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Kürzungen in Berlins Bezirken: Sparen an den Schwächsten
Jugendhilfe-Organisationen aus Mitte schlagen in Brandbrief Alarm – fast 100 Sozialeinrichtungen drohe die Schließung
»In Berlin wird so viel über Jugendgewalt gesprochen. Wenn wir das jetzt alles wegnehmen, dann bleibt da nur noch akute Krisenprävention, und wir werden zur Feuerwehr«, warnt Anne Luther von SOS-Kinderdorf Berlin. Gegenüber »nd« macht die Bereichsleiterin für schulbezogene Angebote deutlich, was die Kürzungen im Bezirk Mitte im Einzelfall bedeuten.
»An einer Gemeinschaftsschule in Moabit gibt es zwei Sozialarbeiterinnen, die täglich 280 Kinder in Krisen- und Konfliktsituationen unterstützen«, sagt Luther. Wie alle Leistungsverträge der Jugendsozialarbeit und Familienförderung im Bezirk Mitte würden auch die Verträge für die Schulstation mit dem 1. Mai 2024 enden. Den Kindern müsse nun beigebracht werden, sich schon einmal zu verabschieden. »Diese Kinder sind zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Die verstehen das nicht.«
Von »großem Entsetzen« ist die Rede in einem Brandbrief, den über 25 Träger der Kinder- und Jugendhilfe aus dem Bezirk Mitte am Montag veröffentlicht haben. Zu ihnen zählen unter anderem der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Mitte, der Sozialarbeitsträger Gangway sowie der Kinderschutzbund und eben SOS-Kinderdorf.
Gemeinsam warnen sie vor der Schließung von bis zu 100 sozialen Einrichtungen im Bezirk: 53 Kinder und Jugendfreizeiteinrichtungen, 28 Standorte der schul- und berufsbezogenen Jugendsozialarbeit und 14 Familienzentren. Die drohenden Kürzungen, so die Träger, setzten nichts weniger als den sozialen Frieden in der Hauptstadt aufs Spiel.
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Anders könne man es auch nicht nennen, sagt Luther. Zu grundlegend sei das, was durch die Kürzungen wegfalle. Die niedrigschwelligen Anlaufstellen für Familien machten es überhaupt erst möglich, wichtige Beziehungen aufzubauen, gerade in sozial benachteiligten Strukturen. Die Menschen nähmen an Kursen in Familienzentren teil, es werde gemeinsam gegessen.
Luther sagt: »Wenn wir nicht in Kontakt mit den Familien kommen, können wir sie auch nicht unterstützen.« Eigentlich müsse daran gearbeitet werden, die Angebote auszubauen. Stattdessen stellten die durch den schwarz-roten Senat auferlegten Sparmaßnahmen gleich mehrere Gesetze infrage. Im Brandbrief nennen die sozialen Träger Versorgungsverpflichtungen des Sozialgesetzbuches, das Kinder- und Jugendfördergesetz sowie das Familienfördergesetz.
»Die Frage ist nur, welches Gesetz wir als Erstes brechen«, kritisiert Luther. Hinzu käme die Abwanderung der Beschäftigten. Die fehlende Planungssicherheit sorge schon jetzt dafür, dass sich die Menschen anderweitig umsehen – und das bei akutem Fachkräftemangel. »Wenn die erst einmal weg sind, kriegen wir die auch nicht wieder.«
Von Senat und Bezirk fordern die sozialen Träger schnelles Handeln, ohne sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Der Brief stehe für einen Schulterschluss in Not, so Luther. Kein Träger, kein Sozialbereich solle gegen den anderen ausgespielt werden. »Wir können auf nichts verzichten«, sagt sie. Es gehe um Berlins soziale Infrastruktur insgesamt.
Konkrete Zahlen nennt der in Mitte für Jugendarbeit zuständige Bezirksstadtrat Christoph Keller (Linke). Insgesamt 13 Millionen Euro müsse der Bezirk infolge der Senatsvorgaben kürzen. Verteilt würden die Einsparungen auf insgesamt sechs Bereiche. Mit ganzen 2,7 Millionen Euro falle ein Großteil bei Jugend und Gesundheit an. Geschehe das, kürze der Senat dann auch noch aus dem Jugendgesetz abgeleitete Mittel in Höhe von einer Million.
Der Bezirk sieht seine Hände gebunden. »Wir wollen nicht einmal mehr Geld. Wir fordern einfach nur mehr Flexibilität bei den Einsparungen«, sagt Keller zu »nd«. Er selbst spricht von insgesamt 52 Einrichtungen im Bezirk, von denen 30 von Schließungen bedroht sind. Die Definitionen einer sozialen Einrichtung unterscheiden sich.
Keller zufolge stellt sich auch die Frage, was nach Schließung mit den Standorten geschehen soll. »Dann heißt es erst mal ›Leerstand statt Lehrräume‹«, prophezeit der Linke-Politiker. Bis zum 1. Februar bleibe dem Senat mit Blick auf die gesetzliche Kündigungsfrist noch Zeit, das Schlimmste zu verhindern. »Bis dahin hoffe ich, dass die gesamte Jugendhilfe-Szene auf die Straße geht.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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