»Tag der Ehre«: Mit der Antifa nach Budapest

Trotz Repression wieder Protest gegen rechtsextremes »Heldengedenken«

Sehen aus wie Laiendarsteller im Film »Inglourious Basterds«, marschieren aber in echt in Ungarn: Teilnehmer der 60 Kilometer langen Neonaziwanderung am 11. Februar 2023.
Sehen aus wie Laiendarsteller im Film »Inglourious Basterds«, marschieren aber in echt in Ungarn: Teilnehmer der 60 Kilometer langen Neonaziwanderung am 11. Februar 2023.

Am 29. Januar beginnt in Budapest vor dem Stadtgericht der Prozess gegen drei Aktivisten aus Deutschland und Italien. Sie sollen sich vor elf Monaten an einem Angriff gegen Teilnehmer des Nazi-Aufmarschs »Tag der Ehre« in der ungarischen Hauptstadt beteiligt haben. Im Oktober hat die Budapester Staatsanwaltschaft dazu Anklage wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung sowie im Fall der italienischen Beschuldigten wegen einfacher und schwerer Körperverletzung erhoben. Ihnen drohen jahrelange Gefängnisstrafen.

Bei den Verfolgten soll es sich um eine Gruppe handeln, gegen die in Deutschland in den sogenannten »Antifa-Ost-Verfahren« ermittelt wird. Nach einem Amtshilfeersuchen aus Budapest hatten deutsche Landeskriminalämter im Februar und März erste Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena durchgeführt. Seitdem arbeiten die ungarischen Behörden eng mit der »Soko Linx« aus Sachsen zusammen. Die Budapester Stadtpolizei hat ebenfalls eine »spezielle Ermittlungsgruppe zur Untersuchung von sogenannten Antifa-Angriffen« eingerichtet, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Die in Deutschland und Ungarn gesammelten Informationen würden ausgetauscht und regelmäßige Treffen abgehalten.

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Zwei der Beschuldigten sitzen seit dem 11. Februar in Budapest im Gefängnis, Unterstützer beschreiben die Haftbedingungen als menschenunwürdig. Nach weiteren europäischen und internationalen Haftbefehlen gegen 14 Aktivisten aus Deutschland, Italien, Albanien und Syrien nahm die Polizei im November in Mailand und im Dezember in Berlin je eine weitere Person fest. Beide sollen nun im Rahmen der europäischen Rechtshilfe nach Ungarn ausgeliefert werden, hierzu müssen aber noch die Gerichte am Haftort in Dresden und dem Hausarrest in Mailand entscheiden – in Italien war bislang auch der Generalstaatsanwalt dagegen und schlug stattdessen eine Vernehmung per Videoschalte vor.

Trotz der Repression organisieren Gruppen aus verschiedenen Ländern auch dieses Jahr wieder Proteste gegen den »Tag der Ehre« am 10. Februar. Aus Deutschland mobilisiert dazu die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!«. Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ruft dazu auf, am Morgen des 10. Februar aus Wien gemeinsam mit dem Bus nach Budapest zu fahren.

Der antifaschistische Protest soll dann am Vormittag mit einer Kundgebung am »Mahnmal der Schuhe« am Donauufer beginnen und dort an die Opfer der Shoah sowie des Porajmos – dem Nazi-Völkermord an den europäischen Roma – erinnern. Mit der Forderung nach einem Verbot der neonazistischen Veranstaltungen ist anschließend eine Demonstration zum ungarischen Parlament geplant. Am Nachmittag finden dann Gegenproteste zum rechtsextremen »Heldengedenken« statt. Im Mittelpunkt steht dabei eine rund 60 Kilometer lange Wanderung der Neonazis in die Budaer Hügel außerhalb der Stadt.

Den »Tag der Ehre« zelebrieren rechtsextreme Netzwerke seit 1997 jedes Jahr in Budapest. Die Veranstaltung hat sich zu einem wichtigen Bezugspunkt von teilweise verbotenen Gruppen in Europa entwickelt, mitunter können sie dazu mehrere Tausend Teilnehmer mobilisieren. Dazu gehören Blood-and-Honour-Netzwerke, Kameradschaften und Parteien wie Die Rechte oder Der III. Weg. Zusammen huldigen sie der deutschen Waffen-SS, der Wehrmacht und deren ungarischen Kollaborateuren. Rund 70 000 Angehörige dieser Truppen hatten am 11. Februar 1945 in einer selbstmörderischen Aktion versucht, aus einem Kessel der Roten Armee rund um Budapest zu entkommen. An die Schauplätze dieser Kämpfe führt die ebenfalls jährlich durchgeführte Neonaziwanderung.

Bei dem »Heldengedenken« tragen viele Teilnehmer faschistische Devotionalien zur Schau, darunter Uniformen, Stahlhelme, Fahnen, SS-Runen, Porträts von Adolf Hitler oder den »Hitlergruß«. Das ungarische Strafgesetzbuch stellt die Verwendung von »verbotenen autoritären Symbolen« zwar unter Strafe, bestätigt die Polizei dem »nd«. Verfolgt wird dies beim »Tag der Ehre« aber nicht: Im vergangenen Jahr sei aus Sicht der Behörden »kein solches Verbrechen begangen« und deshalb keine Ermittlungen eingeleitet worden, heißt es weiter.

»Die Budapester Stadtpolizei verfolgt Personen nicht aufgrund ihrer politischen Überzeugungen, sondern aufgrund der begangenen Straftaten«, sagt der Sprecher außerdem. In einem Fall habe die Polizei dazu auch ermittelt. Die Opfer waren laut der Pressestelle »zwei junge Menschen«, die »wegen ihrer angeblichen linken politischen Ansichten« angegriffen wurden. Zwei mutmaßliche Täter seien identifiziert worden. Mit dem Vorwurf der »Gewalt gegen ein Mitglied der Gemeinschaft« liegen die Akten seit Oktober bei der Staatsanwaltschaft, die über eine Anklage entscheiden sollte.

Ein deutscher Teilnehmer am »Tag der Ehre« in Budapest musste indes eine Unannehmlichkeit hinnehmen: Das Verwaltungsgericht Leipzig hatte im Dezember geurteilt, dass der Mann als unzuverlässig gilt und seine drei Schusswaffen abgeben muss. Der Verfassungsschutz hatte die Stadt Leipzig zuvor über wiederholte Reisen zu den rechtsextremistischen Treffen nach Budapest informiert. Dabei handele es sich um Bestrebungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien, so das Gericht.

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