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Programmdirektor Bernd Buder: »Auf uns lastet ein gewisser Druck«
Vom 7. bis 11. November läuft das Filmfestival Cottbus. Programmdirektor Bernd Buder im Gespräch über die diesjährige Filmauswahl
Beim diesjährigen Filmfestival Cottbus sind rund 150 Filme aus 40 Ländern vertreten. Welche Handschrift hat das diesjährige Festival?
Wir haben ein bisschen entgegen der Erwartung programmiert und im »Wettbewerb« einen postapokalyptischen Zombiefilm aus Mazedonien (»M«), den estnischen Kung-Fu-Film »The Invisible Fight« oder den ungarischen Wutschrei »Three Thousand Numbered Pieces« gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Roma. Der Film ist eine Mischung zwischen Theater, Musical und Komödie. Im Arthaussektor wiederholt sich vieles, deshalb sind Cross Genres im Trend.
Wie hat der russisch-ukrainische Krieg das Festival verändert?
Der russische Tag war bis 2020 Grundbestandteil unseres Programms. Wir haben uns dem Boykott von russischen Filmen nie angeschlossen, aber auf uns lastet ein gewisser Druck und auch eine Verantwortung. In dem Moment, in dem wir bestimmte Filme auf die Leinwand bringen würden, würden Ukrainer ihre Filme zurückziehen sowie baltische und polnische Produzenten mit Sicherheit auch. Wir zeigen keine russischen Filme, die derzeit mit staatlicher Förderung unterstützt werden, keine Kassenschlager und auch keinen netten russischen Abenteuerfilm. Nichtsdestotrotz halten wir es für wichtig, Kontakte zu russischen Filmemachern zu halten. Bei uns waren nie Leute, die die Putin’sche Politik toll fanden. Es gibt unglaublich viele russische Filmemacher im Exil und vereinzelt Filme, die zwar als russische Produktionen eingereicht wurden, aber unter neuem Label erscheinen. Plötzlich ist der Film dann zum Beispiel ein kasachischer Film.
Bernd Buder wurde 1964 in Berlin geboren. Er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin. Er ist Programmdirektor des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg (JFBB), seit 2015 auch Programmdirektor des Filmfestivals Cottbus. Außerdem arbeitete er für das Berliner Filmkunsthaus Babylon, die Türkische Filmwoche Berlin und den Koproduktionsmarkt Connecting Cottbus.
Welche russischen Filme haben Sie im Programm?
Wir haben eine kleine Anzahl von russischen Produktionen. Zum Beispiel das Ein-Mann-Kammerspiel »The Choice« über einen Typen im Homeoffice, der nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes erpresst wird, Gelder umzuschichten. Es gibt auch den belarussischen Kurzfilm »It’s Alright« über einen Jungen, der von seinem Vater lernt, ein Schwein zu töten. Die Kamera konzentriert sich auf den Jungen, den Vater sieht man nur bis zum Bauchansatz und wie er ihm die Hand auf die Schulter legt. Sie beschützt ihn, aber sie zwingt ihn auch unter die Fuchtel des Patriarchen. Im Dokumentarfilm »Russia vs. Lawyers« verteidigen Rechtsanwälte junge, russische Deserteure oder Leute, die auf Anti-Kriegs-Demonstrationen festgenommen wurden. Dazu bieten wir am Freitag eine Paneldiskussion an.
Wie schwierig war es, das Programm für den ukrainischen Tag zusammenzustellen?
Erstaunlicherweise weniger schwierig als gedacht. Die ukrainische Filmszene hat sich zu einer der kreativsten in Europa entwickelt. Vorausschicken muss man natürlich, dass die Filmemacher unter echt extrem schwierigen Bedingungen arbeiten. Alarm, Stromausfall, Ausfall der Infrastruktur sind keine Seltenheit in der Ukraine. Filmschaffende, Drehbuchautoren, Techniker sterben an der Front oder durch Bombenangriffe. Es gibt keine Finanzierung mehr für Filme in der Ukraine, aber viele Koproduktionen. Wir zeigen Coming-of-Age-Filme, eine Komödie über Homophobie, auch Korruption, sowjetische Vergangenheits- und Kriegsbewältigung tauchen als Themen in den Filmen auf. Ich bewundere das, weil die Filmemacher auch den Finger in die Wunde legen, wo Demokratiedefizite sind.
