Zeitreise in Pankow: Zehn Jahre Denkmalschutz im Thälmann-Park

Ein Park in Pankow feiert 2024 zehn Jahre Denkmalschutz und erzählt die Geschichte eines Jahrhunderts

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 10 Min.
Von Graffiti umgeben: Die 14 Meter hohe Ernst-Thälmann-Bronzebüste in Pankow
Von Graffiti umgeben: Die 14 Meter hohe Ernst-Thälmann-Bronzebüste in Pankow

Eine 14 Meter hohe Bronzebüste, ein Kopf mit geballter Faust hinter einer wehenden Fahne mit Hammer und Sichel. Am Denkmal Ernst Thälmanns im gleichnamigen Park entzünden sich regelmäßig Diskussionen um die Erinnerung an den Kommunisten und den Kommunismus. Nächstes Jahr jähren sich zehn Jahre Denkmalschutz für die Büste und damit für einen ganzen Park, der Geschichte schreibt. Seine (ehemaligen) Bewohner*innen erzählen Geschichten über einen Ort im Wandel der Zeit.

Wer derzeit zwischen Prenzlauer Allee, Greifswalder und Danziger Straße den Ernst-Thälmann-Park durchquert, findet noch ein wenig Grün unter schneebestäubten Bäumen. Manch einer schlittert hier – mal mit lachendem Auge, mal mit weinendem. Wer dieser Tage zwischen Sternenschau im Planetarium, Untertauchen im Schwimmbad und »Theater unterm Dach« den Osten des Prenzlauer Bergs durchqueren will, muss sich warm anziehen: Väterchen Frost ist da!

Architektonisch Bewanderte und viele Ostberliner*innen kennen diesen Park, der als letztes großes Bauprojekt der DDR in den 80er Jahren entstand. Es hieß: Plattenbauten statt Altbausanierung. Hier sollte fix bezahlbarer Wohnraum für knapp 4000 Arbeiter*innen entstehen. Zentralheizung statt Kohleofen. Schön sollte es sein, mit hohem Standard und grün wie in Marzahn. Nur eben nicht am Rande der Stadt, sondern mitten in ihrem Herzen – mit direkter Anbindung an die Stadtbahn, Natur, Sport und Kultur. Pünktlich zum Jubiläum »750 Jahre Berlin« und »100 Jahre Thälmann« wurde eröffnet. Die Infrastruktur des Parks hat die Wende größtenteils bis heute überlebt.

Wo sich jetzt Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, stank es bis in die 90er Jahre schlimm – wahlweise nach faulen Eiern oder abgestandenem Urin. Denn bis 1981 stand dort anstelle eines Park- und Wohngebiets das vierte Berliner Gaswerk. Genauer gesagt jenes, dass mit 108 Jahren Nutzungszeit das am längsten laufende der Stadt war. Mitten in der Stadt wurden Gas und Koks produziert, das hatte weder mit dem muckeligen Geruch der noch heute in dieser Gegend laufenden Kohleöfen zu tun, noch stimmte das die Anwohner*innen in Partylaune. Nebenprodukte wie Schwefel und Ammoniak sorgten stattdessen für ein stinkendes Jahrhundert. Die Belastung des Grundwassers durch das Gaswerk wird noch heute über diverse Anlagen im Park gereinigt.

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Viele kennen die Geschichte der Gasometer und vermutlich auch die Fotos aus der Zeit. »Denk mal« stand auf einem der Transparente im Protest gegen ihre Sprengung – das Wahrzeichen Ostberlins sollte erhalten bleiben. Auch Dirk erinnert sich an die Gasometer, die er vor und nach der Sprengung fotografierte. Der Künstler zog bereits vor Eröffnung des Parks in eines der fertiggestellten Wohnhäuser. Für ihn war es ein Ort, der »ideologisch belastet« war – »wegen des Thälmann-Denkmals, wegen der Zerstörung der Gasometer und wegen der vermuteten Kontaminierung der Böden durch das Gaswerk«, erzählt er »nd«. Noch vor der Wende zog Dirk wieder aus und nutzt heute wie damals gern das vielseitige Kulturangebot im Park. Das Gebäude des »Theaters unterm Dach« ist übrigens ein Überbleibsel der Gaswerksverwaltung.

