Tausende bedrohter Baumarten in Südamerika

Der Atlantische Regenwald in Südamerika verliert seine Artenvielfalt

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Atlantische Regenwald, in Brasilien Mata Atlântica genannt, ist mit rund 15 000 beschriebenen Pflanzenarten einer der artenreichsten Hotspots unseres Planeten. Einst dehnte sich dieses subtropische Waldökosystem über mehr als 1,7 Millionen Quadratkilometer von Nordostargentinien, Uruguay und Paraguay bis nach Nordostbrasilien aus. Etwa 80 Prozent dieses einzigartigen Regenwaldes sind bereits vernichtet, der größte Teil davon während der vergangenen 50 bis 70 Jahre. Der Atlantische Regenwald ist damit noch viel stärker bedroht als der Amazonas-Regenwald. Und seine Entwaldung und Degradierung sind bis heute nicht gestoppt.

Endemische Arten besonders betroffen

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Eine von Wissenschaftlern aus Brasilien, den Niederlanden und Frankreich durchgeführte Forschungsarbeit ist nun die erste, die den Grad der Bedrohung der Baumarten im Atlantischen Regenwald nach den Kriterien der Roten Liste der Weltnaturschutzunion bewertete. Sie zeigt, dass 65 Prozent aller 4950 in den noch erhaltenen Atlantischen Regenwaldgebieten gezählten Baumarten bedroht sind.

Noch schlimmer sieht es für die mehr als 2000 in der Mata Atlântica endemischen, also nur dort vorkommenden, Arten aus. Von diesen fallen 82 Prozent in die Kategorie »bedroht«. Bereits 13 der bekannten endemischen Baumarten konnten die Forscher in den untersuchten Gebieten nicht mehr finden und stuften sie deshalb als möglicherweise ausgestorben ein. Die gute Nachricht ist, dass sie fünf Arten wiederentdeckten, die laut Roter Liste in freier Wildbahn bereits als ausgestorben galten. Inwieweit diese Bäume tatsächlich noch in nennenswerten Populationen existieren, ist jedoch unklar.

»Die hohe Zahl der bedrohten endemischen Arten war ein Schock für uns, weil wir einen konservativen Ansatz verfolgten«, sagt Studienkoordinator Renato Lima von der Universität São Paulo in Piracicaba. Das Forscherteam hat bei seiner Untersuchung sowohl intakte wie auch degradierte Waldflächen berücksichtigt. Aber nicht alle Baumarten seien in der Lage, sich in degradierten Fragmenten zu behaupten. »Daher ist es möglich, dass die Realität noch besorgniserregender ist«, so Lima. Der geschätzte Biodiversitätsverlust wäre noch größer ausgefallen, wenn nur intakte Waldgebiete berücksichtigt worden wären. Hinzu komme der Klimawandel, der das Artensterben des von hohen Niederschlägen abhängigen Ökosystems im östlichen Südamerika beschleunigen könnte.

Basierend auf den Daten aus dem Atlantischen Regenwald extrapoliert die Studie zudem das Artensterben auf globaler Ebene. »Unsere Prognosen deuten darauf hin, dass allein durch die Abholzung der Wälder 35 bis 50 Prozent der Baumarten auf dem Planeten bedroht sein könnten«, so der Ko-Autor der Studie Hans ter Steege vom Naturalis Biodiversity Center in den Niederlanden.

»Der Atlantische Küstenregenwald in Brasilien gehört zu den artenreichsten und biologisch einzigartigsten Regionen der Erde, aber er ist durch die Landnutzung in viele kleine Relikte zersplittert worden«, kommentiert der Naturschutzexperte Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde die Studie. »Hier und dort ein paar weitere Schutzgebiete werden nicht ausreichen, diesen erdrutschartigen Verlust des Lebens und der funktionierenden Ökosysteme in dieser Region zu stoppen. Dafür müsste dem Wald schlicht sehr viel Fläche zurückgegeben werden.«

Entwaldung setzt sich fort

Doch von diesem Ansatz sind Argentinien, Paraguay und besonders Brasilien, das den größten Anteil am Atlantischen Regenwald hat, noch weit entfernt. Von seinen ursprünglich 1,3 Millionen Quadratkilometern sind nur noch rund 12 Prozent übrig. Seit 1993 steht das Ökosystem zwar in Brasilien unter Naturschutz, und »das Abholzen, die Ausbeutung und die Unterdrückung der Primärvegetation oder des nachwachsenden Waldes« sind per Gesetz verboten. Dennoch ging die Vernichtung der Mata Atlântica seitdem kontinuierlich mit und ohne gesetzlichen Segen in Brasilien weiter, etwa für Straßenbau, Bergbau, Staudammbau, die Ausweitung von Städten und Siedlungen sowie für den Anbau von Zuckerrohr, Sojabohnen und Eukalyptus.

Allein von 1995 bis 2000 verlor der einzigartige Regenwald im Süden und Osten Brasiliens rund 440 000 Hektar. Die jährliche Abholzungsrate ist zwar zurückgegangen bis auf 11 339 Hektar in der Periode 2017/18. Doch seitdem steigt sie wieder. 2021 und 2022 wurden etwas mehr als 20 000 Hektar vernichtet, so die gemeinsam von der Stiftung SOS Mata Atlântica und dem brasilianischen Institut für Weltraumforschung erstellten Daten.

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