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Geschichte des Deutschen Theaters: Von Stalin zur Deutschen Bank
Esther Slevogt schreibt eine lesenswerte Geschichte des Deutschen Theaters Berlin
Wie lassen sich mitten in den imaginären Gegenwelten der Kunst die Abgründe der Realität erkennen? Eine Frage der Kunstfertigkeit – und am Deutschen Theater in Berlin perfektionierte man diese bis hin zum Sprengsatz unter jenem Staatstheater, das man auch zu sein hatte. Hier fand nie Repräsentationskunst statt, die nicht zugleich ein Forum subversivster Kunstausübung gewesen wäre. Lange Zeit (heute nicht mehr) gehörte es zum guten Ton, dass sich Staatsmänner mitsamt Gattinnen auch im Deutschen Theater blicken ließen. Da traf dann Geist auf Macht – Reibung und Eklat waren unausweichlich. Immer waren es die Autoren, Regisseure, Schauspieler und Intendanten dieses Theaters, die zur Avantgarde ihrer Zeit gehörten. Auch das ist inzwischen längst vorbei, heute ist das Deutsche Theater eines unter vielen. An großen Individualisten, von denen das Theater lebt, herrscht auch hier Mangel.
Umso interessanter ist es, sich der Historie dieses ungewöhnlichen Hauses zuzuwenden. In den 80er Jahre war das DT für mich eine Bildungsstätte ersten Ranges, meine eigentliche Universität – und nach den Vorstellungsbesuchen ging es in den »Trichter« am Schiffbauerdamm, der fast die ganze Nacht geöffnet war. Ein exklusiv-exotisches Publikum fand hier seine nächtliche Bühne, wie man es eher in den 1920er Jahren vermuten würde. Heute hat die gesichtslose Touristenmeile diesen Ort längst in sich aufgesogen.
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Damals waren am DT Regisseure wie Thomas Langhoff, Friedo Solter, Jürgen Gosch, Frank Castorf (der hier seinen Durchbruch in Berlin hatte) und Rolf Winkelgrund mit seinen legendären Ernst-Barlach-Inszenierungen, vor allem aber Alexander Lang und Heiner Müller, die formale Zuspitzung mit unerhörten Denkexperimenten verbanden. Die Schauspieler: hochindividuell und zugleich ensembletrainiert. Der jugendliche Ulrich Mühe, von unerhörter Ausdruckskraft, vermochte wie kein zweiter kalte Ekstasen zu spielen. Er lieferte den beglückenden Beweis dafür, dass man in der uns provinziell anmutenden DDR aufwachsen und doch zu einem eigenen hochartifiziellen Ton finden konnte, der seinesgleichen suchte. Mühe beherrschte ab Mitte der 80er Jahre die DT-Bühne. Aber auch Inge Keller, Kurt Böwe, Christine Schorn, Eberhard Esche, Christian Grashof, Dieter Mann, Jutta Wachowiak oder Gudrun Ritter – eine solche Ensemblequalität gab es nur am Deutschen Theater.
Ein guter Grund, dieser Historie ein Buch zu widmen, wie es Esther Slevogt mit »Auf den Brettern der Welt – Das Deutsche Theater Berlin« unternimmt. Eine spannende Zeitreise, die dieses Theater immer in den Fokus der Knotenpunkte von Zeitgeschichte stellt, was erhellend ist. Die in Paris geborene Slevogt, die dem Online-Theaterportal nachtkritik.de vorsteht und bereits ein lesenswertes Buch über Wolfgang Langhoff vorlegte, bekennt, sie sei in den 80er Jahren von Westberlin aus regelmäßig ins DT gegangen. Was sie sah, muss ihr gefallen haben, denn sie nähert sich der Geschichte des Deutschen Theaters mit wohltuender Sympathie für die Akteure der verschiedenen Zeiten, bevorzugt dabei jedoch den sachlichen Ton einer Theaterchronik. Begeisterung oder Enttäuschung, wie sie aus eigenem Erleben – zumal mit dem Westblick auf das Osttheater – resultieren, werden dabei eher ausgeblendet.