Nur wenige Meter vom Kulturareal Ernst Thälmann entfernt wohnt ein weiterer Kulturschaffender. »Was viele nicht wissen: Ostberlin und der P-Berg hatten in den 80ern eine sehr lebendige Jazzszene«, erzählt Frank »nd«. Seit vier Jahren wohnt der Rentner in einem der freistehenden Hochhäuser mitten im Park und ist nicht nur aufgrund seiner schmalen Rente, sondern auch wegen seiner Gehbeeinträchtigung an die vergleichsweise erschwingliche Miete im Gewobag-Gebäude mit Fahrstuhl angewiesen.

Pünktlich zur Fertigstellung des Parks kam Frank ins Gefängnis – wegen »Behinderung des Ausreiseverfahrens«. In seiner Wohnung hängen Fotos von ihm aus musizierenden Zeiten. »Ich war ein Hippie«, lacht er. »Und damals habe ich auch fürs ›Neue Deutschland‹ gearbeitet – als Rolleur in der Druckerei.« Den Einzug in die »Edelplatten«, wie sie im Volksmund genannt wurden, hat Frank durch seine Haft verpasst. Am allerliebsten erinnert er sich an die frühen 90er in der Ecke, als »Punks die Keller der Dimitroffstraße zu Kneipen gemacht haben«. Die Dimitroffstraße ist heutzutage nach Danzig benannt und vielleicht ist aus dem ein oder anderen Punk ein Eigentümer geworden.

Frank wohnt trotzdem »halbwegs gern« im Park, beschwert sich als Rollstuhlfahrer jedoch über den häufig kaputten Fahrstuhl und die dünnen Wände. Eilig hatte man es hier, als das Wohnungsbaukombinat unter der Federführung von Helmut Stingl auf dem Boden eines ehemaligen Gaswerks Wohnraum schuf, der schnell viele unterbringen sollte. »Es heißt oft, hier hätten nur Privilegierte gewohnt, aber das stimmt nicht. Es war eine tolle Mischung, Künstler*innen waren dabei. Hier wurde Zusammenleben auf Augenhöhe in den letzten Atemzügen der DDR schon gut erprobt«, erzählt Markus Seng, der Teil der ansässigen Mieterinitiative ist.

Denn während sich der eine über die Sprengung des Gaswerks ärgert, der andere den P-Berger Punks hinterhertrauert, ist Wohnraum in Ostberlin längst zur Ware geworden. Im Falle des Ernst-Thälmann-Parks spielt hierbei der Name Christian Gérôme eine Rolle – aber auch der Bezirk. Der Investor Gérôme erwarb 2011 eine knapp 30 000 Quadratmeter große brachliegende Fläche des 25-Hektar-Areals. An den Bahngleisen will er Luxuswohnungen bauen. Der Bezirk wollte eine Schule hinsetzen und verhängte 2020 eine Veränderungssperre für das Grundstück. CDU, FDP, AfD und Grüne stimmten vergangenes Jahr gegen eine Verlängerung dieser Sperrfrist. Baurecht hat der Investor trotzdem noch nicht bekommen.

Die Mieterinitiative Ernst-Thälmann-Park hat sich 2012 nach dem Verkauf des Bahnhofgeländes gegründet und besteht immer noch. Monatlich trifft sich ein bunter Kreis von 20 Mieter*innen. »Wichtig ist für uns die Selbstaneignung. Wir gehen aus der eigenen Wohnung heraus, interessieren uns für die Gesellschaft und gestalten sie mit«, erzählt Seng »nd«. Er wohnt seit 2010 in einem Gewobag-Gebäude und kommt ursprünglich aus dem Schwarzwald. Vor dem Einzug hatte er »Vorurteile gegenüber dem Wohnen in der Platte«. Jetzt ist der Thälmann-Park seine »Insel«. Wenn er vor die Haustür tritt, trifft er ständig Leute, die er kennt. »Zwei Pandemiejahre haben wir uns fast täglich am Rondell im Park getroffen und gegenseitig Mut zugesprochen. Darüber hat ein Nachbar sogar ein Lied geschrieben«, erzählt Seng, in dessen Wohnung auch der erste Druck des bekannten »Recht auf Stadt«-Wimmelbilds von Markus Wende hängt.

