»Saltburn«: Zirkus Sockenschuss

Emerald Fennells neuer Film »Saltburn« ist die abgefahrene Aufsteigergeschichte des Oliver Quick

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein unvergesslicher Sommer der Dekadenz entsteht gerade.
Ein unvergesslicher Sommer der Dekadenz entsteht gerade.

Oliver Quick läuft wie eine etwas verstörte Harry-Potter-Inkarnation über den Campus von Oxford. Schultern hochgezogen, jungenhaftes Gesicht, Klamotten unscheinbar, eine Steilvorlage für jeden Durchschnittsbulli. Aber eben auch hochintelligent. Barry Keoghan spielt den Antihelden in Emerald Fennells zweitem Film »Saltburn« als leicht mitleiderregende, aber auch undurchschaubare, latent bedrohliche Figur. Sozusagen die studentische Variante seines psychopathischen Familienzerstörers aus »The Killing of a Sacred Deer«. Die Ambivalenz aus Schwäche und unterschwelliger Gewalt löst sich erst im finalen Plot-Twist auf.

Oliver gelingt es, eine Freundschaft zu dem adeligen Womanizer Felix (Jacob Elordi) aufzubauen. Seine Unterschichtsaufsteigererzählung ist der Schlüssel für das Herz der Oberschicht (falls es so etwas gibt): die Eltern drogenabhängig, kaum noch Kontakt, der Vater stirbt während des ersten Semesters im Suff, der Sohn aber hochbegabt und mit Oxford-Stipendium. Felix nimmt Oliver für einen Sommer mit auf das Anwesen der Familie. Dort wird es dann dekadent und skurril und exzentrisch. Alle haben einen leichten bis mittelschweren Sockenschuss und sind psychisch mindestens mal belastet, durch Herkunft und Geld aber unantastbar. Sockenschuss plus Narrenfreiheit: Am meisten Spaß macht »Saltburn«, wenn er seine Figuren einfach machen lässt.

Welche Richtung der Film nimmt, lässt Fennell bewusst im Unklaren. »Saltburn« schwankt zwischen Komödie, Drama und Erotikthriller. Das funktioniert zumindest in der ersten Hälfte sehr gut, weil der Film sich in Genrereferenzen und sonstigen Verweisen lustvoll verliert und gar nicht erst versucht, eine plausible Geschichte zu erzählen. Im Zentrum stehen einzelne Szenen, jede für sich auf den maximalen Effekt ausgerichtet und narrativ nur lose miteinander verbunden.

Die Rache der Abgehängten an denen, die alles qua Geburt bekommen haben, sie ist auf der Leinwand immer wieder schön anzusehen. Und »Saltburn« hätte so etwas wie der definitive Eat-the-rich-Film werden können: ein bezaubernder Cast, ein Script von Fennell selbst, die mit »Promising Young Woman« ein düster-komisches und bedrückendes Regiedebüt vorgelegt hat, die freischwebende Kamera von Linus Sandgren (»La La Land«, »Babylon«) und ein toller Soundtrack. An Voraussetzungen ist also eigentlich alles da.

Es haut aber leider nicht so wirklich hin. Irgendwie meint der Film dann doch, eine Geschichte erzählen zu müssen, die genauso spektakulär sein soll wie die Sexszenen (unter anderem Fellatio mit Menstruationsblut, Selbstbefriedigung auf einem frisch zugeschütteten Grab). Die Haken, die das Skript schlägt, sind dann aber so lieblos zusammengedengelt, dass nichts so richtig zünden will. Man kann nicht plausibel rekonstruieren, ohne zu spoilern. Nur so viel: Dass die Herkunftsfrage sich so klar dann doch nicht darstellt, ist noch eine hübsche Volte, auch wenn sie »Saltburn« den klassenkämpferischen Elan nimmt. Ab dem Punkt in der Erzählung aber ist dann irgendwie alles möglich und also auch schnell eher egal.

Langweilig ist das nicht, für Langeweile ist hier alles filmästhetisch zu hübsch, und die Figuren sind zu lustig, zu schön oder zu wunderlich (oder alles zugleich). Aber es fällt doch auf, dass sich hier, bei allem Aufwand auf allen Ebenen, nichts wirklich ineinanderfügt und der Film nicht so wirklich weiß, wohin mit sich. Was dann keine schöne Konfusion erzeugt, sondern den Eindruck schaler Indifferenz.

Stattdessen hangelt das Geschehen sich von einem Tiktok-tauglichen Moment zum nächsten. Einige dieser Momente wurden nach der Premiere aufgekratzt skandalisiert. So ganz will sich die Aufregung beim Sehen dann nicht erschließen. Die »Welt« meinte gar den »kontroversesten Film des Jahres« gesehen zu haben. Wenn es angeblich kontrovers wird, findet »Saltburn« zur Ruhe und konzentriert sich aufs Wesentliche. So als läge hier der eigentliche Kern der ganzen Unternehmung.

Wenn zum Beispiel Oliver das Wasser aus der Wanne trinkt, in der Felix eben noch onaniert hat, und den Abfluss ausleckt, entsteht ein Bild, in dem sich Erotik, Kinkiness, Ekel und noch ein paar andere Dinge, die dann wieder etwas mit Klassengegensätzen zu tun haben, aufs Schönste mischen. Nicht skandalös, aber schade ist dann eben, dass »Saltburn« aus all dem Vielem, was in ihm angelegt ist, am Ende nicht viel zu machen weiß.

»Saltburn«: USA 2023. Regie: Emerald Fennell. Mit: Barry Keoghan, Rosamund Pike, Carey Mulligan. 127 Minuten, verfügbar auf Amazon Prime.

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