Werbung

Demos gegen rechts: Die Empörung ebbt nicht ab

Straßenproteste gegen die radikale Rechte weiten sich aus – Kundgebungen in vielen kleineren Orten

Die Proteste gegen ein Erstarken der AfD haben sich am Wochenende ausgeweitet. Die größten Demonstrationen fanden erneut in den Metropolen statt. In Düsseldorf versammelten sich am Samstag rund 100 000 Menschen. In Hamburg rief Fridays for Future am Sonntag unter dem Motto »Hamburg steht zusammen – für Vielfalt und Demokratie« auf, in die City zu kommen. Dem Aufruf folgten nach Angaben der Initiative ebenfalls rund 100 000 Menschen. Das Besondere an diesem Wochenende war aber, dass Aktive aus der Zivilgesellschaft den Protest in viele kleinere Orte trugen. Es gab Hunderte Kundgebungen im ganzen Land.

Oft erinnerten die Menschen dabei auch an die NS-Verbrechen. Am Samstag jährte sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 79. Mal. Im nordhessischen Witzenhausen standen auf dem Marktplatz leere Stühle mit den Namen derer, die während der NS-Herrschaft aus der Stadt verschleppt und ermordet wurden. Vielerorts gab es den Appell, dass sich die Geschichte nicht wiederholen dürfe. Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) sagte, um 1930 seien die Gefahren für die erste deutsche Demokratie unterschätzt worden. »Das darf uns nicht noch einmal passieren«, mahnte er. »Den Extremisten rufen wir zu: Nie wieder werdet ihr in der Mehrheit sein!«

Der Massenprotest hat sich nach Enthüllungen über ein Geheimtreffen von Rechtsradikalen Ende November in Potsdam entwickelt, auf dem auch über die Vertreibung von Millionen Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte referiert wurde. Diese Pläne hätten bei vielen Menschen zu »schierem Entsetzen« geführt, sagte SPD-Chefin Saskia Esken. Sie mutmaßt, dass die Enthüllungen »offenbar auch ein heilsamer Schock für die große schweigende Mehrheit in unserem Land« gewesen seien.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Der Protest richtet sich besonders gegen die AfD, die oft als parlamentarischer Arm der radikalen Rechten gesehen wird. Viele Menschen befürchten, dass sie bei den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September jeweils stärkste Partei werden und eine Regierung anführen könnte. Dagegen wollen viele eine »Brandmauer auf der Straße« errichten, wie es der TV-Moderator Michel Abdollahi in Hamburg nannte.

Das Engagement so vieler unterschiedlicher Menschen für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung stimmt den Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, zuversichtlich. »Es stärkt in mir die Überzeugung, dass es einen breiten gesellschaftlichen Grundkonsens gibt, den wir als Gemeinschaft nicht bereit sind zu verlassen«, sagte er der dpa. »Schauen wir auf das Verbindende!«

Vorteilhaft könnte es sein, dass die Inhalte bei den Protesten eher allgemein formuliert werden, erläuterte die Sozialpsychologin Juliane Degner von der Uni Hamburg dem »Spiegel«. »Gegen rechts« zu sein, sei der Grundkonsens, das gebe vielen Menschen das Gefühl, eine Position zu teilen. »Auch wenn die Einzelnen darunter vielleicht Unterschiedliches verstehen.« Wenn dieses Gefühl von Verbundenheit anhalte und zu einem konkreten Austausch führe, hält sie es für möglich, dass aus den Demonstrationen eine Bewegung werden könnte.

Eine Wirkung der Massenproteste sieht der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent aber bereits jetzt: Die AfD zeige sich hoch verunsichert, sagte der Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal der ARD. »Die extreme Rechte ist regelrecht in Panik. Es wird versucht, diese Demonstrationen als Fälschungen und als Inszenierungen infrage zu stellen. Aber so richtig dringen diese Narrative nicht durch.« Die AfD versuche nun, ihre Wählerschaft bei der Stange zu halten, die tief verunsichert sei durch den Gegenwind, den man öffentlich gar nicht mehr so gewohnt war nach den Umfragehochs der vergangenen Monate.

Vermehrt setzt die AfD jetzt auf Bürgerdialoge, um mit ihrer Wählerschaft im Kontakt zu bleiben. In Gelsenkirchen lud sie am Samstag ins Hans-Sachs-Haus ein. Mit dabei Beatrix von Storch, einstige stellvertretende Bundessprecherin der AfD. Draußen formierte sich der Gegenprotest. Rund 6500 Menschen kamen auf dem benachbarten Heinrich-König-Platz zusammen. Das Geschehen war emotional, blieb aber überwiegend friedlich, nur rund um den Eingang in das Hans-Sachs-Haus kam es vereinzelt zu Rangeleien zwischen einigen der 200 AfD-Gästen und Demonstrierenden. Mit David Bieber

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.