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Eine pazifische Sicht
Der Blick auf die Opfer ist erschütternd: Für Richard Overy dauerte der Zweite Weltkrieg von 1931 bis 1945
Mitten in einer Welt voller Kriege erscheint eine militärhistorische Meisterleistung, die zu denken geben sollte: »Weltenbrand. Der große imperiale Krieg 1931 – 1945« von Richard Overy. Die Zeitspanne von 14 Jahren überrascht. Der Zweite Weltkrieg hat von 1939 bis 1945 gedauert – so jedenfalls die eurozentrische Lesart. Wer, wie der 1947 geborene Londoner Militärhistoriker, diesen Krieg als das letzte Aufbäumen des Imperialismus bezeichnet, wird den italienischen Krieg gegen Abessinien, die Annexion Albaniens, die unterschiedliche Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, vor allem aber den japanischen Überfall auf die Mandschurei und den Krieg gegen China als Teile des imperialen Ringens in diesem erweiterten Zeitraum zusammenfassen.
Die atlantische Sicht der Dinge ist längst einer pazifischen gewichen. Der Autor hat auf 1500 Seiten die Geschichte dieses Kampfes um imperiale Herrschaft dargelegt und das wohl für lange Zeit maßgebliche Buch über diesen größten und opferreichsten Krieg der Weltgeschichte geschrieben. Er beschränkt sich nicht nur auf die Darstellung der militärischen Aktionen, die längst erschlossen sind. Schlachtenpläne, militaristisches Feuerwerk oder waffentechnische Entwicklungen gibt es in diesem Buch auch, aber sie stehen nicht im Vordergrund.
Der eigentliche Wert seines Opus magnum liegt in den sonst eher am Rand liegenden Themen, die aber das Ausmaß des Krieges verdeutlichen. Die Nato wird die Passagen aufmerksam lesen müssen, die die ständige Rivalität zwischen den USA und Großbritannien behandeln. An Beispielen von Schlachten Ende 1944 in Belgien und den Niederlanden oder auch mit Blick auf Churchills Lieblingsprojekt einer Landung auf Sumatra, um es von der japanischen Besetzung zu befreien, macht Overy die Lähmungen deutlich, die solche auch von persönlichen Eitelkeiten befeuerten Rivalitäten auslösen. Die Sowjetunion kritisierte das durch die Reibereien unter den Westalliierten entstandene Stocken der Offensive gegen Deutschland oft genug.
Overy wirft einen Blick auf die zivilen Opfer des Bombenkriegs, bei dem es oft weniger um militärisch oder rüstungswirtschaftlich wichtige Ziele als um die Demoralisierung der Bevölkerung ging. Weder der deutsche Luftkrieg gegen England noch der ungleich heftigere anglo-amerikanische gegenüber Deutschland schwächten den Kampf- und Durchhaltewillen der Menschen wesentlich – eher im Gegenteil.
Welche Bedeutung hatte der militärische Widerstand gegen die jeweilige Führung? Während in Japan kritische Äußerungen von Militärs gegen die Führung weitgehend ungeahndet blieben, nahm das mörderische Wüten Himmlers und der Gestapo nach dem 20. Juli 1944 andere Ausmaße an. Welche Bedeutung hatte der Widerstand der Bevölkerungen in den faschistisch besetzten Gebieten? Nennenswert war er in Polen, in Frankreich, in Griechenland, in Jugoslawien, in Italien und sehr ambivalent in der Ukraine.
Die Verweigerung der Hilfeleistung der Roten Armee für den Warschauer Aufstand ist im Westen oft genug ausgeschlachtet worden. Weniger bekannt ist der Aufstand der Bevölkerung von Neapel gegen die deutsche Besatzung Ende September 1943: »In einem viertägigen improvisierten Kampfgeschehen wurden die Deutschen aus der Stadt vertrieben, während die Briten, die mittlerweile die Inseln Capri und Ischia im Golf von Neapel eingenommen hatten, tatenlos zusahen und sich einem Hilfeersuchen um Soldaten oder Munition verweigerten«, schreibt Overy.
Der Blick auf die Opfer ist erschütternd. Ein eigenes Kapitel widmet Overy den Verbrechen und Gräueltaten während des Krieges, von denen die Verbrechen der Deutschen an den Juden und »slawischen Untermenschen«, wie sie in der Nazipropaganda bezeichnet wurden, in ihrer Planung, Durchführung und in ihrem Ausmaß einmalig sind. An einigen besonders sadistischen Beispielen beschreibt der Autor auch die unterschiedlichen Formen der Gewalt gegen Frauen, die theoretisch in allen Militärstrafgesetzen untersagt war.
Ein besonderer Aspekt des Buches bekommt aktuelle Bedeutung: Overy diskutiert in einem großen Kapitel die Frage »Gerechte Kriege, ungerechte Kriege?« Als Historiker hat er die politischen Folgen des Krieges im Blick. Sie bestanden im Zusammenbruch der großen Kolonialreiche. Obwohl mit großen Hoffnung verbunden, resultierte daraus keine multipolare Ordnung. Stattdessen wählten die neuen Staaten eine Seite in der Blockkonfrontation nach 1945, im dann beginnenden »Kalten Krieg«, an dessen Folgen wir heute noch laborieren.
Richard Overy: Weltenbrand. Der große imperiale Krieg 1931–1945. A. d. Engl. v. Henning Thies und Werner Roller. Rowohlt Berlin, 1519 S., geb., 48 €.
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