Die Kurzfilmsektion ist extrem düster. Da geht es um Gewalt, Unbehagen und Rassismus. Haben Sie die Sektion bewusst so programmiert?
Man muss nur die Nachrichten gucken und versteht, dass Osteuropa momentan kein Territorium ist, worüber sich viele Komödien machen lassen. Es ist auch wesentlich schwerer, eine gute Komödie zu machen. Jede Geste muss stimmen, oft reißt der Humor nicht mit, weil man beispielsweise in Tschechien über andere Situationen lacht als in Deutschland.
Haben Sie ein Beispiel für zu speziellen Humor?
Wir hatten eine Einreichung eines in Russland lebenden georgischen Regisseurs dabei, der sich über georgische Esskultur lustig gemacht hat. Der Hauptwitz besteht darin, dass es ein Mann nicht schafft, die Khinkali-Teigtasche, die man an der Spitze mit der Hand festhält, abbeißt und dann austrinkt, richtig zu essen. Er schneidet sie auf und wird von der Sicherheitspolizei bestraft. Abgesehen davon, dass es im Moment nicht die richtige Zeit ist, eine Komödie aus Russland zu zeigen, wäre das ein Film gewesen, bei dem man den kulturellen Kontext erst minutenlang erklären müsste. Das macht auf dem Filmfestival auch nicht unbedingt Sinn.
Der Koproduktionsmarkt Coco wird 25. Wie hat sich dieser in den letzten 25 Jahren verändert?
2011, als ich Coco betreut habe, herrschte ein mitreißendes Woodstock-Feeling. Jeder wollte mit jedem zusammenarbeiten, die Förderungen waren offener. In der Politik gab es zwar Schwierigkeiten, aber auch den Willen zum Miteinander. Als sich Russland von einem auf den anderen Tag weigerte, das deutsch-russische Koproduktionsabkommen zu unterschreiben, hat man gemerkt, dass es wieder rückwärts geht.
Inwiefern?
Man steht sich seitdem misstrauisch gegenüber. Stoffe in Ungarn bekommen zum größten Teil keine Förderung mehr, weil sie nicht nationalistisch genug sind. In Serbien wird es auch schwieriger, in der Türkei ist die Lage katastrophal. Es war fast ausverhandelt, dass die Türkei Mitglied des Mediaprogramms wird, dann wurde von der türkischen Seite gestoppt. Das Filmfestival in Antalya wurde drei Tage vor Beginn abgesagt, weil ein Film laufen sollte, der dem Regime nicht gefällt. Film gilt in vielen Ländern immer noch als Werkzeug des gesellschaftlichen Ausdrucks eines Freiheits- und Demokratisierungswillens.
In »Polskie Horyzonty« widmen Sie sich in neun Filmen dem weiblichen Blick. Was macht diese Filme aus?
Sehr lange haben im Kino weibliche Identifikationsfiguren gefehlt. Im polnischen Kino lernt man ihren Alltag kennen, nebenbei wird viel von polnischer Geschichte erzählt. Wir haben die Reihe auch gemacht, weil Polen fürchterlich rechtsnational regiert wird, oft nimmt man die gesamte Gesellschaft in Sippenhaft, obwohl sich Filmschaffende mutig gegen die Regierung stellen. Die ausgewählten Arbeiten sind sehr vielfältig. »Shreds« von Beata Dzianowicz erzählt eine eher konventionelle Alzheimer-Geschichte, bei »The Silent Twins« von Agnieszka Smoczyńska ist man so nah bei den Protagonistinnen, dass man im Grunde der dritte Zwilling ist. Wir zeigen auch Smoczyńskas Debütfilm »Sirenengesang« und »Fugue«, einen atmosphärischen, dunklen Film über eine Frau, die ihr Gedächtnis wiedergewinnt. Agnieszka Zwiefkas »Vika!« hingegen begleitet Polens älteste DJane und geht mit ihr auf die Suche nach der ewigen Jugend.
Was kann das deutsche Kino vom osteuropäischen Kino lernen?
Einerseits den Mut, ganz stark in unangenehme Themen reinzugehen und sich künstlerisch so auszudrücken, dass am Ende mehr Fragen offen bleiben als beantwortet werden. Ich mag das osteuropäische Kino, weil es einem in der Regel nicht sagt, was man tun muss, um ein Held zu werden, weil es kein Happy End suggeriert.
Mehr Infos unter: www.filmfestivalcottbus.de
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