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Kolumbien: »Es gibt große Hoffnung«
Yeimyz Yennid Zarate über Bürgerkrieg, Tourismus und die linke Regierung
Sie sind im Süden Kolumbiens aufgewachsen, mussten dann aber vor dem Bürgerkrieg fliehen. Was war passiert?
Ich habe lange in der Region Caquetá im Amazonasgebiet gelebt, wo meine Familie in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Das Leben war sehr hart: Die Gegend war abgelegen, der Staat hat sich nicht gekümmert. Es gab kaum Straßen, keine Infrastruktur, kaum Bildungseinrichtungen. Und die Wirtschaft hing vom Kokaanbau ab – das war für viele Menschen die einzige Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen. Zugleich bekämpfte der Staat den Kokaanbau, etwa indem Pflanzenschutzmittel gesprüht wurden. Dagegen gab es Proteste der Bauern. Immer öfter kam es auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Am Anfang des neuen Jahrtausends war der Konflikt extrem blutig.
Yeimyz Yennid Zarate Mejia hat eine Ausbildung zur Wirtschaftsprüferin gemacht und betreibt seit etwa zehn Jahren das kleine Hostel »Velero Relax«. Außerdem engagiert sich die 43-Jährige in einer lokalen Initiative für den Umweltschutz und für die Bildung von Kindern.
Im Süden tobte der Krieg vor allem zwischen der Regierung und der linken Farc-Guerilla.
Die Farc kontrollierte damals große Teile des kolumbianischen Südens, also griff die Regierung die Gebiete an und die Farc schlug zurück. Viele junge Menschen aus der Region haben sich in dieser Zeit der Guerilla angeschlossen – es gab für sie kaum andere Perspektiven. Aber die Farc übte selbst auch Terror aus, um Druck auf die Regierung zu machen: Ihre Leute zerstörten Brücken, ermordeten Bürgermeister und andere Menschen, die sie beschuldigten, mit der Regierung zusammenzuarbeiten.
Die Farc gründete sich in den 60ern als bäuerliche Selbstverteidigungsorganisation, um Ungerechtigkeit und Armut zu bekämpfen. Wie konnte die Guerilla so von ihrem Weg abkommen?
Aus dem Volk für das Volk – das war die ursprüngliche Ideologie der Farc. Doch es stellte sich schnell die Frage, wie man den Kampf finanziert. Also beraubten die Guerilleros die Bauern. Erpressung, Entführung und Drogenhandel wurden zum Alltagsgeschäft. Die Farc markierte Menschen, die für die Regierung arbeiteten, als Kollaborateure. Ich war davon auch betroffen, weil ich in einer staatlichen Bank arbeitete. Eine Freundin, die in einer anderen Bank tätig war, wurde sogar entführt. Also bin ich 2004 zu einer Tante in die Karibikregion geflohen.
In eine von rechten Paramilitärs kontrollierte Gegend.
Ja. Zwischen den Guerillas und den Paramilitärs gab es immer wieder Kämpfe, und wenn die Paramilitärs in den Süden kamen, gab es schreckliche Gemetzel. Sie waren für sehr viele Tote während des Bürgerkriegs verantwortlich. Natürlich hatte ich große Angst, hier zu leben.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ist es heutzutage sicherer im Land?
Das kommt darauf an. Es gibt immer noch viele Morde an Aktivisten oder an Gewerkschaftern. Aber insgesamt gibt es durch die Friedensprozesse vor allem mit der Farc mehr Sicherheit im Land und man wird nicht mehr so leicht entführt. Deshalb kommen mittlerweile auch mehr Touristen zu uns. Lange Zeit war das aufgrund der Sicherheitslage schwierig. Und um den Tourismus zu schützen, versucht der Staat, auch für mehr Sicherheit zu sorgen.
Der Tourismus kann Fluch oder Segen sein.
Heutzutage ist die Haupteinnahmequelle für viele Menschen hier nicht mehr der Drogenhandel, sondern der Tourismus. Das ist eine große Verheißung – aber am Ende bereichern sich meist die Reichen. Bis heute fehlt es den Leuten an Bildung und an den Mitteln, um sich etwas aufzubauen. Viele Menschen sehen nur den schnellen Gewinn, den sie durch den Tourismus einstreichen können, und haben dafür ihr Land verkauft. Nun arbeiten sie gegen schlechte Bezahlung für die neuen Eigentümer.
