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Buch von Carlo Masala: Deutschland soll kriegstüchtig sein
Ein Erklärbuch zur Zeitenwende mit Albtraumpotenzial – Carlo Masala: »Bedingt abwehrbreit«
Raue Zeiten provozieren Albträume. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis es auch in Deutschland ein Kriegskabinett gibt? Tarnkombi statt Anzugstoff? Absurd? Manch Kabinettsmitglied hat bereits beides im Schrank.
Seitdem Zarewitsch Putin seine Truppen die Ukraine überfallen ließ, kuschelt Kanzler Olaf Scholz auffällig oft mit der Generalität. Reserve-Major und Finanzminister Christian Lindner (FDP) macht trotz Minuswachstum Milliarden frei für neues Kriegsgerät. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich in nur vier Tagen den Oberleutnant »erdient«, Staatsminister Tobias Lindner übt nicht nur mit seiner Chefin Annalena Baerbock Gleichschritt. Bettina Stark-Watzinger (FDP), zuständig für Bildung, postete unlängst ein Foto mit Tarnfarbe im Gesicht und ihr Parteikollege Marco Buschmann, der das Justizressort verwaltet, zeigte sich schon vor Jahren in Uniform. Wen vergessen? Oh ja: Boris Pistorius. Obwohl einst nur im letzten Glied bei der Heeresluftabwehr, ist er seit Jahresbeginn als Minister für Verteidigung Inhaber der Obersten Befehlsgewalt. Im Frieden, der ja angeblich bei uns der Ernstfall ist. Wie lange noch? SPD-Mann Pistorius propagiert einen notwendigen Mentalitätswechsel hin zur »Kriegstüchtigkeit« so wortgewaltig, dass selbst die FDP-Schildträgerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mal im Stillgestanden verharrt. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Hamas-Attacken auf Israel müsse man wieder lernen, dass es Bedrohungsszenarien gebe, auf die wir Deutschen uns einstellen müssen.
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Der Albtraum plus: Was passiert, wenn Russland sich nicht mit der Ukraine »begnügt«, sondern auch Deutschland überfällt? Eine absurde Frage? Nicht für Carlo Masala. Der ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr. Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Eindringen Russlands in einen Nachbarstaat hat er Konjunktur, wird in Nachrichtensendungen zugeschaltet, hat Stammplätze in Talkshows und auch bei X – vormals Twitter – kann man Masala nicht übersehen.
Sein jüngstes Buch folgt der Frage-Antwort-Methodik. Die macht das Schreiben (wie das Lesen) einfach und so konnte das Erklärbuch zur Zeitenwende rasch auf den Markt kommen. Der Historiker Sebastian Ullrich und der Politikwissenschaftler Matthias Hansl, Lektor und Programmleiter beim C.H. Beck-Verlag, treten als Stichwortgeber auf. Der Titel des Gesprächsbandes: »Bedingt abwehrbereit – Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende«. Absichtsvoll an die legendäre »Spiegel«-Affäre von 1962 erinnernd.
Der Professor unkt, dass die Bundesrepublik einem russischen Angriff nicht standhalten würde. »Meines Erachtens hätte die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr in diesem Fall zwischen drei Tagen und zweieinhalb Wochen betragen, nicht länger.« Allerdings stünden auch die anderen europäischen Nato-Länder nicht besonders gut da. Die deutschen Streitkräfte, so der Bundeswehr-Experte, seien trotz vieler Worte und reichem Geldregen aus der Wolke Sondervermögen in einem beklagenswerten Zustand.
Kein Zweifel, der Autor, der nach Putins Annexion der Krim 2016 ein interessantes Buch über globale Krisen (»Die Weltunordnung«) verfasst und demnächst seine Gedanken »Warum die Welt keinen Frieden findet« im Wiener Brandstätter-Verlag veröffentlichen will, argumentiert in »Bedingt abwehrbereit« ebenso kenntnisreich wie direkt. Dank dafür, denn – wie beabsichtigt – macht man als Leser so einfacher die Stellen aus, die zum Widerspruch reizen. Besonders dann, wenn Masala nicht geneigt ist, Widerspruch zuzulassen.
