Berliner Haushalt: Sparen, bis es quietscht – zweite Auflage

Berliner Linksfraktion warnt vor massiven Kürzungen und einer neuen Privatisierungswelle

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass die Koalitionspartner CDU und SPD stolz verkünden, sie hätten sich ohne Streit auf den Berliner Doppelhaushalt 2024/2025 verständigt, hält Anne Helm für bezeichnend. Denn es hätte gestritten und entschieden werden müssen, sagt die Vorsitzende der oppositionellen Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am Dienstag. Während CDU und SPD Harmonie vorspielten, streite die ganze Stadt über diesen Haushalt.

Zu entscheiden wäre gewesen, wo bei den Ausgaben politisch die Prioritäten gesetzt werden oder wie das Land zu mehr Einnahmen komme. Stattdessen gebe es mit den sogenannten pauschalen Minderausgaben ungedeckte Schecks. Bei einem Etat von 80 Milliarden Euro für die kommenden beiden Jahre ist bei vier Milliarden Euro nur klar, dass sie eingespart werden müssen. Aber wo, das bleibt den einzelnen Senatsverwaltungen überlassen.

»Die werden ein Schwarze-Peter-Spiel machen«, erwartet der Abgeordnete Steffen Zillich (Linke). Denn wenn CDU und SPD jetzt keine Übereinstimmung erzielten, so schöben sie sich demnächst gegenseitig die Schuld zu, wer für welche Kürzungen verantwortlich sei. »Genau das ist, was gerade passiert«, schätzt Zillich. Bei den pauschalen Minderausgaben werde die Verantwortung den einzelnen Senatsverwaltungen zugeschoben. Bei den Verpflichtungserklärungen für künftige Ausgaben sei es dann wiederum so, dass diese extra nur einfach gesperrt seien und bloß nicht einer qualifizierten Sperrung unterlägen. Denn einfache Sperren aufzuheben, obliege dem Ressort von Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Die qualifizierte Entsperrung müsste durch den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erfolgen. Da müsste sich die SPD dann bekennen. Es bleibe nicht an Evers hängen.

»Dem Doppelhaushalt der schwarz-roten Koalition fehlt der Gestaltungswille«, urteilt Linksfraktionschefin Helm. »CDU und SPD steuern das Land Berlin sehenden Auges in eine Finanzierungskrise, die zerstörerische Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur haben wird und den Umbau Berlins zu einer klimaresilienten Stadt ausbremst.« Doppelte Unsicherheit werde heraufbeschworen. Kurzfristig, weil nicht klar sei, welche Leistungen und Zuwendungen den pauschalen Minderausgaben zum Opfer fallen werden. Langfristig, weil keinerlei Idee entwickelt werde, wie nach dem Aufbrauchen der Rücklagen die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben geschlossen werden solle. Jeweils 2,3 Milliarden Euro sollen nach dem Willen der Koalition 2024 und 2025 aus den Reserven genommen werden.

Was soll danach werden? Nach Einschätzung von Zillich drohen massive Kürzungen oder die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Berlin hat das bereits einmal erlebt – in den Zeiten einer rot-roten Koalition unter einem Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der von 2002 bis 2009 im Amt war. »Sparen, bis es quietscht«, das hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu Beginn dieser Periode angekündigt. Außerdem wurden landeseigene Wohnungen verkauft – ein sozialpolitischer Sündenfall, der aber dem damaligen Zeitgeist entsprach. Die Stadt Dresden hatte es vorgemacht.

Wer wirklich Sozialausgaben sparen wolle, der müsste jetzt investieren, mahnt Anne Helm. Der Wohnungsbau und die insgesamt überfällige Gebäudesanierung seien dafür gute Beispiele, findet der Abgeordnete Zillich. Ansonsten steigen die Mieten und die Energiekosten. Das wäre für viele Verbraucher nicht mehr zu bezahlen. Der Staat müsste ihnen dann unter die Arme greifen. Das wäre unter dem Strich teurer, als jetzt die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zum Wohnungsneubau anzuhalten. Sie könnten das ja durch Kredite finanzieren. »Die Privaten werden sowieso nicht bauen – egal, wie viel Geld man ihnen hinterherwirft«, so Zillich. Derzeit verursacht die Wohnungsnot in der Hauptstadt schon hohe Kosten für den Staat. Denn Geflüchtete müssen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden und Obdachlose in Notübernachtungen. »Die sind schlecht und teuer«, weiß Zillich.

Der Doppelhaushalt geht in seinem Grundgerüst noch auf den alten Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) zurück. Dieser hatte seinen Posten nach der Wiederholungswahl im Februar 2023 verloren – der Wahl, die den CDU-Landesvorsitzenden Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister machte und Stefan Evers, der bis dato Wegners Generalsekretär gewesen war, zum Finanzsenator.

»Die Aufgabe ist tatsächlich schwer. Das will ich jetzt mal nicht wegreden«, räumt Zillich mit Blick auf die Haushaltslage ein. Die alte rot-grün-rote Koalition hatte das Problem ihm zufolge erkannt und wollte dem mit der Senkung der Ausgaben begegnen. Darüber sei die Inflation hinweggegangen. Hätte Rot-Grün-Rot nach der Wiederholungswahl weiterregiert, was rechnerisch immer noch möglich gewesen wäre, so hätten sich die Koalitionspartner eine neue Lösungsmöglichkeit überlegen müssen, erklärt Zillich.

Nun hat sich die Linksfraktion allein eine Menge Alternativen zum Etatentwurf der Koalition einfallen lassen. Zum Beispiel sollte die Grunderwerbssteuer auf das Brandenburger Niveau angehoben werden, was jährlich 40 Millionen Euro zusätzlich in die Kassen spülen würde, informiert Zillich am Dienstag. Auch die Zweitwohnungssteuer sollte erhöht werden und generell sollten Steuern konsequenter eingetrieben werden. Die Steuer für Übernachtungen in Berliner Hotels müssten künftig nicht nur Touristen, sondern auch Geschäftsreisende bezahlen. Alles in allem verspricht sich die Linksfraktion davon 115,6 Millionen Euro zusätzlich im nächsten Jahr und 120,3 Millionen Euro im übernächsten Jahr. 50 Millionen Euro könnten bei Sicherheit und Computertechnik gespart werden, wenn man unter anderem weniger Taser und Bodycams für die Polizisten anschaffen würde. Die in der Coronakrise aufgenommenen Kredite könnten erst später getilgt werden, was pro Jahr 270 Millionen Euro freimachen würde.

Verwenden will die Linksfraktion solche Mittel in den kommenden beiden Jahren etwa für einen Ausbildungscampus auf dem Gelände der Wenckebach-Klinik (18 Millionen Euro) und für ein kommunales Wohnungsbauprogramm (zwei Milliarden Euro). Die Bezirke sollen 100 Millionen Euro mehr für Personal erhalten und es sollen 600 Millionen für die Wohlfahrt aufgespart werden. Der Doppelhaushalt muss noch vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Die Beratungen beginnen in weniger als zwei Wochen.

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