Sie betreiben an der Karibikküste ein kleines Hostel. Hier am Strand nahe der Mündung des Río Mendihuaca wirkt alles familiär, es gibt im Gegensatz zu vielen anderen Küstenabschnitten keine Hotelkomplexe. Wie konnte das gelingen?
Die Bewohner sahen die Chance, hier einen gemeinschaftlichen Tourismus zu gestalten. Also haben sie sich zusammengeschlossen und kleine Hotels und Restaurants gebaut. Von Anfang an war es wichtig, die Natur zu schützen und möglichst viele Menschen vom Tourismus profitieren zu lassen. Natürlich sind auch die politischen Rahmenbedingungen wichtig: Lange regierte im Distrikt von Santa Marta eine rechte Regierung, aber das hat sich geändert. Seither unterstützt die eher linke Lokalregierung den Gemeinschaftstourismus, anstatt dass nur große Hotelkomplexe gebaut werden. Heute sind wir hier in Kooperativen organisiert, wir säubern gemeinsam den Strand von Müll und haben eine nachhaltige Struktur aufgebaut, um gegenüber der Politik stärker aufzutreten.
Nur wenige Kilometer entfernt befindet sich der berühmteste Nationalpark Kolumbiens, der Tairona-Park. Außerdem liegt in der Nähe das höchste Küstengebirge der Welt. Das bietet viel touristisches Potenzial, aber auch eine einmalige Natur, die es zu schützen gilt.
Der Nationalpark wird von immer mehr Touristen besucht. Gleichzeitig leben hier die Nachfahren der indigenen Tairona. Sie wollen ihre heiligen Städten wie den Berg Colón schützen, deshalb sind im Tairona-Park bestimmte Gegenden für Besucher geschlossen, ab und an auch der ganze Park. Das aber gefällt nicht allen – in der Vergangenheit haben kolumbianische Politiker oft im Interesse des Kapitals gehandelt und eine weitere Öffnung des Parks angestrebt. Natürlich ist dabei auch Korruption im Spiel. Zum Glück hat die Verwaltung der Nationalparks dem oft widersprochen, obwohl sie dem Umweltministerium untersteht. Proteste gegen die Erschließung gab es auch von Umweltaktivisten aus dem In- und Ausland. Und dann gibt es noch die im Park ansässigen Bauern, sie wollen ihre Landwirtschaft betreiben. Es ist eine komplexe Gemengelage.
Seit gut einem Jahr gibt es in Kolumbien eine neue Regierung – mit dem ersten linken Präsidenten und der ersten schwarzen Vizepräsidentin. Überwiegt bei Ihnen gerade Hoffnung oder Enttäuschung?
Es gibt immer noch große Hoffnung unter den Menschen. Wir wollen, dass die Qualität der Bildung verbessert wird. Außerdem gibt es viele vernachlässigte Gegenden, aus denen Millionen Menschen vertrieben wurden. Die Hoffnung ist, dass die Menschen wieder zurückkehren können und dass die neue Regierung die ländlichen Regionen stärkt, etwa indem Mikrokredite vergeben werden. Versprochen wurde auch, Ungleichheit und Korruption zu bekämpfen sowie mehr Frieden im Land zu schaffen. Tatsächlich werden Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen geführt, aber viele Vorhaben konnten bisher nicht umgesetzt werden.
Warum?
Es gibt viel Propaganda gegen die linke Regierung – immer wieder heißt es, Kolumbien würde ein zweites Venezuela werden. Ein noch wichtigerer Faktor ist, dass die Regierung die Machteliten des Landes gegen sich hat. Vor allem die konservative Opposition und die Oberschicht haben weiter viel Einfluss.
Vor ein paar Monaten hat der Präsident einen großen Teil des Kabinetts ausgetauscht, um seine Agenda voranzubringen. Was hat er erreicht?
Präsident Gustavo Petro berief Vertreter anderer Parteien in sein Kabinett, um eine breite Mehrheit für seine Reformen zu bekommen. Doch weder seine Renten- und Arbeitsmarktreform noch die Stärkung des öffentlichen Gesundheitssektors sind gelungen. Also hat er die meisten Mitglieder der alten Eliten entlassen. Nun sind die Mehrheiten im Kongress dahin. Der Widerstand kommt aber auch aus den lokalen Verwaltungen. Und nun hat das linke Bündnis von Petro auch noch bei den Kommunalwahlen schlecht abgeschnitten. Es ist nicht so leicht, auf die Schnelle ein konservatives Land zu verändern.
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