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Film »Rickerl«: Zigaretten zum Frühstück
In »Rickerl« zeichnet Regisseur Adrian Goiginger das Portrait eines österreichischen Musikers am Existenzminimum
Zehn Jahre lang tingelte David Öllerer alias Voodoo Jürgens mehr schlecht als recht durchs Leben. Seine Lehre als Konditor bei einer renommierten Hofzuckerbäckerei brach er ab, schrieb ein Lied darüber (»Zuckerbäcker«), arbeitete als Friedhofsgärtner. »Kein Stress und immer an der frischen Luft«, beschreibt der Musiker in einem Interview selbstironisch seinen damaligen Job. Der Totengräbersong »Heite grob ma Tote aus« verschaffte Voodoo Jürgens 2016 auf dem Wiener Radiosender FM4 den Durchbruch.
Adrian Goigingers »Rickerl – Musik is höchstens a Hobby« ist kein Biopic, sondern eine Hommage an das Wienerische, seine »Beisln« (Kneipen, Spelunken) und »Tschocherln« (Trinkstuben) und den Austropop. Rickerls Name entstammt Voodoo Jürgens’ Song »Gitti«. Mit Gittis »Vorstadt-Casanova« hat dieser Rickerl aber nix zu tun, der Regisseur zieht eher Parallelen zu Öllerers, also Voodo Jürgens’ Leben und zeichnet das Bild eines Ur-Künstlers, der sich mit seiner Musik durch die Tage treiben lässt.
Wie einst der Künstler selbst arbeitet auch Erich »Rickerl« Bohacek (Voodoo Jürgens) auf einem Friedhof. Gerade besingt er im Totenhaus mit »Weh au Weh« (aus dem Debütalbum: »Ansa Woar«) das Morbide, da rollt ihm ein Totenkopf vor die Füße. Zur Verwunderung des Musikers läuft es unter »Totenschändung«, den Schädel eines Toten mit Chlor aufpoliert zu haben, und so kassiert Rickerl eine fristlose Kündigung. Den Wisch fürs Arbeitsamt wie auch sämtliche Friedhofsjobs kann er deswegen auch vergessen.
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Den Ärger spült der Lebemann mit Alkohol runter. Dass sein Manager es schade findet, dass Rickerl den Job im Friedhof in den Sand gesetzt hat (»das Morbide, Grabsteine, Tote, die Leute mögen das«) ist dann schon wieder eine Art von Galgenhumor, die dem Musiker jenseits der 30 gut zu Gesicht steht. In seinem Gitarrenkoffer sammelt Rickerl alle Liedtexte auf Schmierzetteln, Aufnahmen gibt es keine. Der Sänger ist ein aus der Zeit gefallener Chaot, der gemeinsam mit seiner Kneipenfamilie – alle sind älter als er – »die guten alten Zeiten« lobt. Er besitzt kein Smartphone, für Musikaufnahmen nutzt er einen Kassettenrekorder.
Da Rickerl mehr in Kneipen als in seiner Wohnung zu Hause ist, nimmt er seinen sechsjährigen Sohn Dominik (Ben Winkler) mit in das verrauchte Beisl. Für den aufgeweckten Dominik ist sein Papa, den er alle zwei Wochen sieht, ein Abenteurer, in der Schule gibt er mit ihm an. Rickerl verbockt so einiges im Umgang mit seinem Sohn. Als er vom Arbeitsamt in einen Erotikshop gesteckt wird, nimmt er am Papatag seinen sechsjährigen Sohn einfach mit. Da hilft’s auch wenig, dass er den Dildo als »Massagestab« bezeichnet und Dominik nur den Anfang vom Porno sehen darf. Seine Ex Viki (Agnes Hausmann) hat mit Musterhaus, Spießerfreund und Eliteschule für Dominik noch den Absprung geschafft.
Bereits in seinem Erstlingswerk »Die Beste aller Welten« (2017) thematisierte Adrian Goiginger eine schwierige Familienkonstellation. Die Mutter des Regisseurs war drogenabhängig. Als er ein Kind war, spielte sie ihm eine heile Welt vor. In »Der Fuchs« (2022) erkundete Goiginger anhand der Geschichte seines Großvaters, ob Schicksalsschläge vererbt werden können, in »Rickerl« muss sich ein Familienvater von seinem alkohol- und glücksspielsüchtigen Vater (Rudi Larsen) lösen und Verantwortung übernehmen. Im echten Leben war Öllerers Vater im Gefängnis, im Lied »Tulln« singt er darüber.
Ein bisschen ist Rickerl wie Öllerer in einem alternativen Leben, auch Rickerl wird einer Dame vom Radio begegnen, hat einen Sohn, keine Tochter. Beide singen in Beisln, beide rauchen und trinken. Man kann den Rauch, der oft durch Nebelmaschinen verstärkt wurde, förmlich riechen. Dass sich »Rickerl« anhand von Voodoo Jürgens’ Songs, allesamt aus dem Leben gegriffen, durch die Handlung hangelt, passt gut dazu.
Der Soundtrack erscheint als limitierte »Rickerl«-EP mit vier eigens für den Film eingespielten Voodoo-Jürgens-Songs in einer Auflage von 500 Stück – die waren alle schon nach zwei Wochen weg. Musikalisch lesen sich die im Film verwendeten Bands wie ein Retro-Trip: Wolfgang Ambros, Hans Orsolics, Heinrich Walcher und die Mitglieder von STS sind allesamt Mitte der 40er, Anfang der 50er geboren. »Ja, so sans, die Österreicher, immer in der Vergangenheit, immer hinten nach«, merkt Rickerl an und spricht – ohne es zu merken – über sich selbst. Doch wenn er mit seiner Gitarre mit viel Herz und Verstand über Obdachlose, Einsamkeit und die Liebe auf Wienerisch sinniert, dann wird aus gestern heute und die Kneipe, wo er auftritt, zum Nabel seiner kleinen, feinsinnigen Welt.
»Rickerl – Musik is höchstens a Hobby«: Deutschland, Österreich 2023. Regie und Buch: Adrian Goiginger. Mit: Voodoo Jürgens, Ben Winkler, Agnes Hausmann. 104 Minuten, Start: 1. Februar.
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