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  • Berliner Kupferstichkabinett

Ausstellung »Entartete Kunst«: Rembrandt im Ghetto

Ein umfangreicher Katalog dokumentiert die Säuberungen im Berliner Kupferstichkabinett 1937

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 27. Februar 1938 eröffnete die Ausstellung ›Entartete Kunst‹ im Haus der Kunst am Königsplatz in Berlin. Diese Wanderausstellung startete am 19. Juli 1937 in München und zeigte etwa 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen.
Am 27. Februar 1938 eröffnete die Ausstellung ›Entartete Kunst‹ im Haus der Kunst am Königsplatz in Berlin. Diese Wanderausstellung startete am 19. Juli 1937 in München und zeigte etwa 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen.

Museen vermitteln die Doktrin des Staates, der die Museen bezahlt oder duldet. Doch darüber, wie diese Doktrin auszulegen ist, herrscht bei den Erfüllungsgehilfen oft Uneinigkeit. Ein besonders possierliches Beispiel liefert Anita Beloubek-Hammer in ihrem üppigen Katalog zu den Säuberungen im Berliner Kupferstichkabinett 1937.

Einer der schärfsten Säuberer war Klaus Graf von Baudissin, einst Anhänger der modernen Kunst, der 1933 schlagartig seine Meinung änderte und diese Kunst dann mit Inbrunst bis in ihre »Schlupfwinkel« verfolgte, nach dem Krieg aber darüber jammerte, er sei nun »amtsenthoben und verfemt« (seine Pension wurde ihm gleichwohl ausbezahlt). Der Fall zeigt ein weiteres Mal, dass es sich bei den Nazis oft genug nicht um »Gesinnungstäter« handelte, sondern schlicht um Opportunisten.

Nachdem der Graf mit seiner Kommission die Nationalgalerie und das Kupferstichkabinett heimgesucht und Hunderte Werke als »entartet« beschlagnahmt hatte, berief er im Pergamonmuseum eine Tagung der Museumsdirektoren ein. Dort erklärte einer seiner Untergebenen, Walter Hansen, man verfahre noch immer zu lasch. Denn war nicht auch Vincent van Gogh entartet? Und Matthias Grünewald? An dieser Stelle müssen die versammelten Direktoren, allesamt staatstreu, zusammengezuckt sein. Dann holte Hansen zu seinem schwersten Schlag aus: »Ebenso lehnen wir Rembrandt in seiner Ghettokunst ab.«

Da sprangen gleich sieben Museumsdirektoren auf und verließen unter Protest den Saal. Als Graf Baudissin von diesem Ungehorsam erfuhr, rief er, diese Direktoren sollten allesamt »in ein Flugzeug verladen und nach Madrid zu den Bolschewiken geschickt« werden. Es folgten Haussuchungen der Gestapo bei den Protestierern, unter anderem beim Direktor des Kupferstichkabinetts, Friedrich Winkler, der in einem Brief an die Reichskanzlei beteuerte, ohne in der Partei zu sein, habe er doch der nationalsozialistischen Sache stets treu gedient und sich vor allem der »Zersetzungsversuche« der Juden erwehrt. Nach dem Krieg blieb Winkler im Amt und erhielt 1953 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.

Ein Lieblingsopfer Winklers war sein Kustos für Zeitgenössisches, Willy Kurth, der nach dem Krieg Karriere in der DDR machte. Winkler schwärzte Kurth an, wo es nur ging, sogar bei dem ihm selbst verhassten Grafen. Tatsächlich wurde Kurth 1934 aller Entscheidungsbefugnisse enthoben, doch im geschickten Zusammenspiel mit Direktor Eberhard Hanfstaengl von der Nationalgalerie gelang es ihm noch bis 1937, Werke der »Brücke« anzuschaffen. Er brachte es fertig, Hermann Göring abzuweisen, der von ihm 1934 saftige Kunst – »Nackte Weiber!« – für seinen Sitz in »Carinhall« haben wollte. Winkler zog sich aus der Affäre, indem er dem späteren Reichsmarschall Originale von Cranach und Dürer leihweise überließ.

Kurth steht im Mittelpunkt von Beloubek-Hammers Buch, weil er 1937 in einer »Heldentat« Hunderte Blätter moderner Kunst vor dem Zugriff der Baudissin-Kommission rettete. Das gelang unter anderem, weil die Kommission zwar 600 Blätter und Mappen zur Beschlagnahme ausgewählt, sich aber nicht notiert hatte, um welche es sich im Einzelnen handelte. So konnte Kurth vor der Ablieferung die ausgewählten Stücke gegen Doubletten und Zweitrangiges eintauschen. Die Nachlässigkeit der Kommission lässt sich wohl damit erklären, dass schon 1937 Grafik weitaus weniger wert war als Ölschinken. Und die Nazis wollten das Erbeutete ja »verwerten«. Einer ihrer Verwerter war der Kunsthändler Ferdinand Möller. Die nach ihm benannte Stiftung hat nun Beloubek-Hammers reich dokumentierten Katalog finanziert. Obwohl seine häufigen Wiederholungen enervieren, hilft er dabei, die Geschichte der Aktion »Entartete Kunst« besser zu verstehen.

Anita Beloubek-Hammer: Die Aktion »Entartete Kunst« 1937 im Berliner Kupferstichkabinett. Kustos Willy Kurth rettet Meisterblätter der Moderne. Biographie und Dokumentation. Lukas-Verlag, 409 S., geb., 40 €.

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