Für die Mieterinitiative sei der Park ein Symbol, eine »historische Chance für alle Bürger des P-Bergs, dem Bauwahnsinn etwas entgegenzusetzen«, sagt Seng. Er sieht in dem DDR-Erbe einen »Rückzugsort ohne Zäune« – im Gegensatz zu den ihm bekannten »gated communities aus dem Westen, wo schon vor der Wende das Eigentum herrschte«.

Die vielleicht einzig beliebten Eigentümer im Thälmann-Park sind ein paar Schildkröten und ein Reiher, die es sich im Amphibienschutzgebiet des Parks gemütlich gemacht haben. Liebevoll hat die Einwohnerinitiative eine Insel mit Unterschlupf auf dem Teich errichtet und pflegt noch heute diesen malerischen Ort.

»Wir sagen immer: ›Der Park ist unser Garten‹«, erzählt die Ostberlinerin Uta, die mit ihren drei Kindern in einem der neueren Gebäude der landeseigenen Zentrum eG wohnt. Derzeitiger Mietpreis: acht Euro warm auf den Quadratmeter – weit unter dem örtlichen Mietspiegel. Aber es ist nicht nur die bezahlbare Miete, die Uta im Thälmann-Park hält. »Wir stehen in gutem Austausch mit unseren Nachbarn. Man kann sich aufeinander verlassen – ganz ohne Zwang«, sagt die Mieterin »nd«. Auch sie berichtet wie Seng von denselben anfänglichen Vorurteilen gegenüber dem Wohnen in der Platte, die sie hegte, obwohl sie im Osten aufgewachsen war. Knapp zwölf Jahre wohnt Uta nun hier und nutzt mit ihren Kindern die Infrastruktur aus Sport und Kultur. Demnächst stehen im Gemeinschaftsraum des Hauses zwei Weihnachtsfeiern an. »Eine für die Kinder und eine für die Senioren«, schmunzelt Uta.

Soziales wurde mitgedacht in einer Architektur, die Wohnraum schaffen sollte für Verschiedenste. Wohnungsnot sollte es laut dem Stadtplaner Stingl im Sozialismus nicht geben. 40 Jahre später füllt sich der S-Bahnbogen an der Greifswalder Straße täglich mit Schlafbedürftigen. Auch unter dem historischen Torbogen des Kulturareals leben Menschen in der Eiseskälte. Seit einigen Wochen sind es zwei Rumän*innen. Sie sagen, sie seien lieber hier, denn »zu viel Alkohol« und »zu viele Menschen« gebe es in den sich füllenden Obdachlosenunterkünften der Stadt. Hier fänden sie mehr Ruhe. Wohnung finden sie nicht.

Wer bekommt was? Die Geschichte des Ernst-Thälmann-Parks ist auch eine von Verteilungskämpfen. Gern werden die 90er Jahre in Berlin erzählt als eine Geschichte des »Freiraums«. Aber die Wende und der Ausverkauf der Stadt lassen sich nicht erzählen ohne eine Geschichte rechter Gewalt und die Frage: Wer nimmt sich den Raum?

An einer Ecke des Thälmann-Parks steht eine abgebrannte Rockerkneipe. Im rechtsoffenen »Blackland« brannte es erst 2021, aber die Überbleibsel des Gebäudes wirken wie aus der Zeit gefallen. Eine Art Mahnmal aus Zeiten, in denen der Thälmann-Park Raum für Rechte war. Bernt Roder leitet seit 1992 das Museum Prenzlauer Berg, dessen Verwaltung in den 90ern noch im Park saß. »Während meiner Arbeitszeit flog einmal in den Abendstunden ein Pflasterstein durchs Fenster des Gebäudes« erzählt er »nd« und zeigt Fotos vom 1. Mai 1992, an dem die Thälmann-Statue Treffpunkt für 100 Faschist*innen der Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei war. Warum sie sich am Kommunistendenkmal trafen und wer den Pflasterstein warf, kann Roder nicht sicher sagen.

