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Schuldenbremse: Bändigung der Zukunft
Die Schuldenbremse soll Stabilität garantieren. Aber das geht nicht.
Ein Auto besteht aus einer Vielzahl von Komponenten: Karosserie, Fahrgestell, Motor, Innenaustattung und vieles mehr. Ob es seine Insassen zügig und unfallfrei voranbringt, hängt nicht nur vom Auto selbst ab, sondern auch vom Fahrer, vom Wetter und von den Millionen an möglichen Situationen, die sich im Straßenverkehr ergeben können. Niemand käme daher auf die Idee, die Sicherheit der Passagiere sei gewährleistet, wenn nur die Bremse geschickt konstruiert ist.
Im Fall von Staatsfinanzen scheint dies anders zu sein. Die grundgesetzliche Schuldenregel, die »Schuldenbremse«, gilt vielen als Garant solider Finanzpolitik. Die Bremse schützt, so heißt es, vor der Ausgabenfreude von Politikern, die »dazu neigen, in Schulden zu flüchten, um Steuern zu senken oder soziale Wohltaten zu verteilen, weil das selbstredend populär ist«, so erklärte es dieser Tage Ex-Finanzminister Peer Streinbrück (SPD).
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Ihren Kritiker*innen hingegen gilt die Schuldenregel als Zukunftsbremse, und zwar kurzfristig wie langfristig. Die nähere Zukunft verdüstere sie, weil die Wirtschaftsleistung derzeit ohnehin schrumpfe: »Sowohl ein Sparkurs als auch Steuererhöhungen könnten insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftsdynamik die Konjunktur kräftig abwürgen«, mahnte dieser Tage die Deutsche Bank in Anbetracht möglicher Haushaltskürzungen für 2024.
Auf lange Sicht wiederum könnte die Schuldenbremse notwendige Staatsausgaben verhindern, zum Beispiel in den Klimaschutz, in die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland und in seine Widerstandsfähigkeit angesichts wachsender geopolitischer Spannungen. »Wenn sich die Schuldenbremse als Investitions- und als Innovationsbremse herausstellt, dann müssen wir diese Regelung kippen«, sagte dieser Tage SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken.
In der Folge entwickelt sich derzeit ein Konsens, dass die Schuldenbremse zwar beibehalten, aber reformiert werden soll. Das prinzipielle Ziel einer Reform: Die Schuldenbremse soll ausreichend Verschuldungsspielraum bieten, aber nicht zu viel. Sie soll die Aufnahme sinnvoller Kredite erlauben und überflüssige Kredite verhindern. Kurz: Sie soll sicherstellen, dass die Regierung nur gute Schulden aufnimmt und keine schlechten. Einigkeit besteht dabei darin, dass Schulden für »konsumtive Ausgaben« schlechte Schulden sind, »es darf Kredite ausschließlich für Investitionen geben«, so der Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU)
Was aber sind Investitionen? Vom Konsum unterscheiden sie sich durch ihren Zweck. Kauft man sich ein Auto, um damit herumzufahren, handelt es sich um Konsum: das Auto wird »verbraucht« und das Geld für den Kauf ist dahin. Kauft man sich dagegen ein Auto, um es als Taxi zu verwenden, wird das Auto zwar auch verbraucht, gleichzeitig generiert es aber Einnahmen. Und zwar Einnahmen, die höher sein müssen als der Kaufpreis, sonst macht der Kauf keinen Sinn.
Eine Investition ist also eine Ausgabe, die zu höheren Einnahmen führt. Setzt man die Geldausgabe zu den Geldeinnahmen ins Verhältnis, ergibt sich die Rendite – und sie rechtfertigt die Aufnahme von Schulden. »Sehr wohl sind Kredite dann sinnvoll, wenn man später daraus eine Rendite erwarten kann«, so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.
Für Staatsschulden bedeutet das: Sie sind sinnvoll, wenn sie zu vermehrtem Wirtschaftswachstum führen. Zwar wird häufig argumentiert, der Ertrag einer Investition müsse nicht in Geld bestehen – so sei zum Beispiel der Bau von Schulen eine Investition in die Bildung unsere Kinder und der Bau eines Windrades eine Investition in den Klimaschutz. Doch lassen sich aus gebildeten Kindern und intakter Umwelt keine Schulden bedienen. Eine Investition im engeren Sinne wäre der Schulbau erst, wenn die gebildeten Kinder zu klügeren Erwachsenen würden und ihre Klugheit zu steigender Produktivität des Standortes führte. Entsprechend stellten Ausgaben für den Klimaschutz erst eine Investition dar, wenn der reduzierte CO2-Ausstoß Kosten spart oder neue Einnahmen generiert. Kinder und Umwelt müssen sich als Wachstumsressourcen erweisen, damit aus Geldausgaben wirkliche Investitionen werden, die die Schuldenaufnahme rechtfertigen würden.
