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Nebelschwaden und Big Tech

Die Transmediale und das CTM-Festival in Berlin sind in die nächste Runde gegangen – im Hintergrund schwelt ein Boykottaufruf

Alles ist Klangkörper: Ben Frost und Greg Kubacki vergangenes Wochenende auf der Bühne des Silent Green in Berlin-Wedding
Alles ist Klangkörper: Ben Frost und Greg Kubacki vergangenes Wochenende auf der Bühne des Silent Green in Berlin-Wedding

Möglicherweise brodelte es hinter den Kulissen – doch von schlechter Stimmung war vergangenen Freitag in der unterirdischen Konzerthalle des Silent Green nichts zu spüren. Hier im Berliner Wedding startete die diesjährige Ausgabe des CTM-Festivals für elektronische und experimentelle Musik mit einem Konzert der schwedischen Musikerin Anna von Hausswolff.

Der Krieg Israels gegen die Hamas hatte zuvor auch diese Ecke des Kulturbetriebs aufgewühlt: Mehr als ein Dutzend Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland hatten ihre Zusagen für das CTM aus Protest gegen die geplante Antisemitismusklausel des Berliner Senats zurückgezogen. Die Klausel, die die Empfänger von öffentlichen Fördergeldern zu einem Bekenntnis gegen Antisemitismus verpflichtet hätte, wurde letztlich wegen juristischer Bedenken gekippt – dem ungeachtet gewinnt die internationale »Strike Germany«-Kampagne jedoch weiter an Fahrt. Sie ruft zum Boykott deutscher Kultureinrichtungen auf, weil diese sich angeblich zu israelfreundlich verhalten.

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Das Publikum des CTM hingegen boykottiert offensichtlich nichts – jedenfalls ist die Halle gut gefüllt. Paddy Shine und Phil Masterson vom irischen Folkprojekt Moundabout geben ein paar Gassenhauer zum Besten, bevor sie der Schwedin als Hauptact des Abends die Bühne überlassen. Die singt-schreit melodramatisch ins Mikrofon; um sie herum von Nebelmaschinen erzeugte Schwaden für die wohlkalkuliert ätherisch-düstere Stimmung. Von Hausswolff, die schon seit Anfang der 2010er Jahre im Musikgeschäft ist, bezeichnet ihre klanglichen Erzeugnisse selbst als »Beerdigungs-Pop«, Kritiker verglichen sie schon mit Kate Bush. Mir kommen, der Stimme wegen, stattdessen eher Assoziationen mit Björk, deren künstlerisches Repertoire freilich etwas facettenreicher wirkt als das von von Hausswolff.

Zwei Tage später, wieder im Silent Green. Der australisch-isländische Musiker Ben Frost bringt zusammen mit Greg Kubacki, Gitarrist der US-Math/Metalcore-Band Car Bomb, und dem mit audiovisueller Software arbeitenden niederländischen Künstler Tarik Barri eine Live-Performance auf die Bühne. Während Frost an Klangmaschinen herumfrickelt und Kubacki sein Saiteninstrument bearbeitet, erzeugt Barri psychedelisch-abstrakte Lichtspielprojektionen für die Wand hinter der Bühne.

Die Lautstärke ist ohrenbetäubend: Pochende Beats mäandern durch den Raum, der Boden vibriert und die auf ihm Stehenden gleich mit. Alles ist Resonanzkörper. Sehr viel passiert allerdings nicht. Klangflächen schieben sich ineinander, Spannung baut sich auf, bis es – wie im Clubkontext, aber auch in der Klassischen und Popmusik üblich – irgendwann zum Release kommt, zur harmonischen Auflösung. Ein absehbarer Orgasmus sozusagen. Das Publikum steht andächtig im Raum. Auch dieser Abend wirkt nicht besonders »adventurous«, also risikoreich, in dem Sinne, dass irgendetwas Unerwartetes passieren würde – was etwas enttäuschen mag angesichts dessen, dass das CTM sich den Untertitel »Festival for Adventurous Music and Art« anheftet.

