Charité und Vivantes: Weiße Kittel in gelben Westen

Tarifrunden für Ärzteschaft an etlichen Berliner Krankenhäusern gestartet

Das erste Verhandlungsgespräch hatte noch nicht mal stattgefunden, schon fand Charité-Vorstand Martin Kreis klare Worte. Eine Umsetzung der Tarifforderungen der Gewerkschaft Marburger Bund (MB) Berlin Brandenburg wäre eine »übermäßige wirtschaftliche Belastung«, die zu harten Sparmaßnahmen und dem Abbau von Stellen führen würde. In der Konsequenz seien »Auswirkungen auf das Niveau der Krankenversorgung« zu befürchten.

Für die Ärzteschaft der landeseigenen Universitätsklinik Charité und den Einrichtungen der Vivantes fordert der MB im Wesentlichen Lohnsteigerungen von 12,5 Prozent. Ein neuer Tarifvertrag soll dabei nicht länger als ein Jahr laufen. Über die Gemeinsamkeiten hinaus soll es an der Charité Verbesserungen bei den Nachtzuschlägen sowie einen neuen Zuschlag für Randdienste (18 bis 21 Uhr und 6 bis 7.30 Uhr) geben. Für Vivantes-Beschäftigte soll es eine Erhöhung des Zuschlages für Rettungsdiensteinsätze und eine Verbesserung der Schicht- beziehungsweise Wechselschichtzulage geben.

Nach den ersten Verhandlungsgesprächen erwarte man nun bis Ende Februar konkrete Angebote der Arbeitgeber, teilt dem »nd« der Vorstandsvorsitzende des MB, Peter Bobbert, mit. An der Charité rechne Bobbert »mit erheblichem Widerstand der Arbeitgeberseite«.

Die Ärzteschaft sei mit Personalmangel, hoher Arbeitsbelastung, überbordender Bürokratie und schlechter Digitalisierung konfrontiert, sagt Bobbert. Und: »Die überlangen Arbeitszeiten lassen ein halbwegs normales Privatleben kaum zu. Immer mehr Regelarbeit wird mangels ausreichendem Personal in die Abend- und Nachtstunden verlegt. Wir wollen hier gegensteuern.«

Eine schwierige Finanzlage an den Kliniken sieht auch Bobbert. Charité-Vorstand Kreis zufolge würde allein ein Assistenzarzt gegenwärtig 7000 Euro im Monat verdienen. 12,5 Prozent würden dann etwa 1000 Euro mehr bedeuten. Das seien etwa 55 Millionen Euro allein für die Charité – eine »schwer zu stemmende Mehrbelastung«, sagt Kreis.

Das Gehalt der Ärzteschaft wird im Wesentlichen durch die Krankenkassen finanziert. Das gegenwärtige System der Fallpauschalenfinanzierung sieht vor, dass Behandlungsfälle – ausgenommen ist die Pflege am Bett – nur bis zu einem bestimmten Grad von den Krankenkassen refinanziert werden. Nach bisherigem Kenntnisstand wird die vom Gesundheitsministerium angedachte Krankenhausreform dieses System nicht überwinden, sondern »durch eine begrenzte Vorhaltefinanzierung ergänzt werden«, wie es der MB formuliert.

Ob denn die Lohnunterschiede zwischen ärztlichem und nichtärztlichem Personal gerechtfertigt sind? »Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen«, meint MB-Chef Bobbert zu »nd«. Ärztliches wie pflegendes Personal habe berechtigte Lohnforderungen. Die Mitglieder würden zudem »eine Dreifachbelastung aus hochspezialisierter Krankenversorgung, Forschung und Lehre schultern müssen«.

Die von Verdi geführte Berliner Krankenhausbewegung solidarisierte sich vorab mit dem Arbeitskampf der Ärzteschaft von Vivantes. Und auch Gisela Neunhöffer, Gewerkschaftssekretärin für Gesundheitswesen, meint: »Wir sind solidarisch, wenn sich Arbeitnehmer*innen für bessere Beschäftigungsbedingungen einsetzen.«

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Während der MB die Ärzt*innen organisiert, ist Verdi bei den Pflege- und Servicekräften federführend. Für die unterschiedlichen Berufsgruppen schließen die Gewerkschaften je eigene Tarifverträge ab.

Laut Tarifeinheitsgesetz hat nur eine Gewerkschaft einen Rechtsanspruch darauf, dass ihr Tarif gilt: die, welche die meisten Mitglieder im jeweiligen Betrieb führt. Vor diesem Hintergrund ist bei der Bahn der Konkurrenzkampf zwischen GDL und EVG entstanden. Nicht so an den Krankenhäusern.

»Anders als bei der Bahn, gibt es zwischen dem Marburger Bund und Verdi eine Konkurrenz, aber keine offene Feindschaft«, sagt Heiner Dribbusch, Arbeitskampfexperte und ehemaliger Ressortleiter der Hans-Böckler-Stiftung, zu »nd«. Er weist auf eine Vereinbarung hin, die beide Gewerkschaften 2017 nach Einführung des Gesetzes abgeschlossen haben. Sollte ein Arbeitgeber nur den Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Gewerkschaft anerkennen wollen, sei es »Streikziel« beider Gewerkschaften, dies zu verhindern. »Wer heute nach verordneter Tarifeinheit ruft, will die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen schwächen«, sagt Bobbert.

Der Marburger Bund streike insgesamt seltener als Verdi, sagt Dribbusch. »Aber auch im Gesundheitswesen gilt, dass die Häufigkeit und Länge von Streiks allein noch nichts über die Tarifergebnisse aussagen.« Am Ende komme es darauf an, ob die Mitglieder die Verhandlungsergebnisse akzeptieren.

Tarifverhandlungen stehen in Berlin auch an den Parkkliniken, dem Jüdischen Krankenhaus, dem Ida-Wolff-Krankenhaus und dem Paulinenkrankenhaus an.

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