassten.
Zweifel an der ersten Datierung
Eine erste Studie, in der sie sich auf ein Alter zwischen 21 000 und 23 000 Jahren festlegte, veröffentlichte die Forschergruppe bereits 2021. Zur Altersbestimmung mit der Radiokarbon-(C14-)Methode nutzten sie damals Wasserpflanzen, die unter den Spuren und um sie herum gefunden wurden. Diese Datierung rief Kritik hervor, weil Wasserpflanzen Kohlenstoff aus dem Grundwasser aufnehmen und damit ein höheres Alter zeigen können als ihr eigenes. Deshalb analysierten die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren zwei andere Datensätze, die beide annähernd gleiche Ergebnisse brachten. Sie untersuchten Kiefernpollen und -samen, die in den gleichen Schichten gefunden wurden und verglichen deren C14-Ergebnisse. Beide Messungen ergaben ein Alter zwischen 23 400 und 22 600 Jahren. Die Pollen einzusammeln, war eine mühselige Arbeit, da als ausreichende Menge biologischen Materials mindestens 75 000 für eine Datierung benötigt wurden. Parallel dazu wurden Quarzkörner unmittelbar unter den Fußspuren mithilfe der optisch stimulierten Lumineszenzdatierung untersucht. Bei dieser Methode wurde gemessen, wann die Körner letztmalig dem Sonnenlicht ausgesetzt waren und ein Mindestalter von 21 500 Jahren ermittelt. Damit liegen Messergebnisse dreier verschiedener Analysen vor, die in die gleiche Richtung zeigen: Menschen hielten sich wenigstens 8000 Jahre früher in Nordamerika auf, als bisher angenommen und vor allem bewiesen wurde.
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Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass Amerika seit etwa 14 500 Jahren besiedelt ist, unter anderem durch die Altersbestimmung des Skeletts des sogenannten Anzick-Kindes in Montana sowie aufgrund eines Fundes menschlicher Exkremente in der Paisley-Höhle in Oregon. Das Anzick-Begräbnis und weitere Funde gehören der Clovis-Kultur an. Wissenschaftlich umstrittene Funde im Osten Nordamerikas, in Texas und Nordmexiko legen nahe, dass die Einwanderung früher als vor 20 000 Jahren geschah und die Eingewanderten einer noch nicht definierten Vor-Clovis-Kultur angehörten.
Zeitliche und geografische Lücke
Das Rätsel der frühen Einwanderung nach Amerika wird nicht einfacher, wenn man die Fundstelle von Monte Verde in Chile einbezieht, die ein bestätigtes Alter von 14 500 Jahren hat. Es gibt auch noch andere Fundstellen, insbesondere in Brasilien, die noch weiter zurückweisen in die Geschichte, wo die Unsicherheiten aber noch größer sind als bei den nordamerikanischen Gegenstücken. Da die Einwanderung über Beringia, die untergegangene Landbrücke zwischen Asien und Alaska erfolgte, klafft hier ein gewaltiges zeitliches und geografisches Loch, denn die Einwanderer mussten sich erst entlang der Westküste Nord-, Mittel- und Südamerikas bewegen und die Rocky Mountains beziehungsweise Anden überqueren.
Aus diesem Grund sind die Spuren im Sand von New Mexico so wichtig, denn sie stützen die Theorie der Einwanderung nach Amerika vor 20 bis 30 000 Jahren. Ohne Funde von Skelettteilen und kulturellen Hinterlassenschaften führen aber auch die besten Fußspuren nur ins Dunkle und Einwanderungszeitpunkte und genetische Verwandtschaften mit heute lebenden Ureinwohnern bleiben rätselhaft.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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