Indes scheint der Anspruch auf Avantgarde hier zum bloßen Gestus verkümmert zu sein – nicht verwunderlich, immerhin gehört das pionierhafte Selbstverständnis schon seit Jahrzehnten zu den gut vermarkteten »Standortvorteilen« der sich noch immer als jung und hip gerierenden Hauptstadt. Die Logik der Kulturindustrie ist, folgt man Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die vorhersehbare Reproduktion des Immergleichen – welches den Konsumenten jedoch mit Begriffen, die Novität anzeigen sollen, angepriesen wird. Wollte das CTM wirklich so »adventurous« sein, wie es vorgibt, müsste es vielleicht einmal brechen mit der vorhersehbaren Dunkelheit, dem vorhersehbaren Nebelgeschwader, den vorhersehbaren Fonts und Grafikdesigns auf den vorhersehbaren Plakaten, die die recht vorhersehbaren Klänge ankündigen. (Doch sei angemerkt, dass es sich hier bloß um einen fragmenthaften Eindruck handelt – andere Acts wie etwa die US-Musikerin Kim Ann Foxman am Freitag in der Panorama Bar versprechen zumindest großartigen Tanzspaß.)

Die Auftaktveranstaltung der Transmediale – Festival für Medienkunst und digitale Kultur, aus dem sich 1999 das CTM entwickelt hat und mit dem es bis heute kooperiert – ist da schon aufgeweckter. Cory Doctorow, kanadischer Blogger und Science-Fiction-Autor, erklärt in der Kanadischen Botschaft im Rahmen der alljährlich dort ausgerichteten Marshall-McLuhan-Lecture das Prinzip der »enshittification« (zu Deutsch etwa »Scheißifizierung«) des Internets – ein Terminus, den er in den letzten Jahren selbst geprägt hat. Doctorow meint damit den sukzessiven Qualitätsverlust sozialer Medien, der dadurch zustande komme, dass diese zuerst ihre Nutzer und dann ihre Geschäftskunden ausbeuten würden, um letztlich selbst alle Profite einzustreichen.

Mit der Tech-Policy-Forscherin Frederike Kaltheuner diskutiert Doctorow im Anschluss über die Möglichkeiten eines freien, den Menschen dienlichen Internets. Durch »Interoperabilität« – der Fähigkeit von Plattformen, miteinander zu interagieren – sollen Nutzer das Internet zurückerobern und das Monopol übermächtiger Tech-Firmen brechen können. Gerade in Deutschland, betont Doctorow, werde »Big Tech« immer noch als Nischenthema behandelt, dabei gebe es dringenden Handlungsbedarf. Dem ist zuzustimmen – und zu hoffen, dass die Transmediale als Diskussionsplattform die Debatten über den politischen Umgang mit den Großkonzernen voranbringen kann. Sie sind schließlich verantwortlich für die toxischen Dynamiken, zu denen die sozialen Medien uns verleiten und denen das Festival unter dem diesjährigen Motto »you’re doing amazing sweetie« (etwa: Du machst dich gut, Herzchen) schwerpunktmäßig Aufmerksamkeit schenken will.

Auch die Transmediale musste übrigens einige israelkriegsbedingte Absagen einstecken, und gab sich dabei verständnisvoll: »Wir respektieren diese Entscheidung und stehen in engem Austausch mit den Künstler:innen«, hieß es in einem Statement des Festivals.

Auf dem Heimweg von der Kanadischen Botschaft laufe ich am Atelier meines Nachbarn vorbei. Er hört beim Malen Aphex Twin. Die Acid-Schmatzer treiben den Track voran. Sehr unterschiedliche Geräusche vermischen sich, erzeugen einen irgendwie quälenden, dabei aber doch wonnigen Zustand. Ist das hohe Kunst? Jedenfalls passiert in dieser Musik mehr in einer Minute als im Silent Green in ein paar Stunden, das lässt sich sicher sagen. Ich gebe den Titel des Tracks, den ich meine erkannt zu haben, bei Google ein: »Lisbon Acid« ist 2005 erschienen. Klingt aber immer noch nach Avantgarde.

Beide Festivals laufen noch bis zum Ende dieser Woche. Das volle Programm und die Spielstätten finden sich unter www.transmediale.de respektive www.ctm-festival.de

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