»Kuba kann es nicht allein schaffen«

Steffen Niese über Cuba Sí und Solidaritätsarbeit unter heutigen Bedingungen

  • Interview: Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 6 Min.
Steffen Niese, Politkwissenschaftler und hauptamtlicher Mitarbeiter bei Cuba.
Steffen Niese, Politkwissenschaftler und hauptamtlicher Mitarbeiter bei Cuba.

Wie ist Ihre Verbindung zu Kuba entstanden?

Nicht der erste Berührungspunkt, aber maßgeblich für eine nähere Beschäftigung mit Kuba war mein Studium der Politikwissenschaften in Marburg. Anfang der 2000er Jahre hatte ich die Möglichkeit, ein Seminar mit dem Schwerpunkt Menschenrechte in Kuba zu besuchen. Dieser wissenschaftliche Einstieg in die Thematik hat mich neugierig auf das Land gemacht. Dann war klar, dass ich auch die kubanische Realität, soweit es denn möglich ist, kennenlernen wollte. In dem Kontext hat sich der Kontakt zu Cuba Sí in Berlin ergeben. Und es gab tatsächlich sehr schnell die Möglichkeit – im Jahr 2006 – eine Delegationsreise zum Thema Nachhaltigkeit nach Kuba zu begleiten. Das war der Einstieg in die kontinuierliche Arbeit mit Kuba.

Apropos kontinuierliche Arbeit mit Kuba: Welche konkreten Projekte hat Cuba Sí im Moment auf der Insel?

Cuba Sí ist traditionell dem Thema Landwirtschaft verpflichtet. Das hängt mit der Entstehung von Cuba Sí zusammen, in gewisser Weise als Fortführung der Unterstützung aus DDR-Zeiten im Bereich Milchwirtschaft. Gegenwärtig haben wir Projekte in vier Regionen der Insel, davon zwei Schwerpunktprojekte in Guantanamo (Kleintierzucht, Obst- und Gemüseanbau, Kaffeeproduktion) und Mayabeque (Fleischproduktion, Rinderzucht, Milchproduktion), die vollfinanziert werden. Darüber hinaus haben wir noch eine Restfinanzierung und eine Betreuung von ehemaligen Hauptschwerpunkten in Sancti Spiritus und Pinar del Rio. In allen Projekten ist es uns wichtig, nicht nur unmittelbar die Produktion mit landwirtschaftlichem Gerät und Ausstattung zu unterstützen, sondern auch die soziale Infrastruktur wie Schulen, Weiterbildungszentren, Kantinen usw. in den Projekten und den jeweiligen Betrieben.

Interview

Steffen Niese ist Cuba Sí, einer Arbeits­gemein­schaft in der Partei Die Linke, seit 2006 verbunden. Der Politikwissenschaftler war viele Jahre für Bundestagsabgeordnete der Linkspartei in den Bereichen Außen­politik und Gesundheit tätig, bevor er 2021 haupt­amtlicher Mitarbeiter von Cuba Sí wurde.

Cuba Sí schickt auch Arbeitsbrigaden nach Kuba. Wie läuft so ein Einsatz ab?

Im Normalfall schicken wir jedes Jahr tatsächlich vier Brigaden nach Kuba, in jedes unserer genannten Projekte. Das sind Brigaden, die auf zehn, elf Personen begrenzt sind, aufgrund der Kapazitäten vor Ort. Unsere landwirtschaftliche Partnerorganisation in Kuba ist die kubanische Vereinigung für Tierproduktion ACPA (Asociación Cubana de Producción Animal). In jedem Projekt haben wir ein Gästehaus, in dem die Brigadistinnen und Brigadisten unterkommen. Sie haben dann knapp drei Wochen Zeit, am Leben auf dem Land aktiv teilzuhaben. Das heißt, es steht immer Arbeit im Projekt auf dem Programm. Das können bauliche Maßnahmen sein, aber auch Feldarbeit. Die Brigaden sind so angelegt, dass der Alltag erlebbar gemacht werden soll, und auch der Kontakt zu den Bäuerinnen und Bauern vor Ort spielt eine wichtige Rolle.

Was fahren da für Leute mit? Aus welchen Kontexten kommen sie in der Regel? Welche Altersstruktur gibt es?

Wir sind sehr darauf bedacht, die Brigaden zunehmend mit jüngeren Mitgliedern zu besetzen. In erster Linie denken wir da an die Genossinnen und Genossen aus dem Jugendverband der Partei Die Linke, aus dem Studierendenverband, aus anderen befreundeten Jugendorganisationen. Nichtsdestotrotz gehört es natürlich auch dazu, dass erfahrene Cuba-Sí-Genossinnen und -Genossen mitkommen können. Im Prinzip sind wir für alle offen.

Hat sich der Kontext für Solidaritätsarbeit mit Kuba verändert? Vor dem Hintergrund der regierungskritischen Proteste vom 11. Juli 2021 und den im Anschluss verhängten langen Haftstrafen wird Kuba auch in linken Zusammenhängen nicht mehr uneingeschränkt positiv diskutiert. Auf der anderen Seite ist die Partei Die Linke, an die Cuba Sí angebunden ist, im Moment sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie wirkt sich diese Gemengelage auf die Soli-Arbeit aus?

