Verfallsdatum bleibt Richtwert

Die Pharmazeutin Ulrike Holzgrabe über die Haltbarkeit von Medikamenten

  • Interview: Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Bei dem gesuchten Medikament sollte das Verfallsdatum noch nicht abgelaufen sein.
Bei dem gesuchten Medikament sollte das Verfallsdatum noch nicht abgelaufen sein.

Bei abgelaufenen Arzneimitteln ist Vorsicht geboten: Sie können wirkungslos und gesundheitsschädlich sein. Derzeit plagen sich viele Menschen mit einer Erkältung. Darf man einen angebrochenen Hustensaft, den man im Arzneischränkchen entdeckt, noch verwenden?

Das muss man auf der Packung nachlesen. Alle Medikamente haben ein Verfallsdatum. Oft ist auch angegeben, wie lange man das Mittel noch verwenden darf, wenn man es geöffnet hat. In dem Moment, wo Sie eine Flasche mit einer Lösung aufgemacht haben, kann es zu vielen Abbaureaktionen kommen, weil Sauerstoff mit im Spiel ist. Aber auch die Lagerung spielt eine Rolle. Säften, die bereits geöffnet wurden, macht es schon etwas aus, wenn sie in einer feucht-warmen Umgebung aufbewahrt wurden. Gerade bei zuckrigen Lösungen besteht die Gefahr, dass sie dann stark mikrobiell besiedelt sind. Es kann aber auch sein, dass sich der Wirkstoff im Lauf der Zeit verabschiedet hat.

Trägt Zucker im Hustensaft nicht – wie bei Marmelade – zur Haltbarkeit bei?

Nein, im Gegenteil. Insbesondere Pilze können in zuckerhaltigen Lösungen gut gedeihen – wie auch bei Marmeladen, die geöffnet sind.

Interview
privat

Ulrike Holzgrabe (67) ist Seniorprofessorin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Uni Würzburg. Mit einem Kollegenteam analysierte sie in den vergangenen Jahren mehr als 50 Arzneimittel und Ampullen, die älter als 20 Jahre waren. Viele davon waren überraschend stabil. ast

Wie sieht es etwa mit Aspirin aus? Sind Tabletten haltbarer als flüssige Arzneimittel?

Nein, das kann man so nicht sagen. Generelle Aussagen sind sehr schwierig. Es kommt nämlich auch auf die Verpackung an. Aspirin-Tabletten, die nur in einem Röhrchen und nicht verblistert sind, hydrolisieren gerne – das heißt, sie reagieren mit Wasser. Sie stinken dann nach Essigsäure. Wenn man noch ein bisschen wartet, sieht man braune Flecken. Am Ende ist es nur noch eine einzige braune Masse.

Nehmen wir an, die Tabletten sind einzeln verpackt: Ist es dann vertretbar, auch noch ein abgelaufenes Medikament zu nehmen?

Sie können das natürlich einnehmen, handeln aber auf eigenes Risiko. Der Hersteller garantiert nicht für die Qualität seines Arzneimittels, wenn es bereits abgelaufen ist.

Wie wird das Verfallsdatum festgesetzt?

Im Rahmen der Zulassung wird auch die Stabilität eines Medikaments bestimmt. Entsprechende Studien werden parallel zu den klinischen Studien durchgeführt, die in der Regel um die fünf Jahre dauern. Wenn in diesem Zeitraum nichts passiert, hat man eine Haltbarkeitsfrist von fünf Jahren. Wenn ein Arzneimittel instabil ist, hat man kürzere Laufzeiten.

Können abgelaufene Arzneimittel bloß weniger wirksam sein, oder kann man sich damit wirklich schaden?

Normalerweise entstehen keine giftigen Abbauprodukte – auch wenn es da Ausnahmen gibt. Aber auch eine mangelnde Wirksamkeit kann zum Problem werden, gerade bei überlagerten Antibiotika. Werden die Erreger aufgrund der durch die Zersetzung verminderten Dosierung ungenügend bekämpft, können sich leicht Resistenzen bilden. Die Patienten werden also nicht nur nicht gesund, sondern haben zudem resistente Keime – dadurch kann die Behandlung noch viel schwieriger werden. Deshalb gilt insbesondere bei Antibiotika: Bitte niemals über das Verfallsdatum hinaus nehmen!

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Bei welchen Mitteln muss man sonst noch besonders aufpassen? Bei Augentropfen?

Ja, unbedingt. Wenn Sie Augentropfen aufgemacht und eine Weile nicht benutzt haben, sollten Sie sie auf jeden Fall wegwerfen. Die Besiedlung durch Pilze geht da besonders schnell und ist zudem besonders gefährlich.

Manchmal verderben Medikamente vor ihrem Verfallsdatum, etwa weil sie falsch gelagert wurden. Woran merkt man das?

Das merkt man meistens leider nicht. Wenn ein Schmerzmittel sozusagen verdorben ist, merken Sie das nur daran, dass die Schmerzen nicht verschwinden. Allenfalls kann man bei Flüssigkeiten sagen: Wenn sich in einer sonst klaren Lösung etwas abgesetzt hat, dann könnte es sein, dass der Wirkstoff ausgefallen ist. Dann sollte man es natürlich nicht nehmen – das würde sonst auf eine Unterdosierung hinauslaufen.

Wie sieht die optimale Lagerung aus? Viele Leute bewahren die Arzneimittel ja im Badezimmer-Schränkchen auf.

Da gehören Arzneimittel gar nicht hin, weil es dort normalerweise warm und feucht ist. Aus demselben Grund ist auch die Küche kein guter Ort zum Lagern. Besser ist das Schlafzimmer, das meist kühler ist und wo auch öfter gelüftet wird. Also sollte man die Medikamente möglichst kühl, dunkel und trocken lagern.

Wie streng muss man bei Verbandszeug sein? Darf man Mullbinden aus einem abgelaufenen Erste-Hilfe-Kasten noch verwenden?

Bei allem, was nicht steril sein muss, sehe ich kein Problem. Auch Atemschutzmasken, wie wir sie seit Corona kennen, haben ein Verfallsdatum – ich trage aber auch abgelaufene. (lacht) Aber auch das müssen Sie selbst verantworten. Wenn Sie allerdings sterile Wundauflagen brauchen, wäre ich ganz vorsichtig. Solche Produkte sind nur eine bestimmte Zeit lang garantiert steril.

Sie haben gemeinsam mit Kollegen festgestellt, dass einige Medikamente auch nach 20 Jahren noch haltbar sind. Was kann man daraus schließen?

Ja, wir haben dazu mehrere Studien durchgeführt. Unser Hintergedanke war: Wir schauen mal, wie stabil Arzneimittel sind. Zum Teil haben uns die Ergebnisse erstaunt. Viele Substanzen sind viel stabiler, als wir glauben. Wir wollen damit die Hersteller zu Langzeitstudien anregen, um die Haltbarkeit auch über die meist üblichen fünf Jahre hinaus zu garantieren. Nach der Zulassung könnte man Rückstellmuster bilden, die man jedes Jahr untersucht. Dann könnte man zum Beispiel sagen: Wir haben das zehn Jahre lang untersucht – es ist in Ordnung, es zersetzt sich nicht. Normalverbraucher können aus unseren Studien aber nichts ableiten. Für sie gilt: Im Zweifelsfall immer auf das Verfallsdatum achten!

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