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Thälmann-Denkmal: KPD-Vorsitzender angeblich schuld an Hitler
Zweifelhafte Tafeln am größten Denkmal des KPD-Vorsitzenden
Kalt weht der Wind am Donnerstag gegen 16.30 Uhr am Ernst-Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße. »Es ist ein Ort, der niemanden kalt lässt, zu dem viele Menschen eine Meinung haben. Ein Ort, der Emotionen auslöst«, weiß Oliver Jütting, Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Pankow. Wenig später enthüllt er gemeinsam mit seiner Parteifreundin, der Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne), zwei Hinweistafeln. Sie sollen über das Schicksal Thälmanns und die Geschichte seines Denkmals historisch-kritisch informieren – genau genommen mehr kritisch als historisch korrekt.
»Ernst Thälmann ist ganz unbestritten ein Opfer des Nationalsozialismus«, hält Jütting immerhin fest. Schließlich wurde der KPD-Vorsitzende 1944 im KZ Buchenwald ermordet. »Das ist das größte Thälmann-Denkmal in Deutschland, aber bei Weitem nicht das einzige«, bemerkt Jütting, der 1978 in Hamburg geboren wurde, so wie einst Thälmann. Zu Recht stehe das Monument unter Denkmalschutz, findet Jütting. 1986 wurde es eingeweiht. Vorher wurden drei Gasometer auf dem Gelände gesprengt. Die Versuche engagierter Bürger, die Sprengung zu verhindern, stilisiert Jütting zur Keimzelle des Widerstands gegen das SED-Regime.
Aber das ist noch gar nichts gegen Bezirksbürgermeisterin Koch. Die behauptet nassforsch, die Historiker seien sich einig, dass Thälmann die Weimarer Republik bekämpft und geschwächt und damit die Voraussetzung geschaffen habe, dass Adolf Hitler 1933 an die Macht gelangen konnte.
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Nicht die Industriellen, die Hitlers NSDAP große Summen spendeten, nicht die Wähler, die ihr Kreuz bei der NSDAP machten, und nicht der Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Hitler zum Kanzler ernannte, wären demnach die Schuldigen, auch nicht die bürgerlichen Parteien, die im Reichstag für das Ermächtigungsgesetz stimmten, sondern der Kommunist Thälmann. Auf den Hinweistafeln wird es etwas genauer ausgeführt. Da wird Thälmann angekreidet, mit der von ihm für die Sozialdemokraten übernommenen Bezeichnung Sozialfaschisten die Spaltung der Arbeiterbewegung bewirkt zu haben. So habe er den Kampf gegen die Nazis behindert. »Aus Sicht vieler Historiker« – also sind sich doch nicht alle einig, wie Cordelia Koch behauptet – habe das die Voraussetzungen geschaffen, unter denen Hitler an die Macht kommen konnte. Bezirksbürgermeisterin Koch möchte den imposanten Koloss von einem Denkmal für Thälmann zu einem Mahnmal für das Scheitern der Demokratie wandeln.
»Es ist nicht zu fassen«, reagiert am Freitag Stefan Natke, Landesvorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). »Die Geschichte soll umgeschrieben werden«, schimpft er.
Die zwei Hinweistafeln ergänzen die vor zwei Jahren erfolgte künstlerische Kommentierung. Auf fünf Quadern rund um das Denkmal stehen die Titel von zehn Kurzfilmen der Künstlerin Betina Kuntzsch, die sich mit Thälmanns Biografie, der Geschichte des Denkmals und des hinter diesem liegenden Wohnviertels auseinandersetzen. »Vom Sockel denken« heißt das Kunstprojekt. Aber die Variante »vom Sockel holen« schwingt dabei mit. Dagegen protestierte 2021 die DKP, die aber diesmal nichts von dem Termin wusste.
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