Honorarkonsul gesucht

Stefan Kaegi hat im Haus der Berliner Festspiele eine Propagandashow für Taiwan kuratiert

  • Florian Neuner
  • Lesedauer: 4 Min.
Die drei taiwanesischen Protagonisten bezogen mit Selbstironie und wohldosierten Scherzen eindeutig Position.
Die drei taiwanesischen Protagonisten bezogen mit Selbstironie und wohldosierten Scherzen eindeutig Position.

Erschreckend einflussreiche Kräfte in den USA vertreten die Auffassung, dass ein Krieg mit der Volksrepublik China unausweichlich ist, um den Status als »einzige Weltmacht« zu verteidigen. Und sie wollen, dass dieser deshalb auch geführt wird, solange das noch mit Aussicht auf Erfolg möglich ist. Die von den USA bis an die Zähne bewaffnete Insel Taiwan ist eine Trumpfkarte, wenn es darum geht, diesen Konflikt zu befeuern. Ein friedliches Auskommen war die längste Zeit möglich, indem der Westen die »Ein-China-Politik« Pekings zumindest offiziell anerkannte; die Existenz als unabhängiger Staat war der Insel dennoch sicher. Das soll nun anscheinend nicht mehr gelten. In dieser Situation bringt Stefan Kaegi vom Berliner Theaterkollektiv Rimini Protokoll ein Stück über Taiwan auf die Bühne. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit einer heiklen Situation, die man aus vielen Perspektiven betrachten kann? Weit gefehlt.

Kaegi überlässt drei Taiwanesen die Bühne – David Chienkuo Wu, einem erfahrenen Diplomaten, Debby Szu-Ya Wang, einer jungen Musikerin, die Europa kennt und deren Vater ein Bubble-Tea-Imperium aufgebaut hat, und schließlich Chiayo Kuo, einer Lobbyistin, deren Profession darin besteht, alle Social-Media-Register zu ziehen, um taiwanesischen Interessen zur Geltung zu verhelfen. Somit sind das mindestens zwei Protagonisten, die eindeutig staatliche Interessen vertreten. Die drei sprechen gut Englisch und bringen eine charmante Infotainment-Show auf die Bühne – mit Selbstironie, wohldosierten Scherzen und dem Gewicht ihrer Biografien. So geht vor, wer auf internationalen Konferenzen Sympathiepunkte sammeln möchte oder Fundraising betreibt.

Pappkulissen von Bauwerken in Taipeh – ein erdbebensicherer Wolkenkratzer muss als Metapher für das ach so resiliente Volk herhalten – und Familienfotos werden auf eine große Leinwand projiziert, Debby Szu-Ya Wang sorgt für den musikalischen Rahmen, Chiayo Kuo erzählt von ihren Erfahrungen im Kosovo, dessen Unabhängigkeitsbestrebungen sie offenbar für vorbildlich hält. Der unterhaltsame Nachhilfeunterricht über die Republik China steuert auf den dramatischen Höhepunkt zu, die Schmach von 1971, als Richard Nixon beschloss, seinen Frieden mit der Volksrepublik zu machen, was zur Folge hatte, dass die Republik China aus der Uno flog und kaum noch jemand diplomatische Beziehungen mit dem Inselstaat pflegen wollte. Der Theaterabend mit dem Titel »Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)« indes mündet in die fiktive Eröffnung einer taiwanesischen Botschaft in Berlin – gedeckt von der Kunstfreiheit. In Wirklichkeit wäre das nur schwer vorstellbar. Eine KI hat eine repräsentative Halle entworfen, es werden Reden geschwungen, Wu singt die Hymne mit Inbrunst. Das Publikum erfährt auch, dass es in Berlin fast unmöglich ist, taiwanesische Flaggen zu finden. Dass sie einmal so omnipräsent sein könnten wie heute die ukrainischen, möchte man sich lieber nicht vorstellen.

Als das »Embassy«-Schild enthüllt wird, ist das Gejohle im Publikum groß. Gibt es im Haus der Berliner Festspiele etwa bereits eine Mehrheit, die es richtig fände, mit der »westlichen Wertegemeinschaft« gegen China aufzustehen? Es ist nicht so, dass die drei taiwanesischen Botschafter in allem einer Meinung wären. Manchmal halten sie ein Schild hoch, auf dem »I disagree« zu lesen ist. Für Wu, den Diplomaten, ist Chiang Kai-shek, der Staatsgründer, ein Held, für die Frauen ein Diktator. Auch teilen sie seine Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit China nicht. An einer Stelle kommt Wu, der Diplomat, der in als Verbindungsbüros getarnten Ersatz-Botschaften arbeiten musste, auf den entscheidenden Punkt. Wenn er US-Präsident Joseph Biden eine Frage stellen könnte, dann würde er ihn fragen, warum er zugelassen habe, dass seine Parteikollegin Nancy Pelosi nach Taipeh geflogen ist – eine sinnlose Provokation! Das wäre eine Anerkennung der Republik China durch Deutschland auch. Dass damit hohe Kosten verbunden wären, verschweigt das patriotische Trio gar nicht. Aber müsste das eine »wertegeleitete« Außenpolitik nicht riskieren?

Am Schluss haben die taiwanesischen Influencer das Publikum jedenfalls dort, wo sie es haben wollen, und es kommt zum fiktiven Schwur: Würde Deutschland Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs denn beispringen, würde Deutschland Waffen liefern? Das Botschaftsschild wird am Ende wieder abgeschraubt. Von den Besuchern würde man sich wünschen, dass sie das Theater als Honorarkonsuln Taiwans verlassen und man auf sie bauen könnte, sollte es wirklich einmal hart auf hart kommen.

Wenn eintreten sollte, was zu befürchten steht, wenn die USA also EU-Europa bald am Gängelband in eine Konfrontation mit der Volksrepublik China führen sollten, dann werden uns die »Leitmedien« bestimmt noch viele symathieheischende Erzählungen über die großartige Demokratie vor der Küste Chinas auftischen. Sie jetzt schon im Theater vorgesetzt zu bekommen, befremdet allerdings. Das soll wirklich keine Botschaft sein?

Zum jetzigen Zeitpunkt sind keine weiteren Vorstellungen geplant.

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