Mit dem Kältebus in München unterwegs

Wie Obdachlose in der Stadt mit den teuersten Mieten überleben

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Hannah verteilt in der Stadt mit den Horromieten Speisen aus dem »Kältebus«.
Hannah verteilt in der Stadt mit den Horromieten Speisen aus dem »Kältebus«.

Die Winter der vergangenen Jahre waren in München eher mild, aber zwischendurch versinkt die Stadt mit den teuersten Mieten in Deutschland auch schon mal im Schnee und die Temperaturen gehen nach unten. Und auch in dieser Jahreszeit schlafen obdachlose Menschen in den Parks oder den Eingängen leerstehender Läden.

Obdachlose – das sind jene Personen, die trotz der vorhandenen Hilfs- und Übernachtungsangebote im Freien schlafen – und das auch im Winter. Die Gründe dafür sind vielfältig, »oft stehen psychische Erkrankungen dahinter«, erklärt Richard Schlickenrieder vom Amt für Wohnen und Migration und fährt fort: »Unsere Statistik weist derzeit 550 Menschen ohne Unterkunft aus«.

Neherstraße 5 im Münchener Osten, ein Raum in der Tiefgarage. Daniel, ein Mann mit kräftiger Statur, ist gerade dabei, das Fleisch aus der Brühe zu nehmen. »Heute Abend«, sagt der 63-Jährige, »gibt es Hühnerfrikassee mit Reis.« An die 60 Portionen sollen es werden, die Behälter zum Warmhalten der Speisen stehen schon bereit. Beruflich arbeitet Daniel als IT-Administrator, und einmal pro Woche ist er mit dem sogenannten Kältebus unterwegs. Das macht er nun schon seit sieben Jahren. Er wolle nicht nur Geld spenden, sondern auch selbst anpacken und helfen.

Obdachlose sind der Inbegriff der Armut, doch die Menschen auf der Straße sind nur ein kleiner, freilich sichtbarer Teil jener Gruppe, die auf Wohnungsunterstützung angewiesen ist. Insgesamt 10 851 Wohnungslose zählte die Münchner Statistik im September 2023. Der Unterschied zu den darin mitgezählten Obdachlosen – die Wohnungslosen haben keine Mietverträge, aber ein Dach über dem Kopf. Das heißt, sie schlafen und wohnen in den von der Stadt bereitgestellten Unterkünften.

»Drastisch auffällig im Zusammenhang mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum«, schreibt das Wohnungsamt, sei dabei die zunehmend längere Verweildauer in diesen Unterkünften. Das heißt, es dauert mittlerweile deutlich länger als etwa vor sechs Jahren, bis die Wohnungslosen eine eigene Wohnung beziehen können.

Auch die Zahl der Menschen, die in Hotels und Pensionen, Notquartieren, Akutunterkünften der Wohlfahrtsverbände oder Wohnprojekten alleine in der Regie der Stadt München untergebracht worden sind, hat sich von 1866 im Jahr 2006 auf 4952 im Jahr 2023 (September) mehr als verdoppelt. Hinzu kommen seit Beginn des Krieges in der Ukraine auch die von dort Geflüchteten, derzeit leben 1908 Ukrainer in Leichtbauhallen.

Daniel ist gerade dabei, den Vanillepudding nicht anbrennen zu lassen, als Berthold Troitsch die Küche betritt. Der 54-Jährige arbeitet als Immobilienverwalter und ist seit 2015 der erste Vorsitzende des Vereins »Kältebus München e.V.«, der sieben Mitglieder und an die 20 Helfer zählt. Tätig werden sie im Winter, um die Obdachlosen zu versorgen, der Bus ist von der Zeitumstellung im Oktober bis zur Zeitumstellung im März unterwegs. Jeden Tag fährt er von 18.30 Uhr bis gegen 22 Uhr.

Inzwischen sind Hühnerfrikassee, Reis und Pudding fertig und werden von Daniel und seiner Kollegin Hanna in den Kleinbus geladen, auch Schokoladentafeln und Kekse werden eingepackt. Es hat an diesem Freitag schon länger zu schneien begonnen, als der Kältebus seine erste Station erreicht: das Mensagebäude der Technischen Universität in der Arcisstraße. Dort wartet auch schon ein Mann mit dunklem Mantel, ein paar Habseligkeiten hat er in einem Rollkoffer dabei. Hanna gibt in einem Plastikschüsselchen die warme Mahlzeit aus und einen Becher mit heißem Kaffee.

Und weiter fährt der Kältebus, um das Karree herum auf die andere Seite der Grünanlage. Daniel sitzt am Steuer und kennt die Plätze, wo sich obdachlose Menschen die Nacht über aufhalten. Jetzt schnappt er sich eine Taschenlampe und eine Plane, als Schutz gegen die Nässe, und schlägt sich ins Gebüsch. Denn dort übernachtet in einer Art Versteck Marie, eine obdachlose Frau in den Sechzigern, über sich einen aufgespannten Regenschirm gegen die Schneeflocken. Nein, in die Unterkünfte wolle sie nicht, dort gebe es Alkoholiker und Drogenabhängige. »Ich bin lieber für mich«, sagt sie, auch wenn es in der Dunkelheit und in der Kälte ist.

Der Kältebus fährt weiter. Fahrer Daniel kennt inzwischen viele der Klienten, weiß um die Schicksale seiner »Stammkunden«: Gesundheitliche Probleme, Arbeit weg, Partner weg, schließlich bleibt nur die Straße. Warum suchen die Menschen nicht die Unterkünfte auf? Manche leben als Paare, weiß Daniel, das geht in den Unterkünften nicht. Und dort sind zum Beispiel auch keine Hunde erlaubt.

Der Bus fährt inzwischen das Sendlinger Tor an und sucht die Obdachlosen auf, die in den Ladeneingängen schlafen. Beim Fotogeschäft »Sauter« campiert eine Gruppe Osteuropäer. Hanna und Daniel verteilen Schokolade und das Essen. Der Kältebus fährt weiter, Richtung Viktualienmarkt. Was niemand weiß an diesen Abend: Aufgrund der heftigen Schneefälle herrscht in München und Südbayern anschließend ein tagelanges Schneechaos mit tiefen Temperaturen, die das Leben der Obdachlosen weiter bedrohen.

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