- Kultur
- Talke Talks
O Rodeo, Rodeo, warum bist du Rodeo?
Dallas ist City, Fort Worth country, provinziell - hat dafür aber etwas Bulliges, um aufzutrumpfen
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
die Beziehung zwischen den texanischen Nachbarstädten Dallas und Fort Worth ähnelt zuweilen der von Hamburg und Bremen. Okay, es gibt weder einen Zug zum Pendeln (»Das Schönste an Bremen ist der Zug nach Hamburg«, sagen Freude) noch rivalisierende Fußballmannschaften (»Nur der HSV«, sagt mein Mann), die eine Erwähnung wert wären.
Ansonsten ist das Konkurrenzdenken ähnlich: Dallas ist größer und hat wie Hamburg »Clout«, sprich: ist global bekannter und hat mehr Instagram-freundliche Restaurants. Fort Worth ist wie Bremen ein Underdog, hat aber dafür mehr historische Sehenswürdigkeiten zu bieten (ich höre schon das Blut meiner Hamburger Leser*innen kochen, wenn ich jetzt noch was zu Werder Bremen schreibe). Sorry, aber Bremen hat eine hübschere Innenstadt als Hamburg! Diese Rivalitätsparallelen zwischen meiner alten und neuen Heimat fielen mir ein, als ich letztens nach Fort Worth zum Rodeo fuhr, das meinen Freunden aus Dallas aber zu »country«, also zu rückwärtsgewandt und provinziell ist.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Beim Rodeo geht es, das merken wir schnell, nicht nur provinziell, sondern auch ziemlich pathetisch zu. Nach der US-Hymne soll gebetet werden. »Du musst deinen Hut abnehmen«, ermahnt mich mein Mann, der noch immer zu vergessen scheint, wo wir leben. Manchmal hilft es, dass ich russische Wurzeln habe, mit denen ich viel texanischer bin als mein nordeuropäischer Gleichberechtigungs-Gatte. Ich schüttele den mit meinem neuen schicken Cowgirl-Hut bedeckten Kopf und behalte recht: »Meine Herren, entblößen Sie Ihre Köpfe«, tönt es aus dem Mikrofon. Konservative US-Männer beten hutlos, sammeln Waffen, öffnen Frauen Türen – aber nur buchstäblich, nicht metaphorisch – und gehen in die Politik statt ins Altersheim. Die Frauen bleiben behütet, werden daran gehindert abzutreiben und tragen bis zum Altersheim grellen Lippenstift und Echtfell: Es gibt mehr Parallelen zwischen Texas und Russland, als den USA lieb wäre. Ich hätte nicht erwartet, dass so ein Rodeo-Besuch meine ganze Vergangenheit aufwühlen würde!
»Lieber Gott«, fleht der Sprecher ins Mikrofon, »beschütze die Tiere! Und auch unsere Polizei und Feuerwehr.« Wie diese genau zusammenhängen, da bin ich mir nicht ganz sicher. Aber der Mustang-Wettbewerb, den wir anschauen, ist höchst unterhaltsam. Die wilden Tiere wurden von Cowboys und -girls nicht nur eingefangen und trainiert, sondern auch mit Glitzer in ihren Mähnen und Sprühtattoos auf ihren Ärschen aufgehübscht. Teenager performen Stunts auf Mustangs. Kleinkinder reiten Schafe. In Deutschland würden nach so einem Event sowohl der Tier- als auch der Kinderschutz alarmiert werden.
Wie bei so vielen in den USA populären Phänomenen (Christentum, Masern, Zucker, Waffen) liegen auch die Wurzeln des Rodeo im Kolonialismus. Die Spanier brachten einst ihre Technik und ihre Nutztiere ins heutige Mexiko, diese erfreuten sich in Nord- und Lateinamerika großer Beliebtheit. Der Rinderhirte »Vaquero« erfand sich in den USA als Marlboro rauchender und Jeans tragender Protestanten-Cowboy neu. Der erste Rodeo-Wettbewerb wurde in Pecos, einer texanischen Kleinstadt, im Jahr 1883 abgehalten. In Fort Worth findet seit 1896 das älteste jährliche Rodeo der Welt statt, Teile des heutigen Rodeo-Geländes sind 1936 im Art-déco-Stil erbaut worden. Das ist weit entfernt vom mit mittelalterlicher Pracht und Unesco-Weltkulturerbe-Prädikat verbrämten Bremen, aber für texanische Verhältnisse ist das durchaus historisch.
Einen Monat lang dauert das Rodeo-Treiben in Fort Worth. Die besten Reiter des Landes treten an, um ein Preisgeld von insgesamt über einer Million Dollar einzuheimsen. Trotz der konservativen Grundhaltung ist einiges an Diversity sichtbar: Rodeos für Cowgirls, afroamerikanische und lateinamerikanische Cowboys. Außerhalb der Arenen wird Vieh ausgestellt und versteigert, es gibt einen Streichelzoo, Livemusik, Felle zu kaufen, ekligen Kram zu essen. Meine Freundinnen aus Dallas gestehen nach meinen Lobreden, dass sie nun auch Lust aufs Rodeo hätten, auch wenn für sie das Schönste an Fort Worth die Autofahrt nach Dallas ist.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.