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Die Rettung der Roter-Frontkämpfer-Fahne
Giles Grant, britischer Enkel des deutschen Kommunisten Ewald Fritsch, besucht Potsdam
Unter welchen Umständen die Fahne des Roten Frontkämpferbundes (RFB) von Potsdam im Jahr 1926 entstand und wie sie die Nazizeit unbeschadet überdauerte, ist eine spannende Geschichte. Auch das Leben von Ewald Fritsch, der für die Anfertigung der Fahne sorgte, bietet Stoff für einen Abenteuerroman.
Uwe Klett (Linke) war in Berlin viele Jahre Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf und später in Brandenburg acht Jahre Bürgermeister der Gemeinde Fredersdorf-Vogelsdorf. Er lebt in Berlin. Aber aufgewachsen ist er in Potsdam-Babelsberg. Er engagiert sich dort in der Geschichtswerkstatt »Rotes Nowawes«.
Dieser Tage ist Giles Grant, Enkel von Ewald Fritsch, aus London zu Besuch in Berlin. Uwe Klett fährt am Dienstag mit ihm nach Potsdam und zeigt ihm dort die im Museum der Stadt aufbewahrte RFB-Fahne. Zuletzt konnte sie 2019 von Museumsbesuchern besichtigt werden. Die Fahne war ein Exponat der Ausstellung »Umkämpfte Wege der Moderne – Geschichten aus Potsdam und Babelsberg 1914–1945«. Im Moment lagert sie im Depot. Von dort hat Kuratorin Wenke Nitz das besondere Stück hervorgeholt, um es Grant am Dienstag zu präsentieren. Der 60-Jährige ist beeindruckt.
Sein Großvater Ewald Fritsch war kein typischer Kommunist. Er entstammte nicht dem Arbeitermilieu. Fritsch war im Gegenteil der Sohn eines Obermilitärgerichtssekretärs, der 1915 in einem Lazarett des Ersten Weltkriegs starb. Er war Kaufmann und arbeitete beim Kiepenheuer-Verlag. Mit dem Schriftsteller Peter Huchel war er in Potsdam zur Schule gegangen und befreundet, und mit 23 Jahren schon Chef des kommunistischen RFB von Potsdam.
Von dem Maler und Grafiker Rudolf Schlichter ließ Fritsch eine Postkarte entwerfen, die eine rote Fahne hoch über dem Schloss Sanssouci zeigte. In einer Auflage von 5000 Exemplaren wurde die Postkarte in der Potsdamer Lithografischen Kunstanstalt gedruckt. Der dort tätige Lithograph und Kommunist Hermann Elflein, den die Nazis 1943 im KZ Sachsenhausen ermordeten und nach dem in Potsdam eine Straße benannt ist, bürgte mit einem Monatsgehalt für den Fall, dass sich die Postkarte schlecht verkaufen sollte. Sie kam aber gut an und mit den Einnahmen konnten das Tuch und der Stiel für die RFB-Fahne angeschafft werden.
Textilarbeiterinnen aus Nowawes bestickten das rote Tuch liebevoll mit dem RFB-Symbol, einer geballten Faust, auf der einen Seite und auf der anderen mit der Losung: »Ob sie uns auch zerbrechen, sie beugen uns doch nicht!« Als der preußische Innenminister Carl Severing (SPD) im Mai 1929 den RFB verbot und die Potsdamer Unterkunft von Fritsch durchsucht wurde, fand die Polizei zwar Druckschriften und Aufnahmeformulare der nun illegalen Organisation, aber nicht die rechtzeitig in Sicherheit gebrachte Fahne. Diese erlebte eingenäht in ein Kissen 1945 die Befreiung vom Faschismus und gelangte in den Bestand des Stadtmuseums.
