• Kultur
  • David Fincher "Der Killer"

Film »Der Killer«: Je ein Kapitalist schlägt viele tot

David Finchers neuer Film »Der Killer« enthält mehr Marxismus, als es manch einem lieb sein kann

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 6 Min.
Michael Fassbender als solo-kleinselbstständiger Killer auf Was-kostet-ein-Menschenleben-Basis
Michael Fassbender als solo-kleinselbstständiger Killer auf Was-kostet-ein-Menschenleben-Basis

Halte dich an deinen Plan, vertraue niemandem: Dieser Satz des Killers könnte von Regisseur Fincher selbst stammen, sieht er sich doch als perfektionistischen Arbeiter im Bergwerk der Kinobranche, der nur die Filme dreht, die er selbst schauen will. Finchers neuer Film, gewordene Heimsuchung aller Arthouse-Kulinariker, lässt uns am Berufsalltag eines Solo-Kleinselbstständigen im Auftragskillergewerbe (gespielt von Michael Fassbender) teilhaben. Professionell, konzentriert, empathielos, durch nichts aus der Ruhe zu bringen, ist sein Motto: Halte dich an den Plan. Kämpfe nur den Kampf, für den du bezahlt wirst.

Doch auf einmal geht etwas schief: Es lag nicht in seiner Macht, aber die Konsequenzen muss der Killer nun persönlich tragen und – widerwillig, aber auf alles gefasst – auf seine mörderische Weise für einen beruflichen Fehler auch die private Verantwortung übernehmen.

Wie Finchers »Panic Room« (2002) nicht einfach die Story eines Einbruchs ist, sondern eine des Einbruchs des unschuldigen, in Not geratenen und somit böse gewordenen Prekären in den gut situierten, unschuldig scheinenden Alltag der besitzenden Klasse, so ist auch »Der Killer« nicht einfach die Story eines gefühlskalten Auftragskillers. Wird »Panic Room« noch aus der Perspektive beider Seiten erzählt, drängt »Der Killer« dazu, von Beginn an mit dem Mörder mitzufiebern.

Die Reminiszenzen an Finchers Erfolgsfilm »Fight Club« (1999) sind zahlreich und unübersehbar: In einem leeren Pariser Bürogebäude hält der Killer zu Beginn einen Voiceover-Monolog, der uns eindringlich mit seiner Berufsphilosophie vertraut macht, bevor er sich an die Arbeit und dann auf die Flucht begibt. Fincher zeigt ein Paris ohne Eiffelturm, aber mit Mopedfahrt, die eine erwartbare Verfolgungsjagd vereitelt. Das sind auch Regie-Statements: Fincher kann Kino-Signifikanten leer lassen, Erwartungen enttäuschen – und gerade in dieser Enttäuschung lehrreicher und unterhaltsamer sein als die Kollegen mit ihren Routine-Effekten.

Die einfache Moral der Geschichte könnte lauten: Mord und Ausbeutung lohnen sich zwar finanziell, höhlen aber das Privatleben aus. Aber hier geht es nicht bloß um Moral. Wie alle Filme Finchers hat auch »Der Killer« ein marxistisches Fundament: In »Fight Club« ging es um Produzenten, die sich nur noch als Konsumenten erfahren und als Kur dagegen einander in die physische Realität zurückprügeln. Der vom Leben gelangweilte Angestellte flüchtet sich in die anarchistische Gewalt und erreicht damit: »nichts« (Lenin). In »Der Killer« geht es um einen Produzenten, der gar nicht daran denkt, Konsument zu sein. Er produziert unaufhörlich – und zwar Leichen. Er ist damit das Abbild des Lohnabhängigen im Kapitalismus, der für seine Herren die Drecksarbeit zu erledigen hat und mit dem Versprechen, damit würde er reich werden, bei Laune gehalten werden soll.

Der Killer ist reich geworden – aber die verdinglichende Schädigung der Produzenten unter der Arbeitsteilung ermöglicht auch der Arbeiteraristokratie keinen sorglosen Alltag: Die Frau (Sophie Charlotte) des Killers wird auf Befehl des Auftragsmord-Großunternehmers (Charles Parnell) von anderen Killern überfallen und zusammengeschlagen, auch der Killer selbst soll ermordet werden. Es kann, das soll so deutlich werden, keine Solidarität unter den Produzenten geben, wo sie geködert werden mit dem Versprechen, noch reicher zu werden, aber gar keine Chance auf ein behagliches Leben haben, solange sie nicht mit Haut und Haaren zu Diensten sind.