Sicher ist, dass das Gebiet Prenzlauer Berg Ost bis in die Nullerjahre ein »Treffpunkt von Nazi-Skin-Cliquen« und dem »rechten Fanspektrum des BFC Dynamo« war, erklärt die Gruppe North East Antifascist (NEA) »nd«. Erst kürzlich informierte sie gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in einer Veranstaltung über alte und neue Rechte in der Gegend. Im Gegensatz zur grünen Wähler*innenschaft im Bezirk Pankow ist Prenzlauer Berg Ost für höhere AfD-Ergebnisse bekannt.

Es sind zum Glück keine Baseballschlägerjahre, die der Ernst-Thälmann-Park derzeit erfährt. Stattdessen sind es andere Rechte, die sich Raum nehmen. Es sind solche wie die Täter*innen, die die Schülerin Dilan S. im vergangenen Jahr am S-Bahnhof Greifswalder Straße rassistisch beleidigten und schlugen. Anders als jene aus den zwei Jahrzehnten nach der Wende sind es gesellschaftlich verankerte Rechte, die in direkter Nachbarschaft zum Thälmann-Park Lokale wie die »Bierquelle« oder die »Arya Lounge« betreiben. Letztere hat nach Angaben der NEA jüngst ihre Betreiberin gewechselt. Ihre Klientel wird wohl nicht so einfach verschwunden sein.

Der Ernst-Thälmann-Park hat eine umkämpfte Geschichte. »Deutsche wacht auf«, »Held« und »fuck your hetero gaze« (»Fick deinen Heteroblickwinkel«) – so vieles stand seit 1989 auf der Statue des ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, der 1944 im KZ Buchenwald ermordet worden war. Ganze Instagram-Kanäle sind gefüllt mit Graffiti auf der Thälmann-Statue im Wandel der Zeit. Nach der Einweihung der Gedenktafel vor zwei Wochen zur »historisch-kritischen« Einordnung, die dem Kommunisten eine Verantwortung für den Aufstieg des Hitlerfaschismus unterstellt, wurde diese bereits mehrfach verändert. Museumsleiter Roder nennt ihn auch einen »produktiven Zankapfel«. Wer mehr verstehen will, muss sich einlesen in die Sozialfaschismusthese. Für Markus Seng von der Mieterinitiative Ernst-Thälmann-Park ist das Wichtigste: »Er war ein Gefangener Hitlers, er wurde von den Nazis ermordert, er ist ein Opfer. Das Denkmal muss bleiben.«

Der Rapper Zartmann nutzt das Denkmal als Bühne für sein Video zum Song »2 Blocks«. »Einer braucht Schutz vor dem Wind, der andere braucht ein zweites Loft«, rappt er. »Einer braucht mehr Likes, der nächste einen Job«, ruft er vom Balkon aus der Thälmann-Platte. Es ist ein ungewöhnlicher Wohnort im Prenzlauer Berg, wo die Gentrifizierung größtenteils abgeschlossen scheint. Ein seltener Park im zugebauten Zentrum Berlins. Beim Kampf um die Erinnerung sollte das Leben desjenigen nicht vergessen werden, für den die Statue dort steht. Für wen der Ort ein wichtiger Lebensraum ist und welche Bedeutung er für seine Bewohner*innen hat. Auch sollte bei den derzeitigen Erinnerungskämpfen um Ernst Thälmann nicht vergessen werden, wer der eigentliche Feind ist. Denn der Schoß ist noch fruchtbar, aus dem das kroch – auch das zeigt die Geschichte von einem Park in Prenzlauer Berg.

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