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Heilerde: Wundermittel oder Dreck?
Heilerde hat eine lange Tradition – vor allem bei Verdauungsbeschwerden kann sie helfen
Schon in der Antike wurden mineralische Erden als Heilmittel verwendet. Als besonders wertvoll galt die »Terra lemnia« von der griechischen Insel Lemnos. Die rötliche, eisenhaltige Erde stand im Ruf, ein hervorragendes Mittel gegen Vergiftungen, aber auch gegen Durchfälle zu sein. Nach strengen Regeln wurde sie ausgegraben, mit Wasser gewaschen, zu Klumpen geformt, getrocknet und mit einem Ziegen-Abdruck gestempelt. Das Siegel bewies die Echtheit und diente als eine Art Markenzeichen.
Auch in Deutschland wurden solche Tonerden gefunden und aufbereitet, gerieten aber wieder in Vergessenheit. Naturheilkundler der Neuzeit wie Sebastian Kneipp, »Lehmpastor« Emanuel Felke und Adolf Just verhalfen Heilerde zu neuer Popularität. Just stieß im Harz auf einen Boden, dessen mineralische Zusammensetzung er für optimal befand, und gründete dort 1918 die »Heilerde-Gesellschaft Luvos«. Die Firma ist heute in Deutschland Marktführer.
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Heilerde, wie sie hierzulande angeboten wird, ist meist ein Pulver, das aus eiszeitlichem Löss gewonnen wird. Bei der Aufbereitung wird die feinkörnige Erde noch weiter vermahlen. Je winziger die Teilchen, desto besser können sie Substanzen aufnehmen, heißt es bei der Firma Luvos. Zudem enthält das Pulver viele verschiedene Mineralien und Spurenelemente. Die Liste seiner Anwendungsbereiche ist lang – sie reicht von Sodbrennen über Darmsanierung und Nahrungsmittelintoleranzen bis hin zu Akne und Schuppenflechte. Ist Heilerde wirklich ein Allround-Wundermittel?
»Bei Magenproblemen und Reizdarm-Beschwerden kann sie tatsächlich ganz gut helfen«, sagt Birgit Terjung, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. »Das sehr feine Pulver kann Säure oder galliges Sekret absorbieren.«
Davon profitieren unter Umständen Patienten mit Sodbrennen, die eine Alternative zu der Medikamentengruppe der Protonenpumpenhemmer suchen. Solche Säureblocker sind nämlich nicht ganz harmlos, wenn sie langfristig angewandt werden – so gibt es zum Beispiel Hinweise, dass sie das Risiko für Knochenbrüche und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
»Manche Patienten berichten von großen Erfolgen mit Heilerde«, sagt Terjung. »Gerade dann, wenn Protonenpumpenhemmer nicht oder nicht gut wirken, ist ein Versuch sinnvoll.« Ein weiterer Vorteil: Heilerde wirkt sofort, bei Säureblockern dauert es ein paar Tage, bis sie ihren vollen Effekt entfalten. Daher eignet sich das Naturheilmittel insbesondere dann, wenn jemand nur gelegentlich Probleme hat.
»Negativ ist aber der Geschmack. Manche bringen das Pulver einfach nicht hinunter und müssen auf Kapseln ausweichen«, berichtet die Ärztin. Kann Heilerde schaden? Nein, sagt sie, fügt aber hinzu: »Man darf sie nicht zusammen mit Medikamenten einnehmen.« So sollten zwischen der Einnahme von Heilerde und Arzneimitteln ungefähr zwei Stunden liegen.
Auch bei Reizdarm kann ein Therapieversuch sinnvoll sein, sagt Rainer Stange, Präsident des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin. »Grundsätzlich gilt: Immer dann, wenn jemand Magen-Darm-Beschwerden hat und der Arzt eine sogenannte funktionelle Störung diagnostiziert, kann man es mit Heilerde versuchen.« In solchen Fällen lassen sich keine organischen Ursachen für die Probleme entdecken. Überhaupt plädiert Stange für »mehr Mut zum Probieren«. Das gilt auch für den Cholesterinspiegel: Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen zu testen, um wie viel sich ein hoher LDL-Wert mit Heilerde senken lässt.
Vom Prinzip her ist es jedenfalls denkbar, dass Heilerde den Cholesterinspiegel positiv beeinflusst. Der Stoffwechselexperte Klaus G. Parhofer vom Klinikum Großhadern der Uni München hält es sogar für »gut möglich«. Offenbar bindet das Pulver Cholesterin und Gallensäure, sodass diese Stoffe ausgeschieden werden. »In der Folge muss die Leber mehr Gallensäuren produzieren, wozu sie Cholesterin benötigt, das sie sich aus dem Blut holt«, erklärt Parhofer. Dadurch sinkt der Cholesterinspiegel im Blut – zumindest theoretisch. Überprüft wird das gerade in einer Studie.
Bisher können die Hersteller nicht auf stichfesten Belege für die Wirksamkeit verweisen. Es gibt kleinere Untersuchungen und viele Erfahrungsberichte, aber keine großen Studien nach wissenschaftlichen Standards. Das hat dem Marktführer Luvos jüngst einige Kritik eingebracht: Laut »Medwatch« wirbt die Firma mit unbewiesenen Wirkversprechen. Das Online-Magazin berichtet etwa von einer 76-jährigen Frau, bei der sich eine Blase am Fuß schwer entzündete, nachdem sie die Stelle mit »Luvos Heilerde 2 hautfein« behandelt hatte. Laut Beipackzettel sorgt das Mittel dafür, dass nässende Wunden leichter abtrocknen und Bakterien oder Zersetzungsprodukte an die Heilerde gebunden werden.
»Für die Wundbehandlung eignet sich Heilerde tatsächlich nicht«, sagt der Münchner Hautarzt Christoph Liebich. Mit nennenswerten Verletzungen, Geschwüren oder chronischen Wunden solle man zum Arzt gehen. Anders bei Hautproblemen wie Akne: Hier sind Heilerde-Gesichtsmasken durchaus sinnvoll. »Sie haben eine hautberuhigende Wirkung und werden als angenehm empfunden«, sagt Liebich. Auch bei Neurodermitis oder Schuppenflechte könnten Heilerde-Anwendungen wohltuend sein, sind aber kein Heilmittel.
Etwas verwirrend ist, dass so viele verschiedene Heilerde-Produkte auf dem Markt sind. Eine ganze Reihe von Pulvern ist für die Linderung von Sodbrennen gedacht, andere für Reizdarm-Probleme oder zur Bindung von Cholesterin, wieder andere zur äußerlichen Anwendung. Öffnet man die Packung, kommt jedes Mal ein Pulver zum Vorschein, das auf den ersten Blick gleich aussieht. Dennoch haben unterschiedliche Aufbereitungen offenbar ihren Sinn: »Die Wirkung der Heilerde kann von der Partikelgröße abhängen«, sagt Stange.
Auch laut Luvor ist der Mahlgrad der Produkte unterschiedlich. Bei Akne sei Heilerde mit etwas körnigerer Struktur sinnvoll, weil sie wie ein Peeling wirke. Dagegen eigne sich besonders fein gemahlenes Pulver, um Stoffe aufzunehmen. Laut »Medwatch«, das mehrere Produkte in Laboren untersuchen ließ, gab es weder von der chemischen Zusammensetzung noch von der Korngröße her nennenswerte Unterschiede.
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