Trotz der Probleme der Partei sind unsere konkreten politischen Initiativen wie auch unsere materielle Solidaritätsarbeit und die Brigaden bisher unbeschadet geblieben. Mein Eindruck ist, dass das Thema Kuba in der Partei Die Linke nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Es gibt auch eine klare Beschlusslage des Parteivorstandes, in der die Solidarität mit Kuba bekräftigt wird. Nichtsdestotrotz ist es so, dass Kuba in den letzten drei, vier Jahren besonders schwierige Zeiten durchgemacht hat. Es gab die Proteste im Sommer 2021, und da ist es natürlich auch die Aufgabe von Cuba Sí, nach den vorhandenen Möglichkeiten objektiv darüber zu berichten. Der sicherlich auch berechtigte Protest gegen die schwierigen Lebensbedingungen wurde vor allem im Ausland politisiert. Da ist es die Aufgabe von Cuba Sí, nach bestem Wissen und Gewissen aufzuklären.

Wie wird Kuba generell wahrgenommen? Gibt es weiterhin ein großes Interesse, nach Kuba zu gehen, oder hat sich das verändert?

Was die Teilnahme an den Brigaden angeht, ist das Interesse weitestgehend unverändert. Eine Veränderung ist eher spürbar aufgrund der angezogenen Reisekosten. Flugreisen sind erheblich teurer als noch vor einigen Jahren. Auch die Lebenshaltungskosten auf Kuba sind gestiegen. Es gibt also eher ökonomische Limitierungen. Dass das Interesse an Kuba geringer geworden ist, glaube ich nicht. Es ist einfach so, dass das Wissen über Kuba oftmals sehr einseitig ist – egal in welche Richtung. Deswegen ist es unser Anliegen, über das Land und auch über Neuentwicklungen zu informieren, seien es basisdemokratische Prozesse wie die Abstimmung zum Familiengesetz oder zur Verfassung, die Initiativen Kubas im Umweltbereich, in der Geschlechterpolitik. Neben dem natürlich alles überlagernden Thema US-Blockade. Es ist klar, dass es für uns in der politischen Arbeit wichtig bleibt, über die Blockade aufzuklären, weiterhin die Listung Kubas auf der US-Terrorliste zu thematisieren und anzuklagen. Darüber hinaus sind für ein jüngeres Publikum andere Themen als in der Vergangenheit interessant, wie Umwelt, Nachhaltigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Ernährung.

Sie waren im Rahmen einer gemeinsamen Delegationsreise von Cuba Sí und der Partei Die Linke im Sommer auf Kuba. Wie haben Sie das Land erlebt?

Tatsächlich ist es so, dass sich in den vier Jahren, in denen ich nicht in Kuba war, vieles getan hat – im Positiven wie im Negativen. Was ich beobachtet habe – und das ist auch kein neues Phänomen, sondern vielmehr eine Verschärfung bisheriger Probleme –, ist der Umstand, dass die Preise trotz Währungsreform oder vielleicht auch wegen der Währungsreform in einigen Bereichen, gerade was die Lebensmittelversorgung angeht, weit jenseits von dem liegen, was ein normales Durchschnittsgehalt oder eine normale Rente eigentlich hergibt. Nach meinen Berechnungen sind die Preise zum Teil um das Zehnfache gestiegen. Ich sehe das Land darauf noch nicht vorbereitet, obgleich die Löhne, Pensionen und Gehälter deutlich angehoben wurden. Ein Novum für mich war die zunehmende Rolle und Bedeutung von kleineren und mittleren Unternehmen.

In diesem sich veränderndem Kontext: Warum ist Kuba-Solidarität weiterhin wichtig? Oder anders gefragt: Ist sie überhaupt noch wichtig?

Das ist natürlich die entscheidende, die spannendste Frage. Klar ist – und ich glaube, da muss und sollte man ehrlich sein: Kuba 2023 ist nicht mehr das Kuba von 1991, dem Gründungsjahr von Cuba Sí. Das Land steht aus meiner Sicht am Scheideweg, aber trotz aller genannten Probleme in der wirtschaftlichen Versorgung bildet es weltweit nach wie vor eine Ausnahme. Die Regierung ist bemüht, eine Gesellschaft aufrechtzuerhalten oder zu verbessern, die eben nicht nach neoliberalem Muster funktioniert, sondern in der andere Werte wie Solidarität noch eine größere Rolle spielen. Aber klar ist auch, Kuba als blockierte Insel kann es nicht allein schaffen, sondern ist bei dem Versuch, weiterhin gegen den Strom zu schwimmen, auf Hilfe angewiesen. Ein Element dieser Hilfe ist die politische und materielle Solidarität, wie wir von Cuba Sí oder andere Solidaritätsgruppen sie leisten. In dieser schweren Zeit für Kuba ist die Solidarität wichtiger denn je. Es muss darum gehen, eine Alternative zum herrschenden kapitalistischen System zu unterstützen.

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