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Theatertreffen: Dackelkot-Attacke bald in Berlin
Die Einladungen für das diesjährige Theatertreffen machen Lust auf den Mai
Dieses Festival ist eine wunderbar aus der Zeit gefallene Institution. Fast keine Zeitung leistet sich noch reisende Kritiker, und die Kulturseiten sind, wenn das Geld fehlt, unter den ersten, die gestrichen werden. Beim Theatertreffen, das alljährlich im Mai stattfindet, spielt die Kritik dessen ungeachtet weiterhin die Hauptrolle. Die Berliner Festspiele bezahlen Jahr für Jahr eine Gruppe Journalisten dafür, sich so viele Inszenierungen anzusehen, wie sie mögen. Um dann Anfang des Jahres eine Liste von zehn Arbeiten zusammenzustellen, die im Mai darauf in Berlin gastieren. Für den Betrieb sind diese Einladungen eine harte Währung. Sie bringen Ruhm ein, erhöhen Gagen, befördern Karrieren. In Nachrufen von Theatermachern fehlen nie die Hinweise auf die Theatertreffen, bei denen sie dabei waren.
Im Falle des Regisseurs, Intendanten und Übersetzers Frank-Patrick Steckel waren es fünf Ausgaben. Steckel starb am Donnerstag im Alter von 80 Jahren. Einen Tag später erhielt seine Tochter, die Regisseurin Jette Steckel, die erste Einladung ihrer Karriere. In ihrer an den Münchner Kammerspielen herausgekommenen Inszenierung von Anton Tschechows erstem Stück »Die Vaterlosen« wird die Handlung von einem Talkformat namens »Dad Men Talking« unterbrochen, in dem der langjährige Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann mit wechselnden Überraschungsgästen plaudert. Bei den Vorstellungen in Berlin wünscht man sich da natürlich Frank Castorf auf der Bühne.
Für Gesprächsbedarf dürfte auch die einzige Arbeit eines kleinen Hauses sorgen. Die Gruppe Wunderbaum hat in Jena ein Stück auf Basis eines der größten Skandale seit Langem erarbeitet: Choreograf Marco Goecke schmierte letztes Jahr einer Kritikerin der »FAZ« die Hinterlassenschaft seines Dackels ins Gesicht. Ebenso wie über diese Arbeit wird man sicherlich über das Spektakel »Riesenhaft in Mittelerde« reden. Regisseur Nicolas Stemann sowie die Ensembles des Schauspielhauses Zürich und des Theaters Hora treten an, die Bühne auf der Grundlage von J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe«-Saga mit Orks, Hobbits und Elben zu bevölkern.
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Für Stemann, der im Sommer nicht ganz freiwillig aus seinem Amt als Zürcher Ko-Intendant ausscheidet, dürfte seine siebte Einladung mit einer gewissen Genugtuung verbunden sein. Auch andere Regisseure sind zum wiederholten Male dabei. Johan Simons, Intendant in Bochum, bringt einen »Hamlet« mit und schenkt dem Berliner Publikum die seltene Gelegenheit, den Iffland-Ringträger Jens Harzer spielen zu sehen. Karin Beier vom Schauspielhaus Hamburg schickt derweil Lina Beckmann auf die Bühne, die mit dem Solo »Laios«, verfasst von Roland Schimmelpfennig, gastiert.
Auch Ulrich Rasche ist mit Lessings »Nathan der Weise« (Salzburger Festspiele) wieder dabei. In Rasches düsteren, streng choreografierten Arbeiten marschieren die Ensembles unaufhörlich einem fernen Ziel entgegen, aber weil sich unter ihren Stiefeln Drehscheiben oder Rolltreppen befinden, kommen sie keinen Schritt voran. Man darf gespannt ein, wie diese Ästhetik, angewendet auf ausgerechnet diesen Stoff, nach dem Angriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung am 7. Oktober letzten Jahres beim strengen Berliner Publikum ankommt.
Das gilt auch für die Ruhrtriennale-Produktion »Extra Life«, mit der sich das Theatertreffen einmal mehr dem zeitgenössischen Tanz öffnet. Zuletzt besetzte Florentina Holzinger diese Position, nun lädt die Jury erstmals die französisch-österreichische Choreografin und Künstlerin Gisèle Vienne ein. Eine weitere große Gewinnerin des Jahrgangs ist die 1990 geborene Regisseurin Rieke Süßkow, die mit ihrer bildstarken Nürnberger Inszenierung von Werner Schwabs »Übergewicht, unwichtig: Unform« zum zweiten Mal hintereinander auf der Liste steht.
Das einzige mit zwei Arbeiten vertretene Haus ist die Berliner Schaubühne, was dessen Intendanten Thomas Ostermeier ebenso freuen, wie es Shermin Langhoff, die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, schmerzen dürfte. Denn »Bucket List« ist die erste Arbeit der Dramatikerin Yael Ronen am Kurfürstendamm, nachdem sie viele Jahre am Gorki engagiert war. Und auch Falk Richter, Regisseur der prämierten Produktion »The Silence«, hat ebenso wie sein Solo-Hauptdarsteller Dimitrij Schaad früher dort gearbeitet. Beide Inszenierungen sind wohl am nächsten an den aktuellen Diskursen dran. Ronens Musical wurde als künstlerische Antwort auf den Krieg in Nahost aufgefasst, Richters Stück arbeitet sich an Traumata und Konflikten zwischen Generationen ab.
Ästhetisch ist die Liste wie auch in den letzten Jahren eher heterogen. Die Wahl von Steckels »Die Vaterlosen«, Simons »Hamlet« und Beiers »Laios« darf man als Plädoyer für die Schauspielkunst verstehen. Süßkow, Rasche und Vienne stehen dagegen eher für formal anspruchsvolle Bühnenkunst. Das Tableau der Jury stellt also die Bandbreite dessen dar, was und wie derzeit gespielt wird, es ist eine komprimierte Darstellung des Status quo. Und der ist gar nicht so schlecht. Auch wenn man die eine oder andere Arbeit vermisst – etwa Sebastian Hartmanns Dresdner Houellebecq-Adaption oder Marina Davydovas »Museum of Uncounted Voices« – ist das doch ein Programm, das Lust macht auf den Mai.
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