Zukunftsinvestition oder Fehlinvestition
Das Problem bei Investitionen ist allerdings: Ihr Erfolg erweist sich erst im Nachhinein. Wenn der Staat sich Geld leiht und ausgibt mit dem Ziel, die Standortbedingungen zu verbessern, ist unsicher, ob und wie stark dies das Wachstum antreibt. Investitionen sind immer ein Vorgriff auf künftige Entwicklungen, weswegen »Zukunftsinvestitionen« weiße Schimmel sind. Investitionen beruhen auf Erwartungen und sind somit eine Form der Spekulation und bergen die Gefahr der »Fehlinvestition«.
Wenn Deutschland eine Ladeinfrastruktur bereitstellt, das Geschäft mit Elektroautos aber chinesische Hersteller machen; wenn mit Milliarden Chip- und Batteriefabriken unterstützt werden, die aber der asiatischen Konkurrenz nicht gewachsen sind; wenn vor allem US-Konzerne wie Alphabet, Meta und Microsoft von den hiesigen Digitalisierungsprogrammen profitieren und wenn sich aus der Förderung einer Wasserstoffwirtschaft kein rentables Geschäftsmodell entwickelt, dann bleiben nur Schulden zurück. Auf diese Möglichkeit weisen FDP-Politiker*innen hin mit der Begründung, der Staat könne nicht wissen, welche Technologien sich am Markt durchsetzen.
Die FDP favorisiert daher private Investitionen, da sie Unternehmer für klüger hält als Politiker. Das Problem ist allerdings, dass in der aktuellen Phase der globalen industriellen Revolution die Risiken für Privatinvestoren viel zu groß sind. Angesichts unsicherer Renditeaussichten scheuen sie vor Investitionen zurück. Die Politik hat daher in allen großen Industriestaaten die Aufgabe übernommen, den industriellen Umbau voranzutreiben, dem Privatsektor Risiken abzunehmen und die Märkte zu schaffen, in denen die Konzerne dann florieren sollen. »Industriepolitik soll dafür sorgen, dass im – und manchmal auch gegen den – Wettbewerb bestimmte Geschäftsmodelle rentabel werden oder bleiben, Industrien sich transformieren und Märkte überhaupt entstehen«, erklärt Henning Vöpel, Direktor des Wirtschaftsinstituts HWWI.
Regierungen müssen also in Vorleistung gehen. Und genau hier stört die Schuldenbremse. Mit ihr »haben wir uns freiwillig die Hände auf den Rücken gefesselt und ziehen in einen Boxkampf«, sagte kürzlich Wirtschaftsminister Robert Habeck und forderte die Reform, die die Schuldenbremse »zukunftsfest« machen soll. Diese Reform müsste also die Schuldenregel so modifizieren, dass sie den Staat dazu zwingt, Kredite nur noch für Projekte aufzunehmen, die das Wirtschaftswachstum stärken. Das gleicht dem Versuch, den Erfolg der Staatsausgaben im Grundgesetz zu verankern – ähnlich einem Konzern, der sich seine Profitabilität in die Satzung schreibt.
Auch wenn die geltende Schuldenbremse verbesserbar ist, so kann doch keine Regel der Welt die Solidität der Finanzpolitik garantieren. Denn Sparsamkeit kann in die Krise führen, ebenso wie Verschuldung, auch wenn sie für Investitionen verwendet wird. Der Erfolg kreditfinanzierter Investitionen ist stets unsicher. Verstärkt wird diese Unsicherheit inzwischen dadurch, dass die staatlichen Ausgaben die »Zukunftsmärkte« ja erst schaffen, auf denen sie sich dann rentieren sollen. Dieses kreditfinanzierte Schaffen von Märkten verfolgen die großen Wirtschaftsmächte zudem gegeneinander. Und das in Zeiten, in denen wachsende »geopolitische Spannungen« den Weltmarkt in eine Art permanenten Kriegszustand versetzen, inklusive Sanktionen, Zöllen und Embargos. Die Investitionsrendite ist damit grundsätzlich gefährdet – und genau deswegen müssen sie sein. Denn wer nicht investiert, hat schon verloren.
Die Rede von der »Zeitenwende« zeigt, dass die Ausnahme zunehmend zur Regel wird. Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch nach Stabilität und Sicherheit nachvollziehbar. »Solidität muss die Basis der Politik in Deutschland und Europa bleiben«, forderte Markus Söder (CSU). Doch eine Schuldenbremse kann diesen Wunsch nicht erfüllen. Was sie allerdings bietet, ist die Möglichkeit, Kürzungen beispielsweise im Sozialen mit dem Verweis auf die Gesetzeslage zu legitimieren und damit Kritik im Keim zu ersticken. Denn Schulden sind nicht zur Linderung der Armut da, sondern zur Vermehrung des Reichtums. »Es ist gut«, so das arbeitgebernahe Institut IW, »dass der Finanzminister weiteren sozialpolitischen Begehrlichkeiten einen Riegel vorschiebt. Weitere konsumtive Ausgaben schaffen keinen produktiven Mehrwert.«
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