Nach einem Aufenthalt in Frankreich lebte Fritsch 1933 in Berlin und hatte ein Verhältnis mit der ungarischen Jüdin Lilla Szanto. Als beide im März verhaftet wurden, war sie von ihm schwanger. Als österreichische Staatsbürgerin aus Nazideutschland ausgewiesen, konnte sich Szanto nach Großbritannien in Sicherheit bringen. Sie ist die Großmutter von Giles Grant.
Was Uwe Klett bisher nicht wusste und am Dienstag in der S-Bahn nach Potsdam von Grant erfährt: »Lilla war Kommunistin.« Auch sein Vater sei Kommunist gewesen, seine Mutter habe sich dagegen von Stalin enttäuscht von einer Kommunistin zur Sozialistin gewandelt. Und Grant selbst? »In meiner Jugend war ich Kommunist, auch Parteimitglied«, erzählt der 60-Jährige. Heute sei er »absolut liberal«. Obwohl er die dritte Generation nach der Auswanderung ist, spricht er ein bisschen Deutsch. Er hat auch noch einen Verwandten in Paris.
Denn Ewald Fritsch floh nach der Haft aus Nazideutschland nach Frankreich und kämpfte dort unter falscher Identität als Soldat und im Widerstand gegen die Faschisten. Um nicht erwischt zu werden, behauptete er, in Bordeaux geboren zu sein, obwohl er tatsächlich in Mainz zur Welt gekommen war. Da der Vater ein Elsässer war, konnte Fritsch seinen echten Namen verwenden und dennoch glaubhaft machen, er sei Franzose. Ewald heiratete seine Gefährtin Wilma und bekam von ihr eine Tochter. Er blieb nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich und starb 1971 in Paris.
Er hatte auch Verbindung zu Margarete Buber-Neumann, die erst mit dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und dann mit dem KPD-Reichstagsabgeordneten Heinz Neumann verheiratet war. Heinz Neumann wurde 1937 während des großen Stalinschen Terrors in Moskau hingerichtet. Margarete Buber-Neumann erhielt 1938 fünf Jahre Haft aufgebrummt und wurde in ein Gulag in Kasachstan gesteckt, bis sie 1940 in der Zeit des Hitler-Stalin-Abkommens nach Deutschland abgeschoben und ins Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert wurde. Geprägt von ihren Erlebnissen »als Gefangene bei Stalin und Hitler« – so der Titel ihres Erfahrungsberichts – lehnte Buber-Neumann die auf Verständigung ausgerichtete Ostpolitik von Kanzler Willy Brandt ab und wechselte 1975 von der SPD zur CDU. Doch in ihren Erinnerungen »Von Potsdam nach Moskau und zurück« erwähnte sie auch, wer 1926 bei ihrem Eintritt in die KPD für sie gebürgt hatte: der Schlosser und Potsdamer KPD-Vorsitzende Albert Heese und RFB-Chef Ewald Fritsch.
Uwe Klett bemerkt am Dienstag erstaunt, was Giles Grant im Bundesarchiv ausfindig gemacht hat, obwohl der Name Ewald Fritsch doch sehr häufig sei. Erhalten haben sich Gerichtsakten von 1928, die mit der Durchsuchung einer von Ewald Fritsch in Bremen aufgebauten »Bücherstube« zu tun haben, wobei Nummern einer verbotenen Zeitschrift sichergestellt wurden. Wie viele Mitglieder der RFB in Potsdam zählte, sei nicht bekannt, erklärt Uwe Klett. Er schätzt, es könnten 20 bis 30 gewesen sein. Im roten Nowawes, das damals noch nicht zu Potsdam gehörte und heute Babelsberg heißt, seien die Kommunisten viel stärker gewesen. Dort müsste der RFB um die 100 Mitglieder gezählt haben.
»Wir können ein Buch zusammen schreiben«, sagt Grant. »Im nächsten Leben«, vertröstet Klett schmunzelnd. Aber Grant beharrt freundlich: »Nein, in diesem Leben.«
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