Ein grundlegender Fehler vergangener Jahrzehnte sei, dass die Deutschen allzu lange von der Friedensdividende der vergangenen Jahrzehnte profitiert hätten. Anstelle der nötigen Abwehrbereitschaft setzte man – wie die Nato insgesamt – fast nur noch auf Auslandseinsätze. Der Westen, EU, Nato, vor allem die Amerikaner – sie alle hätten viele Fehler gemacht. Die Interventionen im Irak, in Afghanistan, Syrien, Libyen nennt der Professor hochproblematisch und warnt davor, weiter Werte und Interessen zu verwechseln. Auch wer Masalas Ideen nicht folgt, unterstützt gewiss diese Aussage: Deutschland müsste im Sinne einer selbstbewussteren Außenpolitik zunächst einmal für sich selbst klarstellen: Was sind die eigenen Ziele, die man da verfolgt? Und wie realistisch ist die Verfolgung dieser Ziele?
Viele der ausgebreiteten Argumente hat man inzwischen oft genug gehört. Kein Vorwurf, aber zurzeit überholt die Realität jede Druckmaschine. Das betrifft auch Passagen, in denen Masala die Ukraine und deren Abwehrkräfte zu erklären versucht. Interessanter wird’s, wenn der Bundeswehrprofessor langfristigere Machtpolitik analysiert und die Frage nach der Nato-Osterweiterung stellt. War das eine Provokation, die zu Unvorhersehbarem führte? Die erwartbare Antwort: »Russland ist kein passives Opfer.« Die Nato-Osterweiterung sei bis Kriegsbeginn ein von Moskau vorgeschobenes Argument gewesen, es habe eine Vielzahl von Angeboten an Putin gegeben, Formate, Zugeständnisse, Kompromisse, Einladungen, guten Willen. Ohne Erfolg. Und wie weiter?
Der Autor hat nur beunruhigende Nachrichten für seine Leser. Wie auch immer dieser brutale Krieg ende, in dem die attackierte Ukraine noch immer zu wenig und zu zögerlich unterstützt werde – Tatsache ist, dass Moskau imperiale Machtambitionen nicht aufgeben wird. Also müsse der Westen auf Abschreckung setzen und alle Beziehungen auf ein Mindestmaß reduzieren. Willkommen im Kalten Krieg der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Deutschen, nun um den Osten erweitert, müssen wieder ein gesamtstaatliches Konzept zur Verteidigung entwickeln und aufrüsten, was das Zeug hält.
Es gibt Schwachpunkte im Buch: Frieden als Ernstfall – so hieß die Losung selbst zu schlimmsten Zeiten des letzten Kalten Krieges – kommt bei Masala im Sinne vernunftbegabter Realpolitik über Trennendes hinweg nicht vor. Auch nicht in den etwas knapp gehaltenen Visionen, über die noch immer »weit verbreitete strategische Naivität gegenüber China«. Und: Der Autor kann sich – wie allzu viele westliche Analytiker – kaum in die Position der anderen Seite hineindenken. Umso klarer allerdings ist Masalas Absage an ein Europa als drittem Pol der Weltpolitik, neben den USA und China. Das würde eine globale militärische Machtentfaltung Europas voraussetzen. Ein Wolkenkuckucksheim: »Dorthin führt, realistisch betrachtet, in absehbarer Zeit kein Weg.«
Unterm Strich ist »Bedingt abwehrbereit« ein schnell lesbarer Band, der zur Debatte anregt und Albträume verstärkt.
Carlo Masala: Bedingt abwehrbereit – Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende. Ein Gespräch mit Sebastian Ullrich und Matthias Hansl. C.H. Beck, 207 S., geb., 18 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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