Die Story zielt ab auf die Herausbildung eines Klassenbewusstseins: Der Killer muss am eigenen Leib erfahren, dass auch er nur Teil der lebendigen Manövriermasse des Kapitals ist, also einer der vielen, dessen Selbstständigkeit nur auf der Ausbeutung seiner Kraft zur Selbstentmenschlichung beruht – während er zu Beginn noch davon ausging, er sei einer der wenigen, Teil der Elite. Als Produzent wird man in dieser Gesellschaft nicht ohne Zermürbung reich: So wendet er sich dann gegen seinen Chef, führt den bewaffneten Kampf, für den er nicht bezahlt wird und der gerade deshalb in seinem Interesse liegt.

Der Killer, vom Knecht des Kapitals zum Knecht seines Neureichtums geworden, dient den wenigen, den Großen im Prozess der Monopolisierung der Profikiller-Industrie. Also dem, was Marx im »Kapital« zur »Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige« schreibt: »Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist. (...) Je ein Kapitalist schlägt viele tot.« So wird der mordende Kleinunternehmer reproletarisiert, zum wohlhabenderen Knecht. Wenn er zum Schluss am Karibikstrand liegt, nun einer der vielen, der Kleinen, sieht man an ihm, dass die Revolution sogar im Interesse der zur Gewalt Gezwungenen ist. Sie wissen das nicht, aber sie wollen die Revolution, weil sie diese, »bei Strafe ihres Untergangs« (Marx), wollen müssen.

Finchers anderer Klassiker »Panic Room« handelt davon, dass die vermeintlich Bösen (die Einbrecher, das Prekariat) weniger böse sind als die vermeintlich Guten (die Hausbesitzer, die Bourgeoisie) und sich Erstere nicht auf die Angebote Letzterer einlassen sollten, wie verlockend diese auch sein mögen. Der Protagonist in »Der Killer« hat gelernt: Bevor er sich auf Angebote einlässt, tötet er – bis auf eine interessante Ausnahme – minutiös jeden, der ihm ein solches unterbreiten könnte. Auch die Untergeordneten, Abhängigen wollen bei Fincher ihre Interessen durchsetzen, können das aber nur durch Bosheit, Gewalt, List.

Im Gegensatz zum »Fight Club«-Protagonisten spaltet der Killer sein Ich-Ideal nicht von sich ab, indem er es zu Tyler Durden werden lässt, sondern versucht es zu integrieren: Der Killer muss nicht erst schizophren werden – er ist schon von Beginn an ein bloßes Präzisionsinstrument der herrschenden Klasse und identifiziert sich mit dieser maschinellen Rolle gänzlich. Er wird erst durch den Anschlag auf seine Frau aus diesem Kokon geholt und empfindet nun die Bedrohung selbst, die er sonst für andere war. Und gerade weil er ein perfektionistischer Profi ist, weiß er, wozu seine Kollegen fähig sind. Aber sein Handwerk, das ihn sonst zum tötenden Knecht seiner Auftraggeber macht, hilft ihm nun, als Krieger sein eigenes Leben zu schützen – in einer erbarmungslosen wie grausamen Flucht nach vorne.

Die Stärke seines Selbstvertrauens entspricht dabei der seiner Fähigkeiten als Killer. Das Wiedergutmachen seines Berufsfehlers dient zugleich der Absicherung seines Privatlebens. Illustrierte »Fight Club« den Willen, sterben zu lernen, zeigt »Der Killer«, wie man kämpft, um nicht sterben zu müssen.

Fincher, der seine Karriere mit Werbe- und Musikvideos (unter anderem für Madonna und A Perfect Circle) begann, hat ein ausgewiesenes Gespür für die zweckdienliche filmische Integration von Artefakten der Popkultur. Der Film, den man am besten im Kino schauen sollte, ist, angefangen bei den Decknamen des Killers, wieder voll von lakonischen Anspielungen. So dient die Musik einmal mehr nicht der reinen Untermalung, sondern als Metakommentar. Wenn der Killer im Moment des Schießens die Zeilen »I am human and I need to be loved, just like anybody else does« von den Smiths in den Kopfhörern hat, ist das so bezeichnend wie das Sub-Pop-Shirt des den Mord beauftragenden Millionärs: Pop wird in Finchers Werk sehr ernst genommen, ist weder Nebensache noch Nerd-Leidenschaft, sondern tatsächlich völkerverbindende Alltagskultur aller – vom Killer bis zum Millionär.

Die Lieblingslieder hypersensibler Teenies aus den 80ern taugen für das Versumpfen in Selbstmitleid so gut wie als Einstimmung für den Auftragsmord. Wie kaum ein anderer hat Fincher begriffen, wie Pop und sozialistischer Realismus gekonnt zu vereinen sind.

»The Killer«, USA 2023. Regie: David Fincher. Mit: Michael Fassbender, Tilda Swinton, Arliss Howard. 119 Min. Ab 10.11. auf Netflix.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.