Das kann man bedauern, aber der kühle und kritische Abstand lässt auch manches deutlicher sehen, etwa dass das Deutsche Theater gerade wegen seiner hohen künstlerischen Qualität von Westberlin aus immer beargwöhnt wurde, gar zum politischen Feind avancierte, dem man sich nur mit der martialischen Rhetorik des Kalten Krieges näherte. Slevogt zitiert üble Wortmeldungen aus der »Frontstadt« Westberlin, wenige Jahre nach Kriegsende. So leitartikelt Erik Reger im »Tagesspiegel«, die Westberliner sollten die Osttheater »veröden« lassen: »Nennt nicht mehr die Namen der Künstler, die dort spielen, sie seien vergessen.« Die Ost-Verdammung gipfelt in dem Satz: »Meidet die Pest, wie man die Pest eben meidet!« Hässliche Töne, die die Adenauer-Zeit prägten.
Aber Politiker, die auf Kunst allergisch reagierten, gab es immer schon. Dies ist einer der Zwecke von Kunst. In den 1890er Jahren, der Zeit der Intendanz von Otto Brahm, der auch den Regisseur Max Reinhardt entdeckte, so lesen wir bei Slevogt, kamen die ersten Stücke von Henrik Ibsen und Gerhart Hauptmann auf die Bühne. Als dann 1894 Hauptmanns »Die Weber« Premiere hatte, kündigte Wilhelm II. empört seine Kaiserloge, denn solcher »Rinnsteinkunst« gedachte er nicht beizuwohnen.
Die lange Reihe von Intendanten, die das Haus gegen Okkupationsversuche von außen zu schützen versuchten, zieht an uns vorüber. Von Max Reinhardt geht es zu Heinz Hilpert, der während der NS-Zeit versuchte, Propagandachef Goebbels auf Distanz zu halten. Nach dem Krieg kam als erster Gustav von Wangenheim, der 1945 aus der sowjetischen Emigration zurückkehrte, aber das Haus nur eine Spielzeit leiten durfte. Ihm folgten Wolfgang Langhoff, Wolfgang Heinz, Gerhard Wolfram, Dieter Mann und Thomas Langhoff, der 1999 abrupt abgelöst wurde. Sein Nachfolger Bernd Wilms kündigte an, mit zehnjähriger Verspätung würde die Wende nun auch dieses Theater erreichen. Das erscheint auf geschichtsvergessene Weise infam, denn der »Aufruf zu einer Demonstration« (der Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz), der sogenannte Wende-Geist also, ging auch vom Deutschen Theater aus.
Kunst und Politik, ist das immer eine Unbeziehung? Offensichtlich, denn mehrere Versuche, »Faust« auf die Bühne zu bringen, missglücken. Zu diesem Stoff unterhielt Walter Ulbricht eine ganz besondere Beziehung: Für ihn war die DDR die Erfüllung des Traums des sterbenden Faust, auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen. Dabei übersah er, dass es Mephisto ist, der Faust diesen Traum eingibt. Ein gefährliches Trugbild!
Zur wichtigsten Inszenierung des Deutschen Theaters zu DDR-Zeiten wurde, nach Alexander Langs Versuch über die negative Dialektik von Revolution in Büchners »Dantons Tod«, wahrscheinlich Heiner Müllers »Hamlet / Hamletmaschine«. Im Herbst 1989 begann Müller mit den Proben, im Frühjahr 1990 kam die überlange Inszenierung zur Aufführung, mit Ulrich Mühe und Jörg Gudzuhn als verdoppeltem Hamlet. Wo verläuft der Riss, der für Hamlet durch die Zeit geht, heute?
Müller musste mit seiner Inszenierung schließlich die Frage beantworten, wer Fortinbras sei, der siegreiche Eroberer. Wir erfahren: Zu Beginn der Proben sei es Stalin gewesen, an ihrem Ende die Deutsche Bank.
Esther Slevogt: Auf den Brettern der Welt – Das deutsche Theater Berlin. Ch. Links, 381 S., geb., 25 €.
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