Berlin: Die Mieter beißen die Hunde

Obwohl die Immobilienpreise sinken, steigen die Mieten weiter. Zum Beispiel in Berlin

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 7 Min.
Protest gegen steigende Mieten in Berlin
Protest gegen steigende Mieten in Berlin

Berliner Vermieter verlangen derzeit im Mittel 13,10 Euro pro Quadratmeter nettokalt bei der Neuvermietung einer Bestandswohnung – rund neun Prozent mehr als vor einem Jahr. Das hat zumindest das Maklerbüro Guthmann Estate errechnet. Ähnlich sieht es in den meisten anderen Metropolen aus. Der ungebremste oder sich sogar beschleunigende Mietanstieg wirkt auf manchen Beobachter unverständlich, denn seit über einem Jahr sinken die Kaufpreise für Immobilien auf breiter Front – oftmals um zweistellige Prozentwerte. Wieso steigen vielerorts trotzdem die Mieten?

Preise sinken, Spekulation bleibt: Wie der Preis des Geschäftsartikels Wohnraum zustande kommt, können Sie hier nachlesen

»Es ist keine Überraschung, dass die nun sinkenden Immobilienwerte die Mietpreisspirale in Berlin nicht bremsen«, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm, der an der Berliner Humboldt-Universität forscht, zum »nd«. Da die Zinsen sich im gleichen Zeitraum etwa vervierfacht haben, seien die Refinanzierungskosten für einen Immobilienkauf trotz kleinerer Preisnachlässe nicht gesunken, sondern hätten sich sogar noch erhöht. »Der Druck auf einen höheren Mietertrag steigt deshalb und wird in angespannten Wohnungsmärkten auch eins zu eins an die Mieter*innen weitergegeben. So bleibt es wie bisher dabei: Jede Milliarde, die in den Kauf von bebauten Grundstücken ausgegeben wird, erhöht den Druck auf die soziale Wohnraumversorgung«, so Holm.

Bei einem typischen Kaufpreis für ein ganzes Bestands-Mietshaus von rund 2500 Euro pro Quadratmeter im Berliner Zentrum reicht die durchschnittliche Berliner Mietspiegel-Miete von 7,16 Euro pro Quadratmeter bei Weitem nicht aus, um die resultierenden Kreditraten davon zu bezahlen. Ganz zu schweigen von Eigentumswohnungen, die mindestens das Doppelte kosten.

Den Verdrängungsdruck spüren nicht nur Menschen, die eine neue Wohnung suchen müssen, sondern auch jene, die in ihren vier Wänden bleiben. Viele sind mit Mieterhöhungen um die 15 Prozent konfrontiert – so stark dürfen in Berlin die Mieten innerhalb von drei Jahren maximal erhöht werden. So zum Beispiel die Mieter der finanziell taumelnden Adler-Gruppe. Andere, wie Covivio, haben nach öffentlichen Protesten ihre Erhöhungsverlangen auf elf Prozent reduziert. Diese Kappungsgrenze sieht eine freiwillige Vereinbarung des vom Senat initiierten Mietenbündnisses vor.

Mieten in Großstädten
  • In Deutschland sind die Nettokaltmieten inner­halb eines Jahres im Durchschnitt um 2 Prozent gestiegen, trotz sinkender Hauspreise. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Weil die Menschen relativ selten ihre Wohnung wechseln, dominieren hier Bestandsmieten.
  • Eine Analyse der Angebotsmieten in Großstädten hat Immowelt veröffentlicht. Demnach sind die durchschnittlichen Angebots­mieten im vorigen Jahr in 56 von 80 berücksichtigten Großstädten gestiegen. Ausgewertet wurden hier die Quadrat­meterpreise von Bestands­wohnungen, die auf immowelt.de jeweils im Dezember 2022 und 2023 angeboten wurden (drei Zimmer, Baujahr 1990er Jahre).
  • In Berlin stiegen die Angebotsmieten für solche Wohnungen demnach um 2,6 Prozent auf 11,56 Euro pro Quadratmeter, nachdem sie bereits zuvor um 7,5 Prozent gestiegen waren. Auch in Städten wie Hamburg, Stuttgart, Potsdam, Dresden, Magdeburg und Leipzig wurde Wohnen teurer – in Dresden stieg der Quadratmeterpreis um rund 5 Prozent auf 8,07 Euro.
  • Einen Rückgang gab es in Städten wie Bonn, Düsseldorf, Frankfurt am Main und München. In der bayerischen Landeshauptstadt sank der Quadratmeterpreis um 1,6 Prozent auf immer noch 16,10 Euro. Gerade in »hochpreisigen Städten« scheine die Grenze des Bezahlbaren für viele zunehmend erreicht, so Immowelt-Geschäftsführer Felix Kusch. rt

    Geschäftsmodelle der Immobilien-AGs

    Der Zusammenhang von steigenden Zinsen und sinkenden Immobilienpreisen wirkt sich auch auf die großen Immobilienkonzerne aus, die in den letzten Jahren die Strategie verfolgte, die Buchwerte ihrer Bestände so hoch wie möglich anzusetzen, um den Anleger*innen einen Wertzuwachs ihrer Unternehmen vorzugaukeln.

    »Bisher hatten diese Buchungstricks keine unmittelbaren Folgen für die tatsächlichen Mietforderungen der großen Bestandshalter. Jetzt müssen die auslaufenden Kreditlinien durch Verträge mit höheren Zinsen abgeschlossen werden, sodass die regelmäßigen Ausgaben der Konzerne steigen werden«, erläutert Andrej Holm. Ökonomisch betrachtet seien einige der Konzerne mit Liquiditätsproblemen konfrontiert, weil das Geld, das sie regelmäßig aus den Mieten einnehmen, nicht mehr ausreiche, um die Kredite zu bedienen. Auf diesen Finanzierungsdruck reagierten die Immobilien-AGs nun verstärkt mit Mietsteigerungen. »Die Zeche für die Immobilien-Party der letzten Jahre zahlen also auch hier die Mieterinnen und Mieter der Stadt«, so der Stadtsoziologe.

    Das bisherige Geschäftsmodell der Immobilien-AGs ist an ein Ende gekommen und sie richten sich neu aus. Das passiert nicht zum ersten Mal. In der Anfangsphase ging es nach der Privatisierung der einst öffentlichen Bestände um Gewinne durch den mehrfachen Weiterverkauf. Dann wurde darauf gesetzt, die Bestände durch die Übernahme von Konkurrenten immer weiter zu vergrößern. »Höhepunkt war die Übernahme der Deutsche Wohnen durch Vonovia. Letztlich konnte Vonovia dieses seit vielen Jahren verfolgte Ziel erst zu einem Zeitpunkt umsetzen, zu dem dieses Geschäftsmodell bereits seinen Zenit überschritten hatte. Daraus und aus dem hohen Preis der Übernahme resultiert ein nicht unerheblicher Teil der heutigen Probleme des Konzerns«, konstatiert Andrej Holm.

    Die Mieterhöhungen werden auch mit erheblichem Nachdruck eingefordert. »Ich habe jetzt einen Fall, wo Vonovia einen Mieter wegen 5,25 Euro im Monat verklagt«, berichtet Marcel Eupen dem »nd«. Der Erste Vorsitzender des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbunds aus Berlin hatte für den Mieter die restlichen 13,63 Euro Mieterhöhung akzeptiert, jedoch nicht die darüber hinaus gehende Summe.

    nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

    Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

    Council Housing: Wie es besser geht

    In Berlin sind nicht mal mehr die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit ihren knapp 360 000 Wohnungen ein sicherer Hafen für Mieter. »Die Mieter sind aktuell mit einer Vierfachbelastung konfrontiert«, sagt Marcel Eupen. Erstens würden nun auf einen Schlag wieder die Mieten verlangt, wie sie vor Einführung des vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckels galten, was bis zu 44 Prozent Mieterhöhung bedeute. Zweitens hätten die Landes-Wohnungsunternehmen nach Aufhebung des Mietendimmers durch den Senat massenhaft elfprozentige Mieterhöhungsverlangen verschickt. »Drittens sind Haushalte mit oft vierstelligen Heizkostennachzahlungen für 2022 konfrontiert – ich habe Fälle, wo es um über 6000 Euro geht«, so Eupen. Das schlage sich viertens auch in den Vorauszahlungen nieder, die monatlich teils um dreistellige Beträge angehoben würden. »Das führt zu Belastungen der Mieter, wo man sich fragt, wie die noch monatlich über die Runden kommen sollen«, sagt der Mieteranwalt.

    Andrej Holm spricht von einer »doppelten Bruchlandung« bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften: »Die steigenden Zinsen und Baukosten lassen die ohnehin absurde Idee platzen, dass die Gesellschaften gleichzeitig zu günstigen Mieten und erheblichem Neubau verpflichtet werden können.« Beides sollten sie weitgehend aus eigener Kraft gewährleisten. Das sei insbesondere für jene politischen Kreise, die fast ausschließlich auf Neubaulösungen geschielt haben, ein harter Aufschlag. Damit meint er in Berlin vor allem weite Teile der SPD. Für CDU und FDP sowie die AfD ist Neubau sowieso die Lösung.

    Die Kopplung des Neubaus an die Mieteinnahmen aus den Beständen reiche vorne und hinten nicht aus, das Finanzierungsmodell komme bei einigen der landeseigenen Wohnungsunternehmen ins Schlittern, so Holm. »Die weitgehende Aufgabe der Mieterhöhungsbeschränkungen reduziert jetzt die soziale Versorgungsfunktion, die die Unternehmen hatten. Teilweise fühlt man sich um Dekaden zurückversetzt, in eine Zeit, in denen die Ökonomisierung der öffentlichen Wohnungswirtschaft im Vordergrund stand«, konstatiert der Stadtsoziologe.

    »Blickt man auf die erfolgreichen Bauprogramme für die soziale Wohnraumversorgung, sei es im Roten Wien, beim schwedischen Millionenprogramm oder dem Council Housing in Großbritannien, dann haben sie ein Merkmal gemeinsam: Die Erstellungskosten und die verlangten Mieten waren entkoppelt«, sagt Holm.

    Es wurde also nicht erwartet, dass mit den Mieten die Baukosten wieder eingespielt werden. Stattdessen wurde der Bau durch Steuern oder direkt aus dem öffentlichen Haushalt finanziert. »Das geht, wenn man Wohnungen als das definiert, was sie sind: eine soziale Infrastruktur. Bei Schulen oder Bibliotheken käme ja auch niemand auf die Idee, dass die Nutzenden ihren Betrieb finanzieren müssen«, so Andrej Holm.

    Mit Blick auf die Gesamtlage sagt der Stadtsoziologe: »Alle Warnungen vor der Finanzialisierung des Wohnimmobilienmarktes sind beharrlich in den Wind geschlagen worden. Und nun übertreffen die negativen Auswirkungen die schlimmen Erwartungen der Kritiker.« Der Immobilienhandel manifestiere durch jeden Kauf Ertragserwartungen, die Druck auf die Mieterinnen und Mieter auslösen.

    Holm hat die Daten für die Dekade von 2013 bis 2022 zusammengetragen. In diesem Zeitraum wurden für den Immobilienmarkt in Berlin fast 300 000 Transaktionen von Grundstücken, ganzen Häusern und Wohnungen dokumentiert. Die Gesamtsumme dieser Verkäufe beträgt über 180 Milliarden Euro. »Das Geld floss für nichts weiter als den Erwerb von Eigentumstiteln, die dazu berechtigen, die künftigen Erträge der Grundstücke, Häuser und Wohnungen zu vereinnahmen«, verdeutlicht Holm.

    Letztendlich sollen jene die Erträge zahlen, die auf den Grundstücken und in den Wohnungen wohnen. In Berlin sind das zum größten Teil Mieterinnen und Mieter. Rein rechnerisch entspreche die Summe des Immobilienhandels mehr als 100 000 Euro für jeden Mieterhaushalt. »100 000 Euro, die nur deshalb gezahlt werden müssen, weil ein Eigentumstitel erworben wurde«, so Holm.

    Für die Stadtgesellschaft hätten diese wirtschaftlichen Aktivitäten eigentlich keinen Mehrwert, sagt Holm und rechnet vor: Von der Summe der Verkäufe hätten fast 900 000 Wohnungen gebaut werden können. Tatsächlich gebaut wurden nur 140 000 neue Wohnungen und das Investitionsvolumen lag bei etwa 28 Milliarden Euro. Sein Fazit: »Solange wir den Handel mit Beständen nicht in den Griff kriegen, wird sich die Spirale aus steigenden Ertragserwartungen und sehr hohen Mieten immer weiter drehen.«

    Das »nd« bleibt gefährdet

    Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

    Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


    → Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
    → Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
    → Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
    → Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
    → Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

    Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

    - Anzeige -
    - Anzeige -