Krise – nicht bei den Grünen

Nouripour und Habeck schwören Mitglieder auf Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn ein

Viel war im Vorfeld der 49. Bundesdelegiertenkonferenz von einer Belastungsprobe zwischen der Führung der Grünen und ihrer Basis gesprochen worden. Die Tagesschau sprach von einer »Identitätskrise«, viel wurde über einen offenen Brief berichtet, in dem mehr als 1000 Mitglieder die Parteiführung aufforderten, sich dem Rechtsruck entgegenzustellen statt ihn mitzumachen. Mit Spannung wurde die Debatte über einen Antrag der Grünen Jugend erwartet, nach dem die Grünen-Minister*innen keinerlei Asylrechtsverschärfungen mehr zustimmen sollten.

Nun, die Debatte darüber wurde kurzfristig vom Donnerstag auf den späten Samstagabend verschoben. Der Parteivorstand hatte eine Änderung der Tagesordnung beantragt, in Karlsruhe sollte erstmal über das Haushaltsurteil und den Nahost-Konflikt gesprochen werden. Die Delegierten stimmten der Änderung zu. Eine Abstimmung mit viel Konfliktpotenzial war für den Anfang abgewendet worden. Es folgte der große Auftritt von Omid Nouripour. Der Parteichef greift die CDU scharf an, attestiert Friedrich Merz »nicht einmal oppositionsfähig« zu sein, der freue sich mehr über Niederlagen der Regierung, als dass er Erfolge für das Land wolle.

Die Grünen würden nun von allen Seiten angegriffen, weil die Partei den Unterschied ausmache, man wolle die Partei »in die Nische schieben«, das werde man aber nicht zulassen. Nouripour wechselte bei seiner Rede mehrmals den Ton: von beinahe pathetischer Nachdenklichkeit – er sprach über Kriegsgräber, die er kürzlich besucht hatte und die ihn daran erinnerten, wie wichtig Europa für den Frieden sei – bis zur Partystimmung, als er Delegierte aus den Bundesländern begrüßte, bei denen in diesem Jahr Wahlen stattfanden. Den Delegierten gefiel offenbar, was ihr Vorsitzender erzählte.

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Als am Freitagvormittag die Vorsitzenden gewählt wurden, erhielt Omid Nouripour 79 Prozent der Stimmen. Er hatte mit Philipp Schmagold einen Gegenkandidaten, der sich für die Stärkung der Parteibasis aussprach. Gegen Ricarda Lang trat niemand an, die Ko-Vorsitzende der Grünen wurde von 82 Prozent der Delegierten gewählt. Im Ergebnis wählten Nouripour etwas weniger Delegierte als vor knapp zwei Jahren, Richarda Lang erhielt mehr Stimmen als bei ihrer ersten Wahl.

Doch zurück zum ersten Abend des Parteitag, Omid Nouripour hatte die Delegierten gegen die Angriffe von außen eingeschworen. Robert Habeck fügte dem Ganzen seine eigene Erzählung hinzu. »Wir prägen Politik und Politik prägt uns, das ist Politik.« Sätze, die wie eine Mischung aus Instagram-Card und Fernsehphilosoph klingen. Weitere Beispiele? »Was wir erleben ist kein Spiel, es verträgt keine Spielereien.« Habeck spricht von einer »gewendeten Zeit«, die allgegenwärtige »Zeitenwende« ist ihm vielleicht zu abgedroschen. Er sagt, man müsse »sich auf die Welt einlassen« und »die Wirklichkeit wird sich verändern«. Der Wirtschaftsminister sagt viel für eine doch relativ simple Botschaft an die Mitglieder: Wir holen raus, was wir können. Mehr ist nicht drin. Ja, es wird mehr abgeschoben, dafür dürfen Geflüchtete hier schneller arbeiten. Habeck will, dass die Delegierten Erfolge anerkennen und einsehen, ohne die Grünen in der Regierung wäre alles schlechter.

Habeck sagt das alles in der allgemeinen Debatte am Donnerstagabend. Sein Beitrag ist einer von mehreren »gesetzten Redebeiträgen«, die Regierungs- und Vorstandsmitgliedern eingeräumt werden. Auch auf die Redezeitbegrenzung wird bei Habeck und Co. nicht so genau geachtet wie bei den Beiträgen einfacher Delegierter, deren Redewünsche ausgelost wurden.

Von der Basis, etwa von einer Delegierten aus Cloppenburg, gab es teilweise drastische Kritik. Sie warnte vor dem Austritt von Mitgliedern, selbst von welchen, die die Partei mitgegründet hätten. Den Grünen-Minister*innen fehle es in der Ampel an Durchsetzungsmacht, als Machtverstärker sollten die Minister*innen ihre Basis nutzen, gute Beschlüsse fassen und damit rote Linien für die Partei formulieren.

Viele der ausgelosten Redner*innen fokussieren sich in ihren Beiträgen auf die FDP. Mit den Liberalen könne man nicht regieren. Ihre Klimapolitik sei ignorant, Christian Lindners Festhalten an der Schuldenbremse fatal. Den Grünen drohe der Niedergang, wenn sie nicht für deutliche Veränderungen in der Regierungslinie sorgten. Insgesamt blieb die Kritik in der mehrstündigen Debatte aber moderat. Parteiführung und Minister*innen hatten es offenbar geschafft, die Delegierten auf die Linie »machen, was irgendwie möglich ist« einzuschwören.

Die größten Unstimmigkeiten, die beim Parteitag noch zu erwarten sind, betreffen wohl Personalfragen. Neben dem inhaltlichen Programm stellen die Grünen auch ihre Liste für die Europawahl auf. Terry Reintke ist als Spitzenkandidatin unumstritten. Hinter ihr gibt es zahlreiche Konkurrenzkämpfe. 2019 waren die Grünen mit 20,5 Prozent ins Europaparlament eingezogen. Momentan stehen sie in Umfragen mit fünf oder mehr Prozent deutlich schlechter da. Mit jedem Prozent fällt etwa ein Sitz